Entscheidungsstichwort (Thema)
Wohnungszuweisung nach § 2 GewSchG: Prüfungsmaßstab - Schutzmaßnahmen
Leitsatz (amtlich)
1. Einer Wohnungszuweisung nach dem GewSchG kann die ernsthafte Selbstmordgefährdung des Antragsgegners als ein besonders schwerwiegender Belang nach § 2 Abs. 3 Nr. 3 GewSchG entgegenstehen.
2. Muss die Prüfung des Vorliegens eines Tatbestandsmerkmals einem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben, so beurteilt sich im Verfahren einer gleichgerichteten einstweiligen Anordnung ein dringendes Bedürfnis zum sofortigen Einschreiten nach einer Folgenabwägung über die Nachteile, die für die Rechte und Interessen der Beteiligten entstehen, wenn die einstweilige Anordnung unterbliebe, die Hauptsache aber im Sinne der Antragstellerin entschieden würde, verglichen mit den Nachteilen, die durch die vorläufige Maßnahme eintreten könnten, die aber aufzuheben und rückabzuwickeln wären, wenn sich der Antrag in der Hauptsache als erfolglos erweisen sollte.
3. Auch im Rahmen des § 2 GewSchG können gerichtliche Schutzmaßnahmen nach § 1 GewSchG ausgesprochen werden (vgl. BeckOGK/Schulte-Bunert, 1.5.2020 Rn. 32, GewSchG § 2 Rn. 32).
Verfahrensgang
AG Senftenberg (Aktenzeichen 31 F 104/19) |
Tenor
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Amtsgerichts Senftenberg vom 04.10.2019 wird zurückgewiesen, mit der Maßgabe, dass die vom Amtsgericht ausgesprochene Befristung der Maßnahmen bis zum 01.12.2020 verlängert wird.
Die Antragstellerin hat die Kosten der Beschwerde zu tragen.
Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 1.500 EUR festgesetzt
Gründe
1. Die beschwerdeführende Antragstellerin erstrebt im einstweiligen Anordnungsverfahren nach dem Gewaltschutzgesetz die unbefristete Zuweisung einer mit dem Antragsgegner gemeinsam genutzten Doppelhaushälfte zur alleinigen Nutzung.
Die Antragsbeteiligten sind verheiratet und Miteigentümer eines ihre Doppelhaushälfte beherbergenden Grundstücks. Der 1940 geborene Antragsgegner steht wegen einer subkortikalen vaskulären Enzephalopathie mit einer 2018 noch leichten subkortikalen Demenzform und organisch bedingten Persönlichkeitsveränderungen unter Betreuung (vgl. 8, 89 - 91).
Mit dem angefochtenen Beschluss, auf den der Senat wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes verweist, hat das Amtsgericht gemäß § 1 GewSchG Schutzmaßnahmen zugunsten der Antragstellerin angeordnet und ihr nach § 2 GewSchG das Obergeschoss der Doppelhaushälfte zur alleinigen Benutzung zugewiesen, jeweils befristet bis zum 04.04.2020. Eine Zuweisung des Obergeschosses trage mit den Schutzmaßnahmen ihrem Sicherheitsbedürfnis Rechnung, eine Zuweisung der gesamten Doppelhaushälfte sei nach § 2 Abs. 3 Nr. 3 GewSchG wegen Erkrankung des Antragsgegners ausgeschlossen.
Mit ihrer hiergegen gerichteten Beschwerde verfolgt die Antragstellerin ihr Überlassungsbegehren uneingeschränkt weiter. Sie erachtet die Überlassungsanordnung als unzureichend.
Der Antragsgegner verteidigt den angefochtenen Beschluss. Seine Verfahrensbevollmächtigte hebt die Selbstmordabsicht des Antragsgegners für den Fall eines Auszuges hervor.
Wegen der weiteren Einzelheiten des zweitinstanzlichen Sach- und Streitstandes verweist der Senat auf die Korrespondenz im Beschwerderechtszug. Er entscheidet ohne mündliche Verhandlung (§ 68 Abs. 3 S 3 FamFG), von der ein weiterer Erkenntnisgewinn nicht zu erwarten war. Das Amtsgericht hat die Beteiligten gehört und sein ausführlicher Bericht vom 30.09.2019 vermittelt mit dem Gutachten des Prof. Dr. med. ... ein deutliches Bild der maßgeblichen Gegebenheiten.
2. Die nach §§ 57 S. 2 Nr. 4, 58 ff FamFG statthafte und auch im Übrigen zulässige Beschwerde bleibt, abgesehen von der Verlängerung der Befristung, ohne Erfolg.
Eine unbefristete Überlassungsanordnung hat im einstweiligen Verfügungsverfahren auf Grund des Verbotes der Vorwegnahme der Hauptsache regelmäßig auszuscheiden; dementsprechend kommt nach § 214 Abs. 1 FamFG grundsätzlich nur eine vorläufige Regelung in Betracht.
Zudem scheiterte eine unbefristete Überlassung der Wohnung selbst in einem als Hauptsache geführten Gewaltschutzverfahren an der dinglichen Mitberechtigung des Antragsgegners (§ 2 Abs. 2 S 2 GewSchG).
Bei der vom Amtsgericht getroffenen vorläufigen Regelung, nach der vorerst auch dem Antragsgegner eine Wohnmöglichkeit in der Doppelhaushälfte verbleibt, hat es im einstweiligen Anordnungsverfahren zu verbleiben. Nach dem Beschwerdevorbringen kommt die Selbstmordgefährdung des Antragsgegners als ein besonders schwerwiegender Belang nach § 2 Abs. 3 Nr. 3 GewSchG in Betracht.
In welchem Ausmaß eine Selbstmordgefährdung des Antragsgegners vorliegt ist im Eilverfahren nicht eindeutig zu entscheiden. Nach der eidesstattlichen Versicherung seiner Tochter vom 23.09.2019 hat er dahingehende konkrete Äußerungen unter Hinweis auf bereits getroffenen Vorbereitungen bereits im November 2018 im Beisein zahlreicher professionell mit seiner Lage befasster Personen gemacht und wiederholt. Dies und die von der Tocht...