Leitsatz (amtlich)
1. Ein Vorstandsmitglied einer Aktiengesellschaft muss eine depressive Erkrankung bei Abschluss seines Anstellungsvertrages nicht offenbaren, wenn es nicht damit rechnen musste, dass er die übernommenen Aufgaben von Anfang an nicht würde erfüllen können.
2. Auch auf ein Risiko, dass es wegen einer vorliegenden depressiven Erkrankung einmal seine Dienstverpflichtungen nicht erfüllen und arbeitsunfähig werden könnte, muss das Vorstandsmitglied bei Fehlen entsprechender Anhaltspunkte bei Abschluss des Anstellungsvertrages nicht hinweisen. Dabei ist auf den Standpunkt eines informierten Beobachters abzustellen. Auf die Selbsteinschätzung des Vorstandsmitgliedes kommt es nicht an, wenn sich seine depressive Erkrankung in ständigen Selbstzweifeln und Versagensängsten äußert.
Normenkette
BGB § 123
Verfahrensgang
LG Potsdam (Urteil vom 22.02.2006; Aktenzeichen 2 O 319/04) |
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das am 22.2.2006 verkündete Schlussurteil der 2. Zivilkammer des LG Potsdam - 2 O 319/04 - wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagte darf die Zwangsvollstreckung des Klägers durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung i.H.v. 120 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor Beginn der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 120 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.
Tatbestand
Der Kläger war Vorstandsmitglied der beklagten Aktiengesellschaft, die inzwischen im Wege der formwechselnden Umwandlung GmbH geworden ist. Die Beklagte ist ein mittelständisches Fachkrankenpflegeunternehmen, das auf die Betreuung von beatmungspflichtigen Patienten spezialisiert ist. Der Kläger macht gegen die Beklagte Pensionsansprüche aus seinem Vorstandsanstellungsvertrag geltend.
Der Kläger war in dem beklagten Unternehmen seit 1992 tätig und hat sich dabei vom einfachen Krankenpfleger bis zum Vorstandsmitglied hochgearbeitet.
Der Aufsichtsrat der Beklagten bestellte den Kläger mit Beschluss vom 28.11.2000 mit Wirkung zum 1.1.2001 zum Mitglied ihres Vorstandes. Die Parteien schlossen unter dem 9.1.2001 einen Anstellungs- und Pensionsvertrag (Bl. 7-12 d.A.) sowie eine Tantiemevereinbarung (Bl. 13-15 d.A.). Nach § 6 Abs. 1 des Anstellungsvertrages hat der Kläger Anspruch auf eine Pension, wenn der Vertrag wegen dauernder Arbeitsunfähigkeit endet. Hierzu heißt es in § 5 Abs. 2 des Vertrages weiter, dass dauernde Arbeitsunfähigkeit vorliege, wenn der Kläger aus gesundheitlichen Gründen voraussichtlich auf Dauer nicht in der Lage ist, die ihm obliegenden Aufgaben zu erfüllen. Die dauernde Arbeitsfähigkeit sollte im Zweifelsfall durch das Gutachten eines vom Aufsichtsrat der Beklagten und dem Kläger einvernehmlich benannten Arztes festgestellt werden. Im Falle dauernder Arbeitsunfähigkeit sollte der Anstellungsvertrag drei Monate nach dem Ende des Monats enden, in dem die dauernde Arbeitsunfähigkeit festgestellt worden ist.
Der Kläger leidet jedenfalls seit 1997 an rezidivierenden Depressionen. Er erlitt im April 2002 einen Zusammenbruch. Er war deshalb vom 22.4.2002 bis zum 20.10.2002 arbeitsunfähig. Vom 15.517.7. und 5.830.8.2002 befand er sich in stationärer psychiatrischer Behandlung. Für die Zeit vom 2.9.2002 bis zum 20.10.2002 vereinbarten die Parteien unter Beteiligung der den Kläger behandelnden Ärzte Maßnahmen zur stufenweisen Wiedereingliederung in das Erwerbsleben (Bl. 17 d.A.).
Der Kläger war danach weiter als Vorstandsmitglied für die Beklagte tätig. Nach dem Geschäftsverteilungsplan des Vorstandes der Beklagten vom 2.7.2003 (Bl. 230-232 d.A.) war er für das Finanzwesen, das Personalmanagement und die Vertragsverhandlungen zuständig. Es war vorgesehen, dass er zum 1.4.2004 den Vorstandsvorsitz übernehmen sollte.
Im Dezember 2003 erlitt der Kläger einen Augeninfarkt im rechten Auge, das seitdem nur noch eine Sehkraft von 5 % hat. Dies führte zu einer Verschlechterung seines Zustandes im Hinblick auf die bestehende depressive Erkrankung.
Der Kläger teilte der Beklagten deshalb in der Folgezeit mit, dass er sich aus gesundheitlichen Gründen nicht in der Lage sehe, wie vorgesehen, ab dem 1.4.2004 die Funktion des Vorstandsvorsitzenden der Beklagten wahrzunehmen. Die Beklagte berief ihn daraufhin mit Beschluss vom 22.1.2004 als Vorstandsmitglied ab. Der Kläger wandte sich mit Schreiben vom 1.4.2002 (Bl. 68 d.A.) an die Beklagte und schlug ihr unter Bezugnahme auf § 5 Abs. 2 seines Anstellungsvertrages als Schiedsgutachter zur Feststellung seiner voraussichtlich dauernden Arbeitsunfähigkeit den Chefarzt der psychiatrischen Abteilung des Krankenhauses vor, in dem er im Jahre 2002 behandelt worden war. Die Beklagte ließ sich hierauf nicht ein.
Die Beklagte erklärte mit Schreiben vom 29.4.2004 die fristlose Kündigung des Anstellungsvertrages mit der Begründung, der Kläger habe sich im Jahre 2003 zu Unrecht Tantiemezahlungen i.H.v. 1.416,80 EUR angewiesen. Am 18.5.2004 fand im Büro des Aufsichtsrats...