Entscheidungsstichwort (Thema)
Immaterieller Schadensersatz bei Hirnschädigung nach verzögertem Kaiserschnitt
Normenkette
BGB §§ 823, 847
Verfahrensgang
LG Potsdam (Urteil vom 31.01.2002; Aktenzeichen 11 O 102/99) |
Tenor
1. Die Berufung der Beklagten und die Anschlussberufung des Klägers zu 1) gegen das am 31.1.2002 verkündete Urteil der 11. Zivilkammer des LG Potsdam (11 O 102/99) werden zurückgewiesen.
2. Von den Gerichtskosten des zweiten Rechtszuges tragen
– der Kläger zu 1) 19 v.H.,
– die Klägerin zu 2) 1 v.H.
und
– die Beklagten als Gesamtschuldner 80 v.H.
3. Von den im zweiten Rechtszug entstandenen außergerichtlichen Kosten des Klägers zu 1) fallen den Beklagten als Gesamtschuldnern 80 v.H. zur Last. Von den außergerichtlichen Kosten der Beklagten trägt der Kläger zu 1) 20 v.H. Im Übrigen trägt jede Partei ihre im zweiten Rechtszug entstandenen außergerichtlichen Kosten selbst.
4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Den Parteien bleibt nachgelassen, die jeweilige Zwangsvollstreckung des anderen Teils durch Sicherheitsleistung i.H.v. jeweils 110 v.H. des beizutreibenden Betrages abzuwenden, sofern nicht der jeweils andere Teil zuvor Sicherheit in nämlicher Höhe leistet.
5. Der Wert der Beschwer beträgt für die Beklagten 299.780 Euro und für den Kläger zu 1) 76.775,13 Euro.
6. Streitwert im zweiten Rechtszuge: bis zum Eintritt in die mündliche Verhandlung 386.810,97 Euro, danach 376.555,13 Euro.
Tatbestand
Der am 18.6.1992 schwerstbehindert geborene Kläger zu 1) und seine Mutter, die Klägerin zu 2), nehmen die Beklagte zu 1) als Trägerin des städtischen Klinikums B., den Beklagten zu 2) als behandelnden Arzt wegen ärztlicher Fehler bei der Geburt des Klägers jeweils auf Ersatz immateriellen Schadens, der Kläger zu 1) nimmt sie darüber hinaus auf Feststellung der Ersatzpflicht für künftigen Schaden in Anspruch.
Die am 9.2.1951 geborene Klägerin war 1992 zum zweiten Mal schwanger. Die erste Schwangerschaft war 1985 mit einer Schnittentbindung wegen vorzeitiger Plazentaablösung in der 33. Schwangerschaftswoche zu Ende gegangen. In der hier zugrunde liegenden zweiten Schwangerschaft wurde die Klägerin acht Tage vor dem anhand von Ultraschallaufnahmen auf den 19.6.1992 berechneten Geburtstermin nach bis dahin komplikationsloser Schwangerschaft wegen leichter Blutungen ex utero in die Klinik der Beklagten zu 1) eingewiesen. Die Aufnahmesonografie zeigte eine regelrechte fetale Entwicklung und eine unauffällige Plazenta. Nach einer Beratung mit dem Beklagten und nach dessen Hinweis, dass eine normale Geburt erfolgen könne, bei unzureichender Muttermundöffnung allerdings eine Sectio vorzunehmen sei, sprach sich die Klägerin gegen eine primäre Sectio aus. Der Therapieplan des Beklagten zu 2) sah dementsprechend vor, eine vaginale Geburt anzustreben und, wenn nötig, namentlich sind insoweit im Patientenblatt (abnormale) kindliche Herztöne und ein nicht geöffneter Muttermund genannt, eine Sectio vorzunehmen. Einen Tag vor dem berechneten Termin wurde eine biochemische Muttermundreifung mit Prepidil-Gel vorgesehen. Zur Kreißsaalaufnahme am 18.6.1992 gegen 7.10 Uhr erfolgte die Gelapplikation, um 8.50 Uhr kam es zu regelmäßiger Wehentätigkeit. Die vitalen Herztöne wurden ab 7.10 Uhr im CTG dokumentiert und waren zunächst unauffällig. Um 16.00 Uhr öffnete der Beklagte zu 2) die Fruchtblase, legte dem Kind eine fetale Skalpektrode und der Mutter einen Wehentropf zur Dauerinfusion von Oxytocin an. Der Muttermund war unverändert unreif. Gegen 16.30 Uhr sind starke Unterbauchschmerzen der Klägerin zu 2) dokumentiert. Sie erhielt auf fernmündliche Anweisung des Beklagten zu 2), mithin ohne Untersuchung, krampflösende Medikamente (Spasdilsin). Gegen 16.43 Uhr kam es zu einem ersten starken Abfall der Herztöne des Kindes auf 80 bpm über zwei Minuten (normal > 120 bpm, hier vorher 140 bis 160 bpm). Die Oxytocin-Gabe wurde reduziert. Nach kurzer Erholung des Feten fiel die Herzfrequenz erneut auf unter 80 bpm ab. Nach einem dritten Abfall gegen 16.50 Uhr ordnete der Beklagte zu 2) eine Sauerstoffgabe an. Zwei Minuten später ging die fetale Herzaktion nach kurzer Erholung in eine anhaltende schwere Bradykardie mit teilweise unter 80 bpm über. Zirka vier Minuten später wurde die Wehenmitteldosierung weiter reduziert. Nach weiteren fünf Minuten, gegen 17.03 Uhr, wurde eine intravenöse Tokolyse zum Abblocken der Wehentätigkeit vorgenommen. Nach kurzer Erholung der Herzfrequenz zwischen 17.07 und 17.10 Uhr kam es erneut zu wiederholt einsetzenden schweren Frequenzabfällen (17.10 bis 17.23 Uhr). Die mit der Lagerung der Klägerin im Operationssaal um 17.21 Uhr dokumentierten fetalen Herztöne gingen in eine präfinale Bradykardie über. Um 17.30 Uhr wurde die Entscheidung für eine Notsectio getroffen und mit der Operation begonnen. Bei der Operation wurden eine Uterusruptur im Bereich der alten Kaiserschnittnarbe im vorderen Scheidengewölbe und eine Blasenruptur von zehn Zentimetern festgestellt. Der um 17.38 Uhr geborene schwerst deprimi...