Leitsatz (amtlich)
Gegenüber der Unterhaltspflicht muss unter Umständen auch das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit, Art. 2 GG, sowie auf freie Berufswahl, Art. 12 GG, zurücktreten. Ist die Mutter gesteigert unterhaltspflichtig, muss sie sich daher fiktive Einkünfte zurechnen lassen, wenn sie ihre Tätigkeit als verbeamtete Lehrerin in Deutschland aufgegeben hat, um nach England bzw. Kanada auszuwandern.
Normenkette
BGB § 1603
Verfahrensgang
AG Rathenow (Beschluss vom 17.12.2012; Aktenzeichen 5 F 80/12) |
Tenor
Die sofortige Beschwerde wird zurückgewiesen.
Kosten werden nicht erstattet.
Gründe
Die gem. §§ 113 Abs. 1 Satz 2 FamFG, 127 Abs. 2 Satz 2 ZPO zulässige sofortige Beschwerde ist unbegründet. Zu Recht hat das AG der Antragsgegnerin Verfahrenskostenhilfe versagt. Denn die Rechtsverteidigung bietet keine hinreichende Aussicht auf Erfolg, §§ 113 Abs. 1 Satz 2 FamFG, 114 ZPO.
1. Für die hier zu treffende Entscheidung ist es ohne Bedeutung, aus welchem Grund es im Jahr 2008 zu einem Obhutswechsel der Antragsteller von der Mutter zum Vater gekommen ist. Einer Auseinandersetzung mit dem diesbezüglichen Vorbringen der Beteiligten bedarf es daher nicht. Fest steht, dass die Antragsteller seit März 2008 bei ihrem Vater leben. Dieser erfüllt seine Unterhaltspflicht daher gem. § 1606 Abs. 3 Satz 2 BGB durch die Pflege und Erziehung der Kinder.
Ebenfalls ohne Bedeutung ist der Vortrag der Antragsgegnerin in der Antragserwiderung vom 30.7.2012, wonach sie im Jahr 2010 die Absicht gehabt habe, ihren Lebensmittelpunkt nach Kanada zu verlegen und ihre Kinder nach dorthin mitzunehmen. Denn ein Verfahren auf Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts für die Antragsteller hat sie offenbar nicht eingeleitet.
2. Die Antragsgegnerin trifft, wie das AG im angefochtenen Beschluss und vertieft in der Hauptsacheentscheidung vom 11.12.2012 zu Recht ausgeführt hat, eine gesteigerte Unterhaltspflicht. Sie hat alle verfügbaren Mittel zu ihrem und der Kinder Unterhalt gleichmäßig zu verwenden, § 1603 Abs. 2 Satz 1 BGB. Darin liegt eine Ausprägung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit im Unterhaltsrecht. Aus § 1603 BGB und aus Art. 6 Abs. 2 GG folgt auch die Verpflichtung der Eltern zum Einsatz der eigenen Arbeitskraft. Wenn der Unterhaltsverpflichtete eine ihm mögliche und zumutbare Erwerbstätigkeit unterlässt, obwohl er diese bei gutem Willen ausüben könnte, können deswegen nicht nur die tatsächlichen, sondern auch fiktiv erzielbare Einkünfte berücksichtigt werden. Trotz der nach § 1603 Abs. 2 Satz 1 BGB gesteigerten Unterhaltspflicht gegenüber minderjährigen Kindern muss die Anrechnung fiktiver Einkünfte aber stets die Grenze des Zumutbaren beachten. Übersteigt die Gesamtbelastung des Unterhaltsschuldners diese Grenze, ist die Beschränkung seiner Dispositionsfreiheit als Folge des Unterhaltsanspruchs des Bedürftigen nicht mehr Bestandteil der verfassungsmäßigen Ordnung und kann vor dem Grundrecht des Art. 2 Abs. 1 GG nicht bestehen (BGH, FPR 2009, 124 Rz. 20). Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze hat das AG vorliegend zutreffend angenommen, dass der Antragsgegnerin fiktive Einkünfte zuzurechnen sind.
a) Die Antragsgegnerin macht allerdings geltend, aufgrund ihrer tatsächlichen Einkünfte, zunächst in England, nun in Kanada, nicht in der Lage zu sein, Kindesunterhalt zu leisten. Die Antragsteller haben mit Schriftsatz vom 17.8.2012 gerügt, die Antragsgegnerin habe zu ihren eigenen Einkünften nur pauschal Angaben gemacht. Ob diese Einschätzung zutrifft, kann dahinstehen. Denn, wie sogleich zu zeigen ist, besteht eine Unterhaltspflicht der Antragsgegnerin in dem geltend gemachten Umfang auch dann, wenn man zu ihren Gunsten annimmt, sie sei aufgrund ihrer tatsächlichen Einkünfte nicht in der Lage, Kindesunterhalt zu zahlen.
b) Die Antragsgegnerin muss sich nämlich fiktive Einkünfte zurechnen lassen, weil sie ihre Tätigkeit als verbeamtete Lehrerin aufgegeben hat.
Jedenfalls im Rahmen der gesteigerten Unterhaltsverpflichtung muss der Unterhaltsschuldner seine Arbeitskraft so gut wie möglich einsetzen und sich Einkünfte anrechnen lassen, die er bei gutem Willen durch zumutbare Erwerbstätigkeit erreichen könnte. Diese Verpflichtung legt ihm nicht nur bei der Wahl des Arbeitsplatzes, sondern auch bei der Aufgabe einer Stellung Beschränkungen auf. Gibt er seinen Arbeitsplatz auf und vermindert sich dadurch in nicht verantwortender Weise sein Einkommen, muss er sich weiterhin als leistungsfähig behandeln lassen. Gegenüber der Unterhaltspflicht muss unter Umständen auch das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit, Art. 2 GG, sowie auf freie Berufswahl, Art. 12 GG, zurücktreten (vgl. BGH NJW 1982, 1050, 1052; Wendl/Dose, Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis, 8. Aufl., § 1 Rz. 738).
Zwar ist auch eine selbst herbeigeführte Leistungsunfähigkeit des Unterhaltsschuldners grundsätzlich beachtlich, wenn nicht im Einzelfall schwerwiegende Gründe vorliegen, die dem Verpflichteten nach Treu und Glauben die Berufung auf s...