Verfahrensgang
LG Frankfurt (Oder) (Entscheidung vom 10.03.2023) |
AG Bad Freienwalde (Entscheidung vom 09.12.2022; Aktenzeichen 30 BRs 5/21) |
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten wird der Beschluss der Vorsitzenden der 2. Strafkammer des Landgerichts Frankfurt (Oder) vom 10. März 2023 aufgehoben.
Dem Verurteilten wird für das Vollstreckungsverfahren Rechtsanwalt ("Name 01") aus ("Ort 01") als Pflichtverteidiger beigeordnet.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die insoweit entstandenen notwendigen Auslagen des Verurteilten trägt die Staatskasse.
Gründe
I.
Das Amtsgericht Frankfurt (Oder) verhängte gegen den Verurteilten am 16. März 2015 wegen gewerbsmäßigen Einschleusens von Ausländern in acht Fällen eine zur Bewährung ausgesetzte Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren. Durch Beschluss vom 9. Dezember 2022 hat das Amtsgericht Bad Freienwalde die Strafaussetzung widerrufen, nachdem der Verurteilte wiederholt innerhalb der - nach Verlängerung bis zum 23. März 2022 laufenden - Bewährungszeit straffällig geworden war. Hiergegen hat der Verurteilte durch seinen Verteidiger sofortige Beschwerde eingelegt und die Beiordnung seines Verteidigers als Pflichtverteidiger für das Vollstreckungsverfahren beantragt.
Den Beiordnungsantrag hat die Vorsitzende der 2. Strafkammer des Landgerichts Frankfurt (Oder) vom 10. März 2023 abgelehnt, weil die Vollstreckungslage weder in tatsächlicher noch in rechtlicher Hinsicht schwierig sei und vorhandene Sprachbarrieren durch Heranziehung eines Dolmetschers überwunden werden könnten.
Dagegen hat der Verurteilte durch seinen Verteidiger sofortige Beschwerde eingelegt.
Die Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg beantragt, das Rechtsmittel als unbegründet zu verwerfen.
II.
Die sofortige Beschwerde ist gemäß § 142 Abs. 7 Satz 1 StPO statthaft und auch darüber hinaus zulässig, insbesondere fristgerecht angebracht worden (§ 311 Abs. 2 StPO). Sie hat auch in der Sache Erfolg.
Die Voraussetzungen für die Beiordnung eines Pflichtverteidigers liegen vor. In entsprechender Anwendung von § 140 Abs. 2 StPO ist dem Verurteilten für das Vollstreckungsverfahren ein Pflichtverteidiger beizuordnen, wenn die Schwere der Tat, die Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage oder die Unfähigkeit des Verurteilten, seine Rechte sachgemäß wahrzunehmen, dies gebietet. Dabei ist - wie das Landgericht zutreffend angenommen hat - nicht auf die Schwere oder Schwierigkeit im Erkenntnisverfahren, sondern auf die Schwere des Vollstreckungsfalles für den Verurteilten und auf besondere Schwierigkeiten der Sach- oder Rechtslage im Vollstreckungsverfahren abzustellen, wobei es insoweit auf die Höhe der im Falle eines Widerrufs zu verbüßenden Freiheitsstrafe allein nicht ausschlaggebend ankommt (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO 65. Aufl. § 140 Rn. 33 m.w.N.).
Die Notwendigkeit einer Pflichtverteidigerbestellung ergibt sich hier daraus, dass durchgreifende Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Verurteilte sich nicht selbst hinreichend verteidigen kann. Insoweit ist bereits ausreichend, dass an der Fähigkeit zur Selbstverteidigung erhebliche Zweifel bestehen (vgl. Meyer-Goßner, aaO. Rn. 30a). Diese ergeben sich hier nicht nur daraus, dass der Verurteilte der deutschen Sprache nicht mächtig ist. Er leidet darüber hinaus ausweislich des von der Verteidigung vorgelegten ärztlichen Attestes des Facharztes für Psychiatrie ("Name 02") vom 28. März 2022 u.a. an einer schweren depressiven Störung mit psychotischen Symptomen. Diese hat möglicherweise auch Einfluss auf seine Fähigkeit, seine prozessualen Rechte wahrzunehmen, denn er war bei seiner mündlichen Befragung vor dem Amtsgericht am 17. Juni 2022 ausweislich des Anhörungsprotokolls anscheinend trotz der Hinzuziehung eines Dolmetschers nicht in der Lage, sich adäquat und verständlich zu seiner derzeitigen persönlichen Situation zu erklären, sondern hat lediglich redundant darauf verwiesen, dass er "im Wald wohne" und "Tabletten brauche". Bei dieser Sachlage drängt es sich auf, dass der Verurteilte aufgrund seiner geistigen Fähigkeiten und seines Gesundheitszustandes - auch unter Berücksichtigung der nicht unerheblichen Schwere des Vollstreckungsfalls und des drohenden Widerrufs der Bewährungsaussetzung einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren - in seiner Verteidigungsfähigkeit gravierend beschränkt ist und es somit der Beiordnung eines Pflichtverteidigers bedarf.
Dass das Landgericht die sofortige Beschwerde des Verurteilten bereits durch nicht anfechtbaren Beschluss vom 13. März 2023 als unbegründet verworfen hat, steht der Bestellung eines Pflichtverteidigers jedenfalls deshalb nicht entgegen, weil die Verteidigung insoweit beantragt hat, das Verfahren wegen Nichtgewährung rechtlichen Gehörs in die Lage zurückzuversetzen, die vor Erlass der Entscheidung bestanden hat. Jedenfalls insoweit fehlt es nicht an einem Rechtsschutzbedürfnis für die Pflichtverteidigerbestellung.
Die Kosten- und Auslagenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung des § 467 Abs. 1 StP...