Entscheidungsstichwort (Thema)
Voraussetzungen für begründete Selbstablehnung eines Richters
Normenkette
ZPO § 48
Verfahrensgang
LG Potsdam (Aktenzeichen 2 O 519/05) |
Tenor
Die Mitwirkung des Vizepräsidenten des OLG K. und der Richterin am OLG F. begründet keine Besorgnis der Befangenheit.
Gründe
I. Die Kläger nehmen den Beklagten auf Unterlassung, Widerruf und Schadensersatz wegen ehrverletzender Äußerungen in Anspruch. Die Kläger zu 2) und 3) sind Mitarbeiter der Sozialen Dienste ..., der Kläger zu 2) ist zudem Vorsitzender des Personalrats ... Die Dienst- und Fachaufsicht über die Sozialen Dienste der Justiz obliegt dem Präsidenten des OLG. Die behördeninterne Zuständigkeit liegt aufgrund Organisationsverfügung und Geschäftsverteilung bei dem Vizepräsidenten des OLG K. und der Richterin am OLG F., die nach der Verteilung der richterlichen Geschäfte zugleich zur Ausübung des Richteramts in dem Rechtsstreit berufen sind. Mit Verfügungen vom 21.10. und 6.11.2008 hat der Vizepräsident des OLG K. den Parteien angezeigt, dass sowohl er als auch Richterin am OLG F. Dienstvorgesetzte der Kläger zu 2) und 3) seien. Unter Bezugnahme auf diese Verfügungen hat die Richterin am OLG F. unter dem 17.11.2008 ebenfalls diesen möglichen Ablehnungsgrund angezeigt. Die Kläger haben mitgeteilt, dass keine Bedenken gegen eine Mitwirkung der Richter bestünden. Der Beklagte hat erklärt, dass die Anzeige keine "Veranlassung zur Einlassung" gebe.
Die von den Richtern K. und F. angezeigten Verhältnisse rechtfertigen ihre Ablehnung nicht (§ 48 ZPO; sog. Selbstablehnung). Nach § 42 Abs. 1 ZPO kann ein Richter namentlich wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden. Die Ablehnung findet statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen (§ 42 Abs. 2 ZPO).
Maßgebend dafür ist, ob bei vernünftiger Würdigung aller Umstände ein Anlass gegeben ist, an der Unvoreingenommenheit und objektiven Einstellung der Richter zu zweifeln (st. Rspr., BGHZ 77, [70, 72]; 156 [269, 270]; NJW 2006, 2492 [2494]). Es gelten mithin die gleichen Maßstäbe wie bei der Fremdablehnung (BGH, NJW 1995, 1677 [1679]: "Sicht der Prozessparteien bei vernünftiger Betrachtungsweise"; ferner Zöller/Vollkommer, ZPO, 27. Aufl. 2009, § 48 Rz. 2).
Ein solcher Anlass ist aus Sicht der Prozessparteien nicht gegeben. Die Kläger, die von der Vorgesetzteneigenschaft der beiden Richter primär betroffen sind, haben ausdrücklich erklärt, deswegen keine Befangenheit zu besorgen. Der Beklagte hat mitgeteilt, keinen Anlass für eine Einlassung zu sehen.
Diese Einschätzungen der Parteien wären bei vernünftiger Betrachtungsweise nur dann unbeachtlich, wenn die erkennenden Richter entweder tatsächlich befangen wären oder sich selbst ernsthaft für befangen hielten (vgl. hierzu Hartmann, ZPO, 67. Aufl. 2009, § 48 Rz. 10; Sächs. LSG, Beschl.v. 6.2.2003 - L 3 AR 123/02, zit. nach juris, dort Rz. 11). Denn es ist gleichermaßen unvernünftig, eine beim Richter erkannte wie eine von diesem selbst ernsthaft vermeinte Befangenheit nicht zu besorgen. Von beidem kann hier indes keine Rede sein. Die Vorgesetztenfunktionen der Richter haben lediglich allgemeinen Bezug zum Streitgegenstand, der in der außerdienstlichen Sphäre der Kläger zu 2) und 3) liegt. Die Richter haben auch keine persönlichen Beziehungen oder Kontakte angezeigt, die über ihre Stellung als Dienstvorgesetzte hinausgehen (vgl. dazu BayObLG, MDR 1988, 970). Noch weniger findet sich in den Selbstanzeigen ein Anhaltspunkt dafür, dass sich die Richter selbst ernsthaft für befangen ansehen (vgl. auch Wiezcorek/Schütze/Niemann, ZPO, 3. Aufl. 1994, § 48 Rz. 1; Zöller/Vollkommer, a.a.O., § 48 Rz. 3: "ernstlicher Gewissenskonflikt").
Unter diesen Umständen liefe die Bejahung von Besorgnis der Befangenheit gegen den Willen der Parteien auf eine willkürliche Entziehung des durch Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG grundrechtsgleich garantierten gesetzlichen Richters hinaus. Die Justizgewährungspflicht kann verfassungskonform nicht allein durch Bereitstellung eines (beliebigen) unparteiischen Richters erfüllt werden, weil der gesetzliche Richter auch bei Ersetzung eines Richters, dessen Befangenheit nicht zu besorgen ist, vorenthalten wird (st. Rspr., für die Selbstablehnung BVerfG, NJW 1993, 2229 [2230]). Dementsprechend liegen begründeten Selbstablehnungen in der Praxis der Fachgerichte regelmäßig Fälle zu Grunde, in denen wenigstens eine Partei, wenn auch nicht notwendig diejenige, in deren Person ein Ablehnungsgesuch erfolgreich wäre (arg. e § 42 Abs. 3 ZPO), zu erkennen gegeben hat, Befangenheit des Richters zu besorgen (BGH, Beschl. v. 5.3.2001 - I ZR 58/00, zit. nach juris, dort Rz. 10, 17; BGH, Senat für Anwaltssachen, Beschl. v. 17.2.2005 - AnwZ 1/03, zit. nach juris, dort Rz. 3).
Fundstellen
Haufe-Index 2106891 |
OLGR-Ost 2009, 307 |