Leitsatz (amtlich)
Der von § 1696 I 1 BGB errichtete Kontinuitätsschutz setzt eine Entscheidung über die Zuordnung der elterlichen Sorge an einen oder mehrere der in Betracht kommenden Personen voraus. Bei der Ablehnung eines Eingreifens nach § 1666 BGB, weil das Kindeswohl nicht gefährdet sei, fehlt der Bezugsgegenstand der bestandsschützenden Wirkung der die Abänderung erschwerenden Norm. Die Normen, die Überprüfung der Ablehnung kindesschutzrechtlicher Maßnahmen anordnen (seit 2008: § 1696 III 2 BGB, seit 2009: § 166 III FamFG), gehen dem § 1696 I 1 BGB vor.
§ 1626a II BGB regelt eine widerlegliche Vermutung, also ein gesetzliches Leitbild, das zur Geltung zu bringen ist, wenn Einwände ausbleiben oder nicht überzeugen. Einer positiven Feststellung der Kindeswohldienlichkeit und dafür erforderlicher Tatsachen bedarf es nicht.
Es obliegt nicht dem Antragsteller, eine durch die begehrte Entscheidung bewirkte günstige Entwicklung darzulegen, sondern der Antragsgegner hat Anhaltspunkte und eine darauf beruhende ungünstige Prognose darzulegen. Gelingt ihm dies nicht oder unterbleibt jeder Vortrag zur Entwicklung des Kindeswohls, so ist der Antrag begründet.
Die gesetzliche Vermutung verbietet eine Ablehnung des auf die gemeinsame Sorge gerichteten Antrages, wenn sich neben dem Vortrag der Beteiligten keine für die gemeinsame Sorge sprechenden Gründe ermitteln lassen sollten. Solcher Ermittlungen bedarf es nicht. Allein Anhaltspunkten, die gegen die gemeinsame Sorge sprechen könnten, hätte das Gericht von Amts wegen nachzugehen.
§ 155a III 1, IV 1 FamFG ist zu entnehmen, dass die gemeinsame Sorge nicht verheirateter Eltern in einem schnellen, schriftlichen Verfahren durchgesetzt werden soll. Nur wenn Gründe bekannt werden, die gegen die gemeinsame Sorge sprechen, sind sie in mündlicher Verhandlung zu erörtern und zu prüfen. Eine der gesetzlichen Vermutung des § 1626a II BGB entsprechende Entscheidung soll ohne mündliche Verhandlung ergehen können.
Verfahrensgang
AG Zossen (Aktenzeichen 6 F 277/13) |
Tenor
Der Antragsgegnerin wird für das Beschwerdeverfahren Verfahrenskostenhilfe bewilligt. Ihr wird Rechtsanwältin ..., beigeordnet.
Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des AG Zossen vom 20.8.2014 wird zurückgewiesen.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten ihres Rechtsmittels.
Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 3.000 EUR festgesetzt.
Gründe
Der Antragsteller und die Antragsgegnerin streiten um die elterliche Sorge für ihr gemeinsames, im November 2001 geborenes Kind.
I.1. Der Antragsteller und die Antragsgegnerin sind die nicht verheirateten Eltern ihres im November 2001 geborenen Kindes. Sorgeerklärungen gaben sie nicht ab. Der Antragsteller und die Antragsgegnerin trennten sich noch vor der Geburt des Kindes voneinander. Das Kind wohnt - mit einer kurzen, in sein Säuglingsalter fallenden Unterbrechung - im Haushalt der Antragsgegnerin.
Das AG Tempelhof-Kreuzberg - 138 F 3738/02 - entzog der Antragsgegnerin im März 2002 durch einstweilige Anordnung das Aufenthaltsbestimmungsrecht, um eine Gefährdung des Kindeswohls im Haushalt der Antragsgegnerin abzuwenden (Bl. 163 f.). Die einstweilige Anordnung erledigte sich mit der Hauptsacheentscheidung, die allein Regelungen des Umgangs und zudem die Feststellung enthielt, die Antragsgegnerin versorge das Kind ausreichend (Bl. 165 ff.).
Mit dem Beschluss vom 30.8.2006 wies das AG Tempelhof-Kreuzberg - 138 F 1571/06 - einen Antrag des Antragstellers ab, ihm das Aufenthaltsbestimmungsrecht zu übertragen und die elterliche Sorge im Übrigen der Antragsgegnerin zu entziehen (Bl. 159 ff.). Das Kindeswohl sei nicht konkret gefährdet. Das Kind sei normal entwickelt und das häusliche Umfeld unauffällig.
2. Der Antragsteller hat die Übertragung der elterlichen Sorge auf beide Eltern gemeinsam beantragt. Er werde von Entscheidungen, die das Kind beträfen, ausgeschlossen. Informationen über das Kind erhalte er nicht. Er wolle über dessen Angelegenheiten mitentscheiden. Den Aufenthalt des Kindes bei der Antragsgegnerin greife er nicht an. Er fühle sich für das Kind verantwortlich und wolle durch Zusammenarbeit mit Fachkräften daran mitwirken, den Entwicklungsrückstand des Kindes auszugleichen. Die Eltern kommunizierten auf freundschaftlichem Niveau miteinander, um sich in Angelegenheiten des Kindes abzustimmen.
Die Antragsgegnerin hat sich gegen den Antrag gewandt. Den Eltern fehlten der Wille und die Fähigkeit zur Kooperation in den Angelegenheiten des Kindes. Der Antragsteller lehne Gespräche mit ihr ab. Statt mit ihr zu sprechen, hinterlasse er ihr Facebook-Nachrichten. Sobald sie aufeinanderträfen, komme es zu Streitigkeiten, die das Kind belasteten.
Das Jugendamt hat ein gemeinsames Konzept der Eltern zur Ausübung der Sorge vermisst. Es gebe sowohl bei der Antragsgegnerin als auch bei dem Kind zu wenig Vertrauen in die gemeinsame Sorge.
3. Das AG hat den Antragsteller, die Antragsgegnerin und eine Mitarbeiterin des Jugendamtes persönlich angehört (Bl. 73, 99 f.). Das Verfah...