Leitsatz (amtlich)
Zur Beweiswürdigung nach Durchführung einer Wahllichtbildvorlage mit ungleich alten und ungleich kontrastreichen Fotos eineiiger Zwillinge sowie fehlender Wiedererkennung in der Hauptverhandlung.
Tenor
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil der 6. kleinen Strafkammer des Landgerichts ... vom 2. Februar 2016 aufgehoben.
Der Angeklagte wird freigesprochen.
Die Kosten des Verfahrens und die dem Angeklagten darin entstandenen notwendigen Auslagen fallen der Staatskasse zur Last.
Gründe
I.
Die Staatsanwaltschaft ... wirft dem Angeklagten mit der Anklageschrift vom 20. Oktober 2014 vor, am 12. Mai 2014 gegen 14:30 Uhr in ...., ein Cross-Motorrad auf öffentlichen Wegen geführt zu haben, obwohl die erforderliche Haftpflichtversicherung nicht oder nicht mehr bestanden habe. Des Weiteren soll der Angeklagte am selben Ort und zur selben Zeit die Zeugin ...mit dem Wort "Fotze" mehrfach beschimpft und sie angespuckt haben.
Im Zuge der Ermittlungen hatte die Zeugin ...den Angeklagten ... bei einer am 12. August 2014 durchgeführten Wahllichtbildvorlage mit 8 Vergleichfotos als Täter auf Foto 6 wiedererkannt. Unter den Fotos befand sich unter der Nummer 1 auch ein Foto von .... dem eineiigen Zwillingsbruder des Angeklagten. Während das verwendete Foto des Angeklagten aus einer erkennungsdienstlichen Behandlung vom 31. Juli 2011 stammte, war das Foto des Zwillingsbruders ... am 18. April 2014 ebenfalls anlässlich einer erkennungsdienstlichen Behandlung gefertigt worden.
Das Amtsgericht ... hat mit Urteil vom 5. Februar 2015 den Angeklagten von den Tatvorwürfen freigesprochen, nachdem die Zeugin in der Hauptverhandlung keine Aussage darüber treffen konnte, ob der Angeklagte oder dessen Zwillingsbruder der Täter gewesen war.
Gegen dieses Urteil hat die Staatsanwaltschaft ... Berufung eingelegt. Am 3. August 2015 wurde eine erneute Wahllichtbildvorlage mit der Zeugin ...durchgeführt, bei der ein anlässlich der Ausstellung eines neuen Personalausweises am 2. August 2014 gefertigtes Passfoto des Angeklagten verwendet wurde. Hierbei hatte die Zeugin ...erneut den Angeklagten aus 8 Vergleichfotos, darunter auch ein Foto seines Zwillingbruders ..., wiedererkannt.
Die 6. kleine Strafkammer des Landgerichts ... hat mit Urteil vom 2. Februar 2016 das amtsgerichtliche Urteil aufgehoben und den Angeklagten wegen Beleidigung und wegen Verstoßes gegen das Pflichtversicherungsgesetz zu einer Gesamtgeldstrafe von 120 Tagessätzen verurteilt. Die Berufungskammer hat die Vorwürfe aus der Anklage vom 20. Oktober 2014 als zutreffend festgestellt und dies auf die Identifizierung des Angeklagten durch die Zeugin ...bei den Wahllichtbildvorlagen gestützt.
Gegen diese Verurteilung richtet sich die am 9. Februar 2016 bei Gericht eingelegte und, nach der am 22. Februar 2016 erfolgten Urteilszustellung, mit weiterem bei Gericht am 21. März 2016 eingegangen Anwaltsschriftsatz begründete Revision des Angeklagten.
Die Staatsanwaltschaft ... erachtet mit Verfügung vom 10. Juni 2016 die Revision des Angeklagten für begründet; die Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg hat mit Stellungnahme vom 29. Dezember 2016 beantragt, das Urteil der 6. kleinen Strafkammer des Amtsgerichts ... vom 2. Februar 2016 aufzuheben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht ... zurückzuverweisen.
II.
1. Die Revision ist gem. § 333 StPO statthaft und gem. §§ 341, 344, 345 StPO frist- und formgerecht bei Gericht angebracht worden.
2. Die Revision hat mit der Sachrüge Erfolg und führt unter Aufhebung der angefochtenen Entscheidung zu einem Freispruch.
a) Im vorliegenden Fall hält die Beweiswürdigung einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
Die Würdigung der erhobenen Beweise gehört grundsätzlich zu den ureigenen tatrichterlichen Aufgaben, die in weiten Bereichen der revisionsrechtlichen Überprüfung entzogen ist. Dem Tatrichter bleibt es vorbehalten, sich eine Überzeugung von der Schuld oder der nicht vorhandenen Schuld des Angeklagten zu verschaffen. Daher ist das Revisionsgericht grundsätzlich an die Beweiswürdigung des Tatrichters gebunden. Jedoch sind die Beweismittel und deren Würdigung in das schriftliche Urteil aufzunehmen, weil anderenfalls jede Überprüfung der Richtigkeit des Schuldspruchs durch das Revisionsgericht ausgeschlossen wäre. Die höchstrichterliche Rechtsprechung verlangt vom Tatrichter regelmäßig eine Beweiswürdigung, in der die Ergebnisse der Beweisaufnahme - als Grundlage der tatsächlichen Feststellungen - darzustellen und erschöpfend zu würdigen sind. In welchem Umfang dies geboten ist, richtet sich nach der jeweiligen Beweislage, nicht zuletzt nach der Bedeutung, die der jeweiligen Beweisfrage unter Berücksichtigung des Tatvorwurfs und des Verteidigungsvorbringens für die Wahrheitsfindung zukommt (statt vieler: BGH DRiZ 1994, 59 f). Der Nachprüfung der tatrichterlichen Beweiswürdigung obliegt dem mit der Sachrüge befassten Revisionsgericht jedoch unter dem Gesichtspunkt, ob sie rechtliche Fehler aufweist. ...