Entscheidungsstichwort (Thema)
Aufhebung der Ehe wegen Geschäftsunfähigkeit
Leitsatz (amtlich)
Zu den Voraussetzungen der Beurteilung der Ehegeschäftsunfähigkeit (hier verneint).
Normenkette
BGB § 104 Nr. 2, §§ 1304, 1314 Abs. 1
Verfahrensgang
AG Nauen (Aktenzeichen 20 F 38/09) |
Tenor
Auf die Berufung der Antragsgegnerin zu 2. wird die Klage des Antragstellers auf Aufhebung der am 21.10.2008 vor der Standesbeamtin des Standesamtes in Nauen (Heiratsregister-Nr. 64/08) geschlossenen Ehe des Antragsgegners zu 1. und der Antragsgegnerin zu 2. abgewiesen.
Der Antragsteller hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Gründe
I. Die Antragsgegnerin zu 2. und der Antragsgegner zu 1. haben am 21.10.2008 die Ehe geschlossen, deren Aufhebung der Antragsteller begehrt.
Auf die tatsächlichen Feststellungen in dem angefochtenen Urteil wird Bezug genommen
(§ 540 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO). Das AG hat der Klage stattgegeben und die Ehe gem. § 1313 BGB aufgehoben, da nach seiner Ansicht die Voraussetzungen der §§ 1304, 1314 Abs. 1 BGB vorliegen. Zur Begründung hat das AG ausgeführt, die Beweisaufnahme habe ergeben, dass der Antragsgegner zu 1. infolge seiner krankhaften Störung nicht in der Lage gewesen sei, die Bedeutung der von ihm abgegebenen Willenserklärung zu erfassen und seine Entscheidung von vernünftigen Erwägungen abhängig zu machen.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung der Antragsgegnerin zu 2., die als Betreuerin für den Antragsgegner zu 1. vom AG bestellt worden war, und zwar für die Bereiche Gesundheitsfürsorge, Aufenthaltsbestimmung, Wohnungsangelegenheiten, Finanzen und sonstige Vermögensangelegenheiten, Rentenangelegenheiten, Post- und Fernmeldekontrolle sowie Behördenvertretung. Zur Begründung ihrer Berufung führt die Antragsgegnerin zu 2. aus, das AG habe die Zeugenaussagen der Dres. H. und A. falsch gewürdigt. Im Übrigen habe es aber auch auf lange zurückliegende Sachverständigengutachten seine Entscheidung gestützt, während es ausschließlich auf den geistigen Zustand des Antragsgegners zu 1. im Zeitpunkt der Eheschließung angekommen sei.
Die Antragsgegnerin zu 2. beantragt, das Urteil des AG Nauen vom 17.7.2009 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Antragsteller beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Er verteidigt das erstinstanzliche Urteil unter Vertiefung seines erstinstanzlichen Vorbringens.
II. Die form- und fristgerecht eingelegte und begründete Berufung der Antragsgegnerin zu 2. ist zulässig.
Auch in der Sache hat das Rechtsmittel Erfolg und muss zu einer Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung führen. Der Antragsteller hat beide Ehegatten verklagt mit der Folge, dass sie notwendige Streitgenossen sind (§ 62 ZPO; BGH NJW 1976, 1590). Das hier von der Antragsgegnerin zu 2. eingelegte Rechtsmittel kommt mithin allen Streitgenossen zugute, hier also auch dem Antragsgegner zu 1.
Entgegen der von dem AG vertretenen Ansicht ist es nicht gerechtfertigt, die Ehe, die die Antragsgegner zu 2. und zu 1. geschlossen haben, aufzuheben, denn dies wäre nur dann der Fall, wenn die Voraussetzungen der §§ 1314 Abs. 1 i.V.m. § 1304 BGB am Tage der Eheschließung, dem 21.10.2008, vorgelegen hätten, der Antragsgegner zu 1. also an diesem Tage geschäftsunfähig gewesen wäre.
Die Verwehrung der Eheschließung mangels Geschäftsfähigkeit betrifft die verfassungsrechtlich garantierte Eheschließungsfreiheit (Art. 6 Abs. 1 i.V.m. § 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG) des Antragsgegners zu 1. Die Frage der Ehegeschäftsunfähigkeit hängt nicht allein von der Intensität der Geistesstörung ab, sondern von der Frage, ob die Geistesstörung die Einsicht in die Bedeutung der Ehe und die Freiheit des Willensentschlusses zur Eingehung der Ehe beeinträchtigt (BayObLG FamRZ 2003, 373).
Geschäftsunfähig ist, wer an einer krankhaften Störung der Geistestätigkeit im Sinne von § 104 Nr. 2 BGB leidet. Die Geschäftsfähigkeit i.S.d. § 1304 BGB ist unter Berücksichtigung der in Art. 6 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich garantierten Eheschließungsfreiheit als "Ehegeschäftsfähigkeit" zu beurteilen. Bei der Ehegeschäftsfähigkeit geht es um ein besonderes "Rechtsgeschäft", dessen Inhalt wesentlich mehr als sonstige typische Rechtsgeschäfte von in der Gesellschaft fest verankerten Vorstellungen geprägt wird. Es muss deshalb im Einzelfall geprüft werden, ob sich die Beeinträchtigung der Geistestätigkeit auch auf die Ehe erstreckt und ob der Ehewillige insoweit die notwendige Einsichtsfähigkeit besitzt und zur freien Willensentscheidung in der Lage ist, mag diese Einsichtsfähigkeit auch für andere Rechtsgeschäfte fehlen (BayObLG Beschluss vom 24.4.1996 - 1 ZBR 80/96 - zitiert nach Juris).
Das BayObLG hat in der vorbenannten Entscheidung weiter ausgeführt, auch wenn bei Annahme einer partiellen Geschäftsfähigkeit eines sonst Geschäftsunfähigen im Allgemeinen Zurückhaltung geboten sei, entspreche es ständiger Rechtsprechung, dass sich die Geschäftsfähigkeit auf einen bestimmten gegenständlich abgegrenzten Kreis von Angelegenheiten beschränken könne. Dem komme gerade bei ...