Entscheidungsstichwort (Thema)
Auslegung des Inhalts einer Rechtsmittelfrist
Verfahrensgang
LG Frankfurt (Oder) (Entscheidung vom 25.04.2005; Aktenzeichen 24 Ns 97/04) |
AG Schwedt (Entscheidung vom 09.06.2004; Aktenzeichen 2 Ls 29/04) |
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde des Angeklagten wird der Beschluss der 4. Strafkammer des Landgerichts Frankfurt/Oder vom 25. April 2005 aufgehoben.
Dem Angeklagten wird von Amts wegen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der Berufung gegen das Urteil des Amtsgerichts Schwedt/Oder vom 9. Juni 2004 gewährt.
Die Kosten der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand fallen dem Angeklagten zur Last.
Gründe
I.
Das Amtsgericht verurteilte den Angeklagten am 9. Juni 2004 wegen vorsätzlicher Trunkenheit im Verkehr, versuchten Diebstahls im besonders schweren Fall sowie vorsätzlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Bedrohung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Monaten, deren Vollstreckung es zur Bewährung aussetzte. Gegen das in Anwesenheit des Angeklagten verkündete Urteil legte dieser mit einem selbst verfassten Schreiben Berufung ein, das am 17. Juni 2004 bei dem Amtsgericht einging. Das Berufungsschreiben des Angeklagten datiert - wie bei Betrachtung mit einem geeigneten Vergrößerungsglas erkennbar wird - vom 12. Juni 2004. Der Briefumschlag, mit dem das Berufungsschreiben befördert wurde, befindet sich nicht bei den Akten.
Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Landgericht die Berufung des Angeklagten als unzulässig verworfen, weil sie nicht bis zum Ablauf der einwöchigen Rechtsmittelfrist am 16. Juni 2004 eingelegt worden war. Hiergegen richtet sich die rechtzeitig eingelegte und vom Pflichtverteidiger verfasste sofortige Beschwerde des Angeklagten, der sich gegen die mit der Verwerfung seiner Berufung verbundene Kostenfolge wendet.
II.
Das Rechtsmittel des Angeklagten hat Erfolg, weil ihm von Amts wegen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der Berufung gegen das Urteil des Amtsgerichts vom 9. Juni 2004 zu gewähren ist.
Die Berufung des Angeklagten ist einen Tag nach Ablauf der Frist des § 314 Abs. 1 StPO bei Gericht eingegangen und deshalb verspätet. Im vorliegenden Fall ist jedoch der Briefumschlag, mit dem das Berufungsschreiben des Angeklagten befördert wurde, nicht zu den Sachakten genommen worden. Es entspricht der ständen Rechtsprechung des Senats (vgl. Senat vom 26.6.2002 - 2 Ws 189/02 -, 27.6.2002 - 2 Ws 182/02 - und vom 1.8.2002 - 2 Ws 197/02 -), dass in einem solchen Fall dem Rechtsmittelführer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren ist, wenn die Fristversäumung auf einer überlangen Postlaufzeit beruhen kann. Die Dauer der Postbeförderung kann ohne Kenntnis des Poststempels auf dem Briefumschlag nicht festgestellt werden. Ergibt sich nicht aus anderen Umständen, etwa aus der Datierung der Rechtsmittelschrift, dass die Fristversäumung nicht auf einer überlangen Postlaufzeit beruht, wirkt die verbleibende Ungewissheit zu Gunsten des Rechtsmittelführers, weil diese gerade durch die Aktenbehandlung seitens der Justizbehörden herbeigeführt worden ist. So ist es hier, denn die Datierung der Berufungsschrift auf den 12. Juni 2002 - und nicht etwa auf den 16. Juni 2002, wie die Generalstaatsanwaltschaft meint - lässt die Möglichkeit offen, dass die Berufungsfrist infolge einer überlangen Postlaufzeit versäumt wurde.
Bei dieser Sachlage hebt der Senat die angefochtene Entscheidung auf und gewährt dem Angeklagten von Amts wegen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der Berufung.
An dieser Entscheidung ist der Senat auch nicht etwa deshalb gehindert, weil die vom Pflichtverteidiger verfasste sofortige Beschwerde des Angeklagten etwa auf die Anfechtung des Kostenausspruchs des Beschlusses des Landgerichts vom 25. April 2005 beschränkt wäre. Ein solcher Beschränkungswillen lässt sich dem Inhalt der Rechtsmittelschrift bei verständiger Auslegung nicht entnehmen, weil es dem Angeklagten gerade um die umfängliche Beseitigung der für ihn nachteiligen Kostenfolgen geht; dieses Ziel kann er aber nur bei Aufhebung des (gesamten) angefochtenen Beschlusses erreichen. Zudem ist der Inhalt der Rechtsmittelschrift im Zusammenhang mit den vorhergehenden Erklärungen des Angeklagten auszulegen, mit denen er gerade zum Ausdruck gebracht hat, dass er den Schuldspruch des angefochtenen Urteils jedenfalls teilweise nicht akzeptieren will.
III.
Die Entscheidung über die Kosten der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand folgt aus § 473 Abs. 7 StPO. Im Übrigen ist eine Kosten- und Auslagenentscheidung nicht veranlasst.
Fundstellen
Haufe-Index 2569749 |
wistra 2006, 36 |
NZV 2006, 316 |
OLG-NL 2005, 288 |