Leitsatz (amtlich)
Die Voraussetzungen für eine öffentliche Zustellung unter den erleichterten Voraussetzungen des § 40 Abs. 3 StPO liegt nicht vor, wenn der Angeklagte entgegen § 35a Satz Abs. 2 StPO nicht zuvor über die Rechtsfolgen der §§ 40 Abs. 3, 329 ff. StPO belehrt worden war.
Verfahrensgang
LG Potsdam (Entscheidung vom 06.12.2016) |
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde des Angeklagten wird der Beschluss des Landgerichts Potsdam vom 6. Dezember 2016 aufgehoben.
Dem Angeklagten wird auf seine Kosten Wiedereinsetzung in die Berufungshauptverhandlung gewährt.
Das Verwerfungsurteil der 6. kleinen Strafkammer des Landgerichts Potsdam vom 8. November 2016 und die dagegen von dem Angeklagten eingelegte Revision sind gegenstandslos.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die dem Angeklagten insoweit entstandenen notwendigen Auslagen fallen der Landeskasse zur Last.
Gründe
I.
Das Amtsgericht ... verurteilte den Angeklagten am 11. Januar 2016 ... zu einer Freiheitsstrafe von 7 Monaten, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Ausweislich des Hauptverhandlungsprotokolls wurde auf eine Rechtsmittelbelehrung "im allseitigen Einverständnis verzichtet". Gegen dieses Urteil legte der Angeklagte mit dem am 15. Januar 2016 beim Amtsgericht ... eingegangenen anwaltlichen Schriftsatz vom selben Tage "Rechtsmittel" ein, was er mit weiterem Anwaltsschriftsatz vom 26. Januar 2016 als Berufung konkretisierte.
Nach Eingang der Akten beim Berufungsgericht hat die Vorsitzende der zuständigen 6. kleinen Strafkammer Termin zur Hauptverhandlung über die Berufung des Angeklagten auf den 8. November 2016 anberaumt. Die an die bisher bekannte Anschrift ....adressierte Ladung an den Angeklagten gelangte am 22. September 2016 mit dem Vermerk "Adressat unter der angegebenen Anschrift nicht zu ermitteln" zurück. Mit Beschluss vom 4. Oktober 2016 ordnete die Kammervorsitzende - ohne weitere Ermittlungen über den Aufenthalt des Angeklagten anzustellen - die öffentliche Zustellung der Ladung zur Hauptverhandlung gemäß § 40 Abs. 3 StPO durch Aushang an der Gerichtstafel des Landgerichts Potsdam an, da der Angeklagte "unter der Adresse, die er zuletzt angegeben hat, nicht geladen werden" konnte. Über die Möglichkeit der öffentlichen Zustellung in einem vom Angeklagten betriebenen Berufungsverfahren unter den erleichterten Voraussetzungen des § 40 Abs. 3 StPO und deren Rechtsfolgen war der Angeklagte zuvor weder nach Urteilsverkündung durch das Amtsgericht ... am 11. Januar 2016 noch durch das Berufungsgericht belehrt worden. Das Dokument über die öffentliche Zustellung wurde am 5. Oktober 2016 an der Gerichtstafel des Landgerichts Potsdam ausgehängt und am 25. Oktober 2016 abgenommen.
Zur Berufungshauptverhandlung am 8. November 2016 erschien lediglich der Verteidiger des Angeklagten, nicht jedoch der Angeklagte. Hierauf hat die 6. kleine Strafkammer die Berufung des Angeklagten mit Urteil vom selben Tage wegen unentschuldigten Ausbleibens in der Hauptverhandlung verworfen; eine Vertretung durch den Verteidiger des Betroffenen hat das Berufungsgericht verneint, da eine "weitere", die Vertretung in Abwesenheit betreffende Vollmachtsurkunde nicht vorgelegen habe.
Nach Zustellung der Urteilsausfertigung am 17. November 2016 beantragte der Verteidiger für den Angeklagten mit dem bei Gericht am 22. November 2016 angebrachten Schriftsatz Wiedereinsetzung in die Berufungshauptverhandlung und legte zugleich gegen das Verwerfungsurteil Revision ein. Mit weiterem Anwaltsschriftsatz vom 20. Dezember 2016, eingegangen bei Gericht am selben Tag, hat der Angeklagte die Revision begründet.
Mit dem im Tenor genannten Beschluss vom 6. Dezember 2016 hat die 6. kleine Strafkammer des Landgerichts Potsdam den Antrag des Angeklagten auf Wiedereinsetzung in die Berufungshauptverhandlung als unzulässig verworfen, weil die Wiedereinsetzungsgründe nicht glaubhaft gemacht worden seien.
Gegen diese dem Verteidiger des Angeklagten am 19. Dezember 2016 zugestellte Entscheidung hat er mit anwaltlichem Schriftsatz vom 22. Dezember 2016, eingegangen beim Landgericht am selben Tage, sofortige Beschwerde erhoben.
Die Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg hält das Rechtsmittel für begründet und hat mit Stellungnahme vom 12. April 2017 beantragt, den Beschluss des Landgerichts Potsdam vom 6. Dezember 2016 aufzuheben und dem Angeklagten auf seine Kosten Wiedereinsetzung in die Berufungshauptverhandlung zu gewähren. Dem ist die Nebenklägerin mit Anwaltsschriftsatz vom 22. Mai 2017 entgegengetreten.
II.
Der Senat folgt dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg.
Die nach §§ 329 Abs. 7, 46 Abs. 3 StPO statthafte und gemäß §§ 306 Abs. 1, 311 Abs. 2 StPO form- und fristgerecht eingelegte sofortige Beschwerde hat in der Sache Erfolg.
Dem Angeklagten ist wegen unwirksamer, durch öffentliche Zustellung erfolgter, Terminladung Wiedereinsetzung in die Berufungshauptverhandlung mit der Folge zu gewähren, dass das ebenfalls angefochtene Verwerfungsurteil sowie die...