Entscheidungsstichwort (Thema)
Umfang der Verpflichtung des arbeitslosen Unterhaltspflichtigen bei der Arbeitssuche. Höhe anzusetzender fiktiver Einkünfte im Falle nicht ausreichender Erwerbsbemühungen
Leitsatz (amtlich)
1. Der Arbeitsuchende muss praktisch die gesamte Zeit, die ein voll Erwerbstätiger berufstätig wäre, für die Arbeitsuche aufwenden. 20 bis 30 Bewerbungen im Monat sind daher grundsätzlich zumutbar. Allein der Umstand, dass Bewerbungskosten nur i.H.v. 260 EUR jährlich von der Arbeitsverwaltung übernommen werden (§ 46 Abs. 1 SGB III), hat nicht zur Folge, dass vom Unterhaltsschuldner nur 4 bis 5 Bewerbungen monatlich verlangt werden könnten.
2. Die Höhe fiktiver Einkünfte im Falle nicht ausreichender Erwerbsbemühungen hängt von den Umständen des Einzelfalles, insb. von der Ausbildung und dem beruflichen Werdegang des Unterhaltsschuldners, ab.
Normenkette
BGB § 1603 Abs. 2
Verfahrensgang
AG Fürstenwalde (Urteil vom 01.06.2005; Aktenzeichen 10 F 258/03) |
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das am 1.6.2005 verkündete Urteil des AG Fürstenwalde abgeändert.
Unter Abänderung des am 10.10.2001 vor dem AG Fürstenwalde abgeschlossenen Teilvergleichs (10 F 489/00) wird die Klägerin verurteilt, an die Beklagte zu Händen ihres gesetzlichen Vertreters folgenden monatlichen Unterhalt, den zukünftigen jeweils monatlich im Voraus bis zum 5. eines jeden Monats, zu zahlen,
- je 160 EUR für die Zeit vom 15.9.2003 bis zum 30.6.2005,
- je 110 EUR ab 1.7.2005.
Die weitergehende Klage wird abgewiesen.
Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.
Von den Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens hat die Klägerin 78 % zu tragen, die Beklagte 22 %. Die Kosten des Berufungsverfahrens werden der Klägerin zu 63 % und der Beklagten zu 37 % auferlegt.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
I. Die Parteien streiten um Wegfall titulierten Kindesunterhalts, und zwar nunmehr nur noch ab 15.9.2003.
Die am 5.6.1960 geborene Klägerin ist die Mutter der am 17.9.1990 geborenen Beklagten, die bei ihrem Vater lebt. Die Ehe der Klägerin mit dem Vater der Beklagten wurde durch Urteil des AG vom 25.9.2002 - 10 F 386/98 -, rechtskräftig seit dem 8.11.2002, geschieden.
Durch Teilvergleich vom 10.10.2001, abgeschlossen von den Eltern der Beklagten, verpflichtete sich die Klägerin, für die Beklagte unter Abänderung einer Jugendamtsurkunde vom 16.12.1997 u.a. laufenden Unterhalt ab 1.7.2001 i.H.v. monatlich 420 DM (= 214,74 EUR) zu zahlen. Grundlage des Vergleichs war ein bereinigtes Nettoeinkommen der Klägerin von 2.217 DM. Durch Teil- und Schlussurteil vom 14.11.2001 wies das AG die über den Teilvergleich vom 10.10.2001 hinausgehende Klage ab. Eine auf Anhebung des titulierten Unterhalts gerichtete Abänderungsklage (10 F 272/02) nahm die Beklagte noch im Prozesskostenhilfeverfahren unter dem 1.7.2003 zurück.
Mit der am 5.6.2003 beim AG eingegangenen Klage hat die Klägerin unter Hinweis auf ihre seit dem 1.5.2002 bestehende Arbeitslosigkeit den Wegfall der Unterhaltspflicht von diesem Zeitpunkt an begehrt.
Durch das angefochtene Urteil hat das AG unter Abänderung des Teilvergleichs vom 10.10.2001 den Wegfall der Unterhaltspflicht der Klägerin ab 15.9.2003 festgestellt und die Klage im Übrigen abgewiesen. Wegen der weiteren tatsächlichen Feststellungen wird gem. § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO auf das angefochtene Urteil Bezug genommen.
Gegen diese Entscheidung wendet sich die Beklagte mit der Berufung. Sie trägt vor:
Zu Unrecht sei das AG davon ausgegangen, dass die Klägerin finanziell nicht in der Lage gewesen sei, sich häufiger zu bewerben. Neben schriftlichen Bewerbungen könnten auch Bewerbungen durch persönliche Vorsprachen und telefonische Anfragen erfolgen. Außerdem seien zunehmend Bewerbungen im Internet verbreitet. Des Weiteren existierten neben der Stellenbörse der Bundesagentur für Arbeit unzählige private Stellenbörsen. Insbesondere für einfache und mittlere Berufe werde der Arbeitsmarkt zunehmend auf Zeitarbeitsfirmen verlagert.
Das AG habe sich auch nicht mit ihren, der Beklagten, Einwänden zu Art und Zeiträumen der behaupteten Bewerbungen auseinandergesetzt.
Schließlich sei bereits erstinstanzlich geltend gemacht worden, dass die Klägerin leichtfertig ihre sichere Arbeitsstelle bei der Firma F. aufgegeben habe. Ohne Eigenkündigung wäre die Klägerin noch heute in diesem Betrieb beschäftigt.
Die Beklagte beantragt, unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Sie trägt vor:
Zu Recht sei das AG davon ausgegangen, dass sie sich in einem weitergehenden Umfang aus finanziellen Gründen nicht um eine Arbeitsstelle hätte bemühen können. Im Übrigen habe sie sich nicht nur schriftlich, sondern durch persönliche Vorsprachen und telefonisch beworben. Auch Bewerbungen bei Zeitarbeitsfirmen habe sie vorgenommen.
Es sei zu bestreiten, dass sie ohne Eigenkündigung der Stelle bei der Firma F. noch heute in diesem Betrieb beschäftigt wäre. Bereits 1997 habe es einen Umsatzrückgang gegeb...