Entscheidungsstichwort (Thema)
Arzthaftpflichtprozess: Pflicht des Tatgerichts zur Aufklärung von Widersprüchen zwischen Äußerungen mehrerer Sachverständiger
Normenkette
ZPO § 412; GG Art. 103 Abs. 1
Verfahrensgang
LG Potsdam (Urteil vom 21.02.2013; Aktenzeichen 14 O 96/09) |
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das am 21.2.2013 verkündete Urteil der 4. Zivilkammer des LG Potsdam, Az.: 14 O 96/09, aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch hinsichtlich der außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens - an das LG zurückverwiesen.
Gerichtskosten für das Berufungsverfahren werden nicht erhoben.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Die Klägerin begehrt von den Beklagten die Zahlung von Schmerzensgeld, materiellen Schadensersatz und einer Schadensersatzrente sowie die Feststellung einer Haftung der Beklagten als Gesamtschuldner für sämtliche weiteren zukünftigen materiellen und immateriellen Schäden - soweit diese nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind oder übergehen werden - aus einer aus Sicht der Klägerin fehlerhaften Behandlung in der Zeit vom 19. bis 25.2.2007 im Hause der Beklagten zu 1., insbesondere aus einer nach Auffassung der Klägerin fehlerhaften Operation vom 20.2.2007, die die Beseitigung eines Hallux valgus (Abknickung der Großzehe im Grundgelenk zur Kleinzehseite hin) am linken Fuß durch Korrekturosteotomie der Großzehe sowie durch eine distale Verkürzungsosteotomie der Metatarsale II (des 2. Mittelfußknochens) nach Weil zum Gegenstand hatte. Die Parteien streiten darüber, ob die Operation fehlerhaft durchgeführt worden ist, ob die Ärzte der Beklagten zu 1. bereits vor Entlassen der Klägerin das Erfordernis einer Revisionsoperation hätten erkennen und darauf hinwirken müssen sowie ob ihnen weitere Fehler in der Nachversorgung der Klägerin vorzuwerfen sind. Daneben besteht Streit über die Höhe eines gegebenenfalls zu zahlenden Schmerzensgeldes, die Erstattungsfähigkeit der von der Klägerin weiter geltend gemachten materiellen Schäden und die Berechtigung eines Haushaltsführungsschadens. In diesem Zusammenhang streiten die Parteien auch darüber, ob ein von der Klägerin am 27.5.2007 erlittener Hörsturz, aus dem sich ein Tinnitus entwickelt hat, durch den fehlerhaften Eingriff seitens der Beklagten verursacht worden ist. Wegen der weiteren Einzelheiten zum erstinstanzlichen Sachverhalt wird auf den Tatbestand des landgerichtlichen Urteils Bezug genommen.
Mit am 21.2.2013 verkündeten Urteil hat das LG die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Klägerin stehe gegenüber den Beklagten ein Anspruch auf Zahlung von Schadensersatz und Schmerzensgeld weder aus § 823 Abs. 1 BGB noch aufgrund einer Verletzung des Behandlungsvertrages zu. Im Ergebnis der durchgeführten Beweisaufnahme könne ein Behandlungsfehler nicht festgestellt werden. Auf Grundlage der Feststellungen des gerichtlich bestellten Sachverständigen könne nicht davon ausgegangen werden, dass ein nicht ausreichender Eingriff in die Weichteile zur Ergänzung der knöchernen Korrektur der Großzehe vorgenommen worden sei. Den Beklagten sei in diesem Zusammenhang auch ein Dokumentationsmangel nicht vorzuwerfen. Nach der Darstellung der Beklagten würde im Hause der Beklagten zu 1. standardisiert an die Operation eines Hallux valgus herangegangen, eine besondere Dokumentation sei deshalb nur erforderlich, wenn von dieser standardisierten Herangehensweise abgewichen werde. Hiernach werde in einem ersten Schritt die laterale Gelenkkapsel inzidiert und das laterale Sesambein liberiert. Wenn sich nach diesem Vorgehen intraoperativ der erste Zehenstrahl aktiv aufrichte und passiv problemlos in eine Abduktion von 20 - 30 im Grundgelenk gebracht werden könne, werde auf eine zusätzliche Ablösung des Muskels adductor hallucis verzichtet. Das sei hier der Fall gewesen, wie der Sachverständige festgestellt habe, nachdem der Beklagte zu 2. intraoperativ die Redressierbarkeit ausreichend festgestellt habe. Die Korrekturstellung nach der Operation sei nicht zu beanstanden gewesen. Auch die Wahl der Operationstechnik und die Durchführung der Operation seien ordnungsgemäß erfolgt. Allein daraus, dass bei der Revisionsoperation eine Ablösung des Muskels adductor hallucis durchgeführt worden sei, könne nicht geschlussfolgert werden, dass dieser immer durchtrennt werden müsse und vorliegend fehlerhaft nicht durchtrennt worden sei. Gegenteiliges könne auch den Feststellungen des Privatsachverständigen Dr. med. M. nicht entnommen werden. Auch dieser habe angegeben, dass ein Rezidiv verschiedene Ursachen haben könne. So hänge der Eintritt eines Rezidivs auch vom Tragen der Halluxschiene ab. Zutreffend habe der Beklagte zu 2. die Redressierbarkeit, d.h. die korrekte Lagerung mittels einer Korrekturschiene, intraoperativ nach dem Release als ausreichend möglich befundet und wegen der Schwellung nach der Operation bei der Klägerin einen redressieren...