Entscheidungsstichwort (Thema)
Erforderlichkeit eines Sorgerechtsentzugs bei gravierenden Kommunikations- und Kooperationsdefiziten der Eltern
Leitsatz (amtlich)
1. Eine Kindeswohlgefährdung i.S.d. § 1666 BGB setzt eine gegenwärtige, in solchem Maße vorhandene Gefahr voraus, dass sich bei der weiteren Entwicklung der Dinge eine erhebliche Schädigung des körperlichen, geistigen oder seelischen Wohls des Kindes mit ziemlicher Sicherheit voraussehen lässt (vgl. u.a. BGH, Beschl. v. 26.10.2011 - XII ZB 247/11, FamRZ 2012, 99).
2. Auch wenn es Eltern nicht gelingt, ihre Fähigkeit und Bereitschaft zu Kommunikation und Kooperation (wieder) herzustellen bzw. nachzuweisen, muss ein Sorgerechtsentzug zum Zweck der Aufrechterhaltung einer Fremdunterbringung nicht gerechtfertigt sein. Gravierende Kommunikation- und Kooperationsdefizite können jedoch die Aufhebung der gemeinsamen elterlichen Sorge und die Übertragung der vollen oder partiellen Alleinsorge auf einen Elternteil erforderlich machen.
3. Ist ein Elternteil mit Unterstützung durch eine entsprechende Familienhilfe zur verantwortlichen Ausübung des Sorgerechts in der Lage, ist kein Raum für die Aufrechterhaltung einer angeordneten Entziehung der elterlichen Sorge.
Normenkette
BGB §§ 1666, 1666a, 1671 Abs. 1, 2 Nr. 2; GG Art. 6 Abs. 2
Verfahrensgang
AG Frankfurt (Oder) (Beschluss vom 19.10.2011) |
Tenor
Auf die Beschwerde des Vaters wird der Beschluss des AG Frankfurt/O. vom 19.10.2011 abgeändert.
Dem Vater wird die elterliche Sorge für die Kinder S. und A. K. allein übertragen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden gegeneinander aufgehoben.
Der Beschwerdewert wird auf 4.500 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Die beteiligten Eltern streiten um die elterliche Sorge für ihre Töchter S. und A.
Der im Februar 1961 geborene Antragsteller und die im Oktober 1978 geborene Antragsgegnerin waren Eheleute. Ihre im Oktober 1998 geschlossene Ehe ist nach der im Dezember 2008 erfolgten Trennung seit Januar 2011 rechtskräftig geschieden. Aus der Ehe sind die Kinder
- S., geb. am ... 12.2000,
- A., geb. am ... 1.2004, und
- T., geb. am ... 6.2008,
hervorgegangen.
T. ist seit seiner Geburt schwerbehindert. Er leidet an einer Hirnschädigung mit schwerer Mehrfachbehinderung, Blindheit und Epilepsie. Seit dem 21.9.2009 lebt er im K.- Haus in F., einer Wohnstätte für Menschen mit Behinderungen.
Nachdem S. und A. ab 2/2009 mit Zustimmung der Eltern - seinerzeit musste sich der Vater einer Operation im Krankenhaus unterziehen und die Mutter hat den Sohn T. bei einem Reha-Aufenthalt begleitet - im Kinderheim Z. in F. untergebracht worden waren, hat der Vater unter dem 9.9.2009 den Antrag auf vorläufige Übertragung des alleinigen Aufenthaltsbestimmungsrechts für die beiden Mädchen gestellt. Die Mutter ist dem Antrag entgegengetreten und hat ihrerseits beantragt, ihr das Aufenthaltsbestimmungsrecht für die beiden Mädchen allein zu übertragen. Der Senat hat in Abänderung der vom AG getroffenen Entscheidung mit Beschl. v. 10.12.2009 - 10 WF 208/09 - das Aufenthaltsbestimmungsrecht für S. und A. vorläufig auf die Mutter übertragen. Die Kinder wohnten sodann im Haushalt der Mutter.
Am 23.2.2011 wurden S. und A. auf Veranlassung des Vaters, der am 21.2.2011 beim Kinder- und Jugendnotdienst in F. vorgesprochen hatte, mit Zustimmung beider Eltern im Kinderheim R. in F. untergebracht, in dem sie bis heute leben.
Unter dem 23.3.2010 hat der Vater das vorliegende Verfahren eingeleitet mit dem Antrag auf Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts für die Töchter auf sich allein. Zur Begründung hat er u.a. vorgetragen, im Haushalt der Mutter und ihres Lebensgefährten seien die Kinder gefährdet. Es bestehe zudem der Verdacht des sexuellen Missbrauchs von S. Das AG hat die Einholung eines psychologischen Gutachten des Sachverständigen Dr. K. Sch ... angeordnet, das dieser unter dem 17.6.2011 erstattet hat.
Im Verhandlungstermin vor dem AG vom 5.10.2011 haben die Eltern ihr Einverständnis erklärt, dass das Jugendamt zum Vormund für die beiden Mädchen bestellt wird. Durch den angefochtenen Beschluss vom 19.10.2011 hat das AG sodann in Abänderung des Senatsbeschlusses vom 10.12.2009 den Eltern die elterliche Sorge für die gemeinsamen Kinder S. und A. entzogen und das Jugendamt F. zum Vormund bestellt. Ferner hat das AG den Eltern aufgegeben, eine Partnertherapie bei der Familienberatungsstelle der C. in F. aufzunehmen, insbesondere mit dem Ziel, die Kommunikation miteinander zu verbessern. Zur Begründung hat das AG ausgeführt, derzeit stelle sich die Situation zwischen den Eltern so dar, dass sie weder miteinander kommunizieren, noch kooperieren könnten. Eine gemeinsame Basis bestehe zwischen den Eltern nicht. Daher könnten auch nicht Teile der elterlichen Sorge von ihnen weiter gemeinsam ausgeübt werden. Es sei danach erforderlich, den Eltern die Sorge für die Kinder zu entziehen und ihre Fremdunterbringung fortzuführen. Der bestehenden Gefahr für das Kindeswohl könne nicht auf andere Weise begegnet werden, da andere Maßnahmen...