Entscheidungsstichwort (Thema)
Sorgerecht: Entziehung von Teilbereichen des Sorgerechts, wenn ein Sorgeberechtigter die emotionalen Bedürfnisse seiner Kinder nicht erkennen und nicht auf sie eingehen kann
Leitsatz (amtlich)
1. Ergibt sich die Gefährdung des Kindeswohls nicht (mehr) in erster Linie daraus, dass eine Vernachlässigung des Haushalts und eine damit verbundene Beeinträchtigung der Kinder vorliegt, sondern hauptsächlich daraus, dass die Mutter nicht in der Lage ist, auf die emotionalen Bedürfnisse ihrer Kinder, die sie einschüchtert, zu erkennen und auf diese einzugehen, kann das Aufenthaltsbestimmungsrecht und das Recht, Schule, Hort oder Kindergarten zu bestimmen, zu entziehen sein.(Rz. 14)
2. Das Recht der Gesundheitsfürsorge ist einer Mutter zu entziehen, wenn sie die gesundheitlichen Belange der Kinder nicht hinreichend wahrnimmt.(Rz. 16)
Normenkette
BGB §§ 1666, 1666a; GG Art. 2 Abs. 1, Art. 6
Verfahrensgang
AG Strausberg (Beschluss vom 16.10.2008) |
Tenor
Auf die Beschwerde der Beteiligten zu 1. wird der Beschluss des AG Strausberg vom 16.10.2008 teilweise abgeändert.
Der Beteiligten zu 1. werden das Aufenthaltsbestimmungsrecht, das Recht zur Gesundheitsfürsorge sowie das Recht zur Regelung von Schule, Hort und Kindergarten betreffenden Angelegenheiten einschließlich der Anmeldung und Abmeldung für die Kinder B., J. und E. R. entzogen. Insoweit wird das Jugendamt des Landkreises M. zum Pfleger bestimmt.
Im Übrigen verbleibt es bei der elterlichen Sorge der Beteiligten zu 1. für die genannten Kinder.
Die weitergehende Beschwerde wird zurückgewiesen.
Kosten werden nicht erstattet.
Der Beschwerdewert beträgt 3.000 EUR.
Gründe
Die gem. § 621e ZPO zulässige Beschwerde gegen den Beschluss des AG Strausberg vom 16.10.2008, durch den der Beteiligten zu 1. die gesamte elterliche Sorge für die Kinder B. (künftig: B.), J. (künftig: J.) und E. (künftig: E.) R. entzogen worden ist, führt zu der aus der Beschlussformel ersichtlichen Entscheidung. Der angefochtene Beschluss ist insoweit abzuändern, als nur die in der Beschlussformel genannten Teilbereiche der elterlichen Sorge zu entziehen und einem Pfleger zu übertragen sind und es im Übrigen bei der elterlichen Sorge der Beteiligten zu 1. verbleiben muss. Die weitergehende Beschwerde ist unbegründet.
Nach § 1666 Abs. 1 BGB kann dem Sorgeberechtigten die elterliche Sorge entzogen werden, wenn das körperliche, geistige oder seelische Wohl des Kindes durch missbräuchliche Ausübung der elterlichen Sorge, durch Vernachlässigung des Kindes, durch unverschuldetes Versagen oder durch das Verhalten eines Dritten gefährdet wird, sofern die Eltern nicht gewillt oder in der Lage sind, die Gefahr abzuwenden, d.h. die zur Gefahrenabwehr erforderlichen Maßnahmen zu treffen. Dabei sind Maßnahmen, mit denen eine Trennung des Kindes von der elterlichen Familie verbunden ist, nur zulässig, wenn der Gefahr nicht auf andere Weise begegnet werden kann, § 1666a BGB.
Maßstab für die zu treffende Entscheidung ist das Wohl des Kindes, also der umfassende Schutz des in der Entwicklung befindlichen jungen Menschen. Eine Gefährdung des Kindeswohls liegt stets vor, wenn das Kind bereits einen Schaden erlitten hat. Sie ist aber auch dann anzunehmen, wenn die begründete gegenwärtige Besorgnis besteht, dass bei Nichteingreifen des Gerichts das Kindeswohl beeinträchtigt würde, d.h. der Eintritt eines Schadens mit ziemlicher Sicherheit zu erwarten ist (vgl. Palandt/Diederichsen, BGB, 68. Aufl., § 1666 Rz. 8). Eine begründete Besorgnis zukünftiger Schädigungen des Kindes entsteht regelmäßig aus Vorfällen in der Vergangenheit. Auf Seiten der Sorgeberechtigten ist ein Missbrauch der elterlichen Sorge nicht notwendig. Es genügt, dass sie das Kind vernachlässigen, d.h. ausreichende Maßnahmen, die unter Berücksichtigung der sozialen, kulturellen und ökonomischen Situation der Familie eine ungestörte und beständige Erziehung, Beaufsichtigung und Pflege des Kindes im Rahmen der Familie gewährleisten soll, unterlassen (vgl. Rotax/Rotax, Praxis des Familienrechts, 3. Aufl., Teil 4, Rz. 456). Möglich ist auch ein unverschuldetes Versagen der Eltern, wobei mit dem Auffangtatbestand bezweckt wird, akute und schwerwiegende Gefährdungen des körperlichen und seelischen Wohls der Kinder abzuwehren. Die Gründe für das elterliche Versagen sind unerheblich (vgl. OLG Brandenburg, 1. Senat für Familiensachen, FamRZ 2008, 1556).
Liegen diese Voraussetzungen vor, hat das Gericht die zur Gefahrenabwehr erforderlichen und geeigneten Maßnahmen unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit zu treffen. Soweit die Mutter in diesem Zusammenhang auf das grundgesetzlich geschützte Elternrecht hinweist, ist zu bedenken, dass die Menschenwürde des Kindes und sein Recht auf Entfaltung seiner Persönlichkeit ebenfalls unter dem Schutz des Grundgesetzes stehen (vgl. dazu BVerfGE 24, 119 ff., 144).
Unter Berücksichtigung der dargestellten Grundsätze sind der Mutter die in der Beschlussformel genannten Teilbereiche der elterlichen S...