Leitsatz (amtlich)
1. Es entspricht grundsätzlich nicht dem Kindeswohl, eine bereits vollzogene einstweilige Anordnung zur Aufenthaltsbestimmung ohne schwerwiegende Gründe abzuändern (vgl. OLG Hamm FamRZ 2006, 1478 m.w.N.). Das würde einen erneuten Ortswechsel des Kindes für den (regelmäßig nur kurzen) Zeitraum bis zum Erlass der Entscheidung des Familiengerichts in der Hauptsache zur Folge haben, ohne dass bei ihm Gewissheit darüber besteht, wo es in Zukunft leben sollen. Eine solche Maßnahme ist ihm aber nicht ohne weiteres zuzumuten.
2. Mehrere Anträge zu Teilbereichen der elterlichen Sorge (hier Aufenthaltsbestimmung, Gesundheit und Antragsrecht), führen zu keiner Werterhöhung (vgl. Schulte-Bunert/Weinreich/Keske, FamFG Kommentar, 2. Aufl., § 45 FamGKG Rz. 2 m.w.N).
Verfahrensgang
AG Neuruppin (Beschluss vom 08.11.2010; Aktenzeichen 55 F 212/10) |
Tenor
Die Beschwerde der Beteiligten zu 1. gegen den Beschluss des AG Neuruppin vom 8.11.2010 wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat die Beschwerdeführerin zu tragen.
Gründe
I. Das AG hat der Beteiligten zu 1. als alleiniger Inhaberin des Sorgerechts mit Beschluss vom 14.10.2010 vorläufig das Aufenthaltsbestimmungsrecht für ihre vier in ihrem Haushalt lebenden Kinder P., J., M. und F. entzogen und das Jugendamt Neuruppin zum Ergänzungspfleger bestellt. Zur Begründung hat es ausgeführt, ihr weiterer Sohn Fl ..., der vom 13.2.2006 bis 4.9.2008 in ihrem Haushalt gelebt hatte, habe gegenüber seiner Erzieherin glaubhaft geschildert, als früheres Haushaltsmitglied neben seinem Bruder P. Opfer sexueller Misshandlungen durch den Lebensgefährten der Kindesmutter geworden zu sein; diese verleugne dessen Verdacht und schütze ihre Kinder in ihrem Haushalt unzureichend vor möglichen sexuellen Übergriffen durch ihren Lebensgefährten.
Nachdem J. wegen wiederholter Wutausbrüche und aufgrund einer suizidalen Äußerung am 25.10.2010 in die Kinder- und Jugendpsychiatrie Neuruppin eingewiesen wurde und die Kindesmutter hierzu keine Zustimmung erteilte, entzog das AG ihr mit Beschluss vom 26.10.2010 das Recht der Gesundheitsfürsorge für P. und ihre drei Töchter.
Nach mündlicher Verhandlung vom 22.10.2010 hat das AG seine Beschlüsse vom 14. und 26.10.2010 durch Beschluss vom 8.11.2010 aufrechterhalten. Neben der fortbestehenden mangelnden Vorsorge gegen mögliche Übergriffe ihres Lebensgefährten träten Verhaltensauffälligkeiten aller Kinder, die bei P. und J. behandlungsbedürftig, kindeswohlgefährdend und in einem Hauptsacheverfahren aufklärungsbedürftig seien. Die Entziehung der Gesundheitsfürsorge sei wegen fehlender Zustimmung zu nötigen Maßnahmen weiterhin erforderlich.
Die Beschwerdeführerin hält die Entziehung des Aufenthaltsbestimmungsrechtes für unverhältnismäßig. Auch die Entziehung der Gesundheitssorge sei zu Unrecht erfolgt, da sie die Beendigung der Behandlung J. s nicht gefordert habe. Wäre sie gefragt worden, hätte sie die notwendige Zustimmung erteilt. Sie befürworte zudem eine Unterbringung P. s in der Kinder- und Jugendpsychiatrie und arbeite mit dem Jugendamt und der evangelischen Jugendhilfe Wittstock zusammen.
II. Die nach §§ 57 Satz 2 Nr. 1, 58, 63 Abs. 2 Nr. 1 FamFG statthafte und zulässige Beschwerde bleibt ohne Erfolg. Der Beschluss des AG, der Mutter das Aufenthaltsbestimmungsrecht, die Gesundheitsfürsorge und das Recht, Anträge bei Behörden, u. Ä. zu stellen, vorläufig zu entziehen und dem Jugendamt als Ergänzungspfleger zu übertragen, begegnet bei der hier vorzunehmenden summarischen Prüfung im Ergebnis keinen durchgreifenden Bedenken und hält den Beschwerdeangriffen stand.
Eingriffe in das Recht der Personensorge wegen Fehlverhaltens des Sorgeberechtigten gem. §§ 1666, 1666a BGB kommen in Betracht, wenn das Wohl des Kindes gefährdet wird, sofern die Sorgeberechtigten nicht gewillt oder nicht in der Lage sind, die Gefahr selbst abzuwenden. Die Trennung des Kindes von den sorgeberechtigten Eltern darf gem. § 1666a Abs. 1 BGB nur erfolgen, wenn das Fehlverhalten ein solches Ausmaß erreicht hat, dass das Kind in seinem körperlichen, geistigen oder seelischen Wohl nachhaltig gefährdet ist und dieser Gefahr nicht auf andere Weise - auch nicht durch öffentliche Hilfe - begegnet werden kann (BVerfG FamRZ 2002, 1021).
Wird, wie hier vom Jugendamt, die Gefährdung des Kindeswohls geltend gemacht (§ 1666, 1666a BGB), ist das Gericht verpflichtet, den Erlass einer einstweiligen Anordnung unverzüglich nach der Verfahrenseinleitung zu prüfen, § 157 Abs. 3 FamFG. Eine einstweilige Anordnung ist zu erlassen, wenn ein dringendes Bedürfnis für ein sofortiges Tätigwerden besteht, § 49 FamFG. Dieses liegt vor, wenn ein Abwarten bis zur endgültigen Entscheidung nicht möglich ist, weil diese zu spät kommen würde, um die zu schützenden Interessen, hier das Kindeswohl, zu wahren (vgl. Keidel/Giers, FamFG, § 49 Rz. 13).
Die danach gebotene summarische Prüfung dieser Voraussetzungen im einstweiligen Anordnungsverfahren führt hier dazu, eine entsprechende Gefährdung des Kin...