Leitsatz (amtlich)

Legt eine Partei im einstweiligen Anordnungsverfahren eine sofortige Beschwerde nach § 620c ZPO ein, besteht im Hinblick auf § 572 Abs. 1 ZPO die Amtspflicht des Gerichts, dessen Entscheidung angefochten wird, zunächst zu prüfen, ob die Beschwerde begründet ist. Dabei sind mit Rücksicht auf § 571 ZPO n.F. vorgebrachte neue Tatsachen zu beachten und in die Prüfung einzubeziehen.

 

Verfahrensgang

AG Frankfurt (Oder) (Beschluss vom 27.02.2002; Aktenzeichen 5.3 F 143/01)

 

Tenor

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.

Die Sache wird zur anderweitigen Behandlung und Entscheidung an das AG zurückverwiesen.

 

Gründe

Die gem. § 620c ZPO zulässige sofortige Beschwerde führt zu der aus der Beschlussformel ersichtlichen Entscheidung. Der angefochtene Beschluss ist wegen eines wesentlichen Verfahrensfehlers aufzuheben und die Sache gem. § 572 Abs. 3 ZPO i.d.F. des am 1.1.2002 in Kraft getretenen Zivilprozessreformgesetzes (ZPO-RG) vom 27.7.2001 (BGBl. I S. 1887, 1903) zur erneuten Behandlung und Entscheidung an das AG zurückzuverweisen. Denn das AG hat sich mit dem Beschwerdevorbringen nicht erkennbar auseinandergesetzt.

Gemäß § 572 Abs. 1 ZPO n.F. hat das erstinstanzliche Gericht der Beschwerde, wenn es sie für begründet erachtet, abzuhelfen, andernfalls die Beschwerde unverzüglich dem Beschwerdegericht vorzulegen. Diese Vorschrift gilt, anders als noch § 571 ZPO a.F., für sämtliche sofortigen Beschwerden i.S.d. §§ 567 ff. ZPO n.F. und damit auch für die sofortige Beschwerde nach § 620c ZPO (Zöller/Philippi, ZPO, 23. Aufl., § 620c Rz. 22; Thomas/Putzo/Hüßtege, ZPO, 24. Aufl., § 620c Rz. 1; Baumbach/Lauterbach/Albers, ZPO, 60. Aufl., § 620c Rz. 2; a.A. Musielak/Borth, ZPO, 3. Aufl., § 620c Rz. 9). Im Hinblick auf

§ 572 Abs. 1 ZPO n.F. besteht die Amtspflicht des Gerichts, dessen Entscheidung angefochten wird, zunächst zu prüfen, ob die Beschwerde begründet ist (Thomas/Putzo/Reichold, ZPO, 24. Aufl., § 572 Rz. 3). Dabei sind mit Rücksicht auf § 571 ZPO n.F. (vgl. hierzu Thomas/Putzo/Reichold, ZPO, 24. Aufl., § 571 Rz. 2) vorgebrachte neue Tatsachen zu beachten und in die Prüfung einzubeziehen (vgl. OLG Hamm v. 23.6.1988 – 1 WF 292/88, MDR 1988, 871; OLG Köln FamRZ 1986, 487; Verfahrenshandbuch Familiensachen – FamVerf -/Gutjahr, § 1 Rz. 191). Weiterhin ist zu beachten, dass mit § 572 Abs. 1 ZPO n.F. der Zweck verfolgt wird, die Kosten verursachende Befassung des Beschwerdegerichts mit der Sache zu vermeiden, wenn gebotene Korrekturen der Erstentscheidung unschwer durch das Erstgericht selbst vorgenommen werden können (vgl. die Gesetzesbegründung, BT-Drucks. 14/4722, 114 [115], abgedr. bei Hannich/Meyer/Seitz/Engers, ZPO-Reform, Einführung-Texte-Materialien, S. 405 f.). Hilft das erstinstanzliche Gericht der Beschwerde nicht ab, so ist diese Entscheidung jedenfalls dann zu begründen, wenn mit der Beschwerde neue Tatsachen oder Gesichtspunkte vorgetragen werden, die das Erstgericht für widerlegt oder unerheblich hält (OLG Köln FamRZ 1986, 487; Zöller/Gummer, ZPO, 23. Aufl., § 572, Rz. 11; Baumbach/Lauterbach/Albers, ZPO, 60. Aufl., § 572 Rz. 8; Braun in MünchKomm, ZPO, 3. Aufl., § 572 Rz. 8; Musielak/Ball, ZPO, 3. Aufl., § 572 Rz. 9). Eine solche Begründung darf sich nicht darin erschöpfen, auf die Gründe des angefochtenen Beschlusses zu verweisen (OLG Hamm v. 8.10.1990 – 23 W 527/90, MDR 1991, 452). Denn dann ist nicht erkennbar, dass sich das Erstgericht mit dem maßgeblichen materiellen Vorbringen überhaupt befasst hat (vgl. OLG Karlsruhe v. 26.11.1990 – 16 WF 236/90, FamRZ 1991, 349 [350]). Da in einem solchen Fall die maßgeblichen Ausführungen des Beschwerdeführers völlig übergangen werden (vgl. OLG Brandenburg v. 5.10.1999 – 9 WF 187/99, FamRZ 2000, 1098 [1099], OLG Celle v. 23.10.1985 – 4 W 145/85, MDR 1986, 154; s. auch FamVerf/Gutjahr, § 1 Rz. 193) liegt ein erheblicher Verfahrensmangel vor, der die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung durch das Beschwerdegericht und die Zurückverweisung an das Gericht der ersten Instanz gebietet (Braun in MünchKomm, ZPO, 3. Aufl., § 572, Rz. 8; Stein/Jonas/Grunsky, ZPO, 21. Aufl., § 571 Rz. 6). Insofern gilt im Hinblick auf § 572 Abs. 3 ZPO n.F. nichts anderes als im Anwendungsbereich des § 575 ZPO a.F.. Denn beide Vorschriften sind in ihrem Wortlaut identisch. Es ist nichts dafür ersichtlich, dass der Gesetzgeber aufgrund des ZPO-RG insoweit eine Rechtsänderung herbeiführen wollte. In den Gesetzgebungsmaterialien findet sich dementsprechend allein der Hinweis, dass § 572 Abs. 3 ZPO n.F. dem bisherigen § 575 ZPO a.F. entspreche (Hannich/Meyer/Seitz/Engers„ ZPO-Reform, Einführung-Texte-Materialien, S. 407). Unter Berücksichtigung der genannten Grundsätze ist vorliegend der Beschluss des AG aufzuheben und die Sache zur erneuten Befassung und Entscheidung zurückzuverweisen.

Durch den angefochtenen Beschluss hat das AG dem Antragsteller Teilbereiche der elterlichen Sorge für die gemeinsamen Kinder J. und P. der Parteien im Wege der einstweiligen Anordnung übertragen u...

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