Leitsatz (amtlich)
Bei einer Leistenbruchoperation ist über die in Betracht kommenden verschiedenen Operationsmöglichkeiten (mit und ohne Netzimplantation, konventionell oder in laparoskopischer Technik) aufzuklären, da es sich um mittlerweile standardmäßige Methoden zur Leistenbruchversorgung handelt, die im Hinblick auf die Möglichkeit eines Rezidivs des Leistenbruches sowie die auftretenden speziellen Risiken unterschiedlich sind.
Kommt es kurzfristig zu einem Wechsel der Operationsmethode (hier: Operation in laparoskopischer Technik statt konventionell), ist der Eingriff von der Einwilligung in die Operation nach der konventionellen Technik nicht gedeckt. Eine Einwilligung aufgrund einer erst am Tage der Operation vorgenommenen Aufklärung über die Operation in laparoskopischer Technik, bei der der Patient bereits unter Medikamenteneinfluss steht, ist unwirksam.
Kommt es während des ohne wirksame Einwilligung durchgeführten Eingriffs zu einer Durchtrennung des Samenleiters des linken Hodens, ohne dass eine Beeinträchtigung der Zeugungsfähigkeit nachgewiesen ist, ist angesichts der verbleibenden theoretischen Vulnerabilität der Zeugungsfähigkeit für den Fall möglicher zukünftiger Beeinträchtigungen des rechtsseitigen Hodens ein Schmerzensgeld von 15.000 EUR angemessen.
Normenkette
BGB § 280 Abs. 1, §§ 278, 253 Abs. 2, § 823 Abs. 1-2, §§ 31, 89; StGB § 229
Verfahrensgang
LG Potsdam (Urteil vom 19.11.2009; Aktenzeichen 11 O 34/08) |
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das am 19.11.2009 verkündete Urteil der 1. Zivilkammer des LG Potsdam, Az.: 11 O 34/08, teilweise abgeändert.
Die Beklagten zu 1. und 3. werden verurteilt, an den Kläger als Gesamtschuldner ein Schmerzensgeld i.H.v. 15.000 EUR sowie Schadensersatz i.H.v. 72,25 EUR nebst Zinsen aus 15.072,25 EUR i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 13.6.2007 zu zahlen.
Es wird festgestellt, dass die Beklagten zu 1. und 3. verpflichtet sind, dem Kläger als Gesamtschuldner alle materiellen und immateriellen Schäden aus dem ärztlichen Eingriff der Beklagten vom 23.3.2005 zu ersetzen, soweit diese nach dem 24.6.2010 entstehen oder offenbar werden und die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.
Von den Gerichtskosten und den außergerichtlichen Kosten des Klägers haben der Kläger 1/3 und die Beklagten zu 1. und 3. als Gesamtschuldner 2/3 zu tragen. Die außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 1. und 3. tragen diese selbst. Die außergerichtlichen Kosten des Beklagten zu 2. hat der Kläger zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Jede Partei darf die gegen sie gerichtete Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die andere Partei zuvor Sicherheit i.H.v. 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der damals 19jährige Kl. wurde zur Behandlung einer klinisch deutlichen, symptomatischen Varikozele an das Krankenhaus der Bekl. zu 1. überwiesen. Die von dem Bekl. zu 2. am 23.2.2005 durchgeführte Erstuntersuchung des Kl. wies als Diagnose Leistenhernie links auf. Der Bekl. zu 2. empfahl eine operative Behandlung. Zugleich fand an diesem Tage ein Aufklärungsgespräch durch den Bekl. zu 2. statt, in dessen Anschluss der Kl. einen Aufklärungsbogen betreffend die Operation nach der konventionellen Technik unterzeichnete. Als Termin für die Operation wurde der 23.3.2005 vereinbart. Am Morgen des 23.3.2005 erfolgte nach Verabreichung von 20 mg Tranxilium eine weitere Aufklärung durch den Bekl. zu 3., bei der der Kl. sein Einverständnis für eine Leisten- und Schenkelbruchoperation in minimalinvasiver Technik links durch Unterzeichnung eines Aufklärungsbogens erklärte.
Bei der durch den Bekl. zu 3. durchgeführten Leistenbruchoperation in laparoskopischer Technik kam es zu einer Durchtrennung des linken Samenleiters. Die beiden Enden wurden nicht wieder zusammengenäht, sondern mittels Klippverschluss gesichert. Nach der Operation empfahl der Bekl. zu 3. eine Rekanalisation durch einen Fachmann. Eine solche Revision ließ der Kl. nicht durchführen.
Der Kl. hat behauptet, er sei bei der Aufklärung nicht ausdrücklich auf die Möglichkeit der Durchtrennung eines Samenleiters oder einer Nervenschädigung hingewiesen worden. Ihm sei erst am Tage der Operation eröffnet worden, dass anders als zunächst geplant mittels Laparoskopie operiert werden sollte. Zu diesem Zeitpunkt sei sein Wahrnehmungsvermögen aufgrund des verabreichten Beruhigungsmittels bereits getrübt gewesen. Die Durchtrennung des Samenleiters stelle einen Behandlungsfehler dar, zudem sei es zu einer Verletzung der tieferliegenden Hautnerven gekommen. Infolge dessen leide er an einer Subfertilität sowie wiederkehrenden Taubheitsgefühlen, Schmerzen und einem Kälteempfinden der linken Oberschenkelinnenseite.
Der Kl. hat die Bekl. auf Zahlu...