Leitsatz (amtlich)
Für die Verpflichtung über einen bestimmten Umstand aufzuklären ist nicht auf einen bestimmten Grad der Risikodichte abzustellen. Dementsprechend muss der Arzt seinen Patienten nicht über die Höhe des statistischen Risikos eines Schadenseintritts informieren. Gleichfalls ist nicht zu verlangen, dass er den Patienten darüber in Kenntnis setzt, dass ein bestimmtes Risiko im Falle des Patienten wegen besonderer Umstände erhöht ist, wenn nicht die Erhöhung des Risikos dazu führt, dass hinsichtlich der Gefahr des Schadenseintritts eine höhere Wahrscheinlichkeitsstufe erreicht wird.
Normenkette
BGB §§ 280, 278, 253, 823 Abs. 1-2, § 831
Verfahrensgang
LG Potsdam (Urteil vom 08.10.2009; Aktenzeichen 11 O 124/08) |
Tenor
Auf die Berufung des Beklagten wird das am 8.10.2009 verkündete Grund- und Teilurteil der 11. Zivilkammer des LG Potsdam, Az.: 11 O 124/08, abgeändert.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits - einschließlich der außergerichtlichen Kosten des Streithelfers - hat der Kläger zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die vollstreckende Partei vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der am 6.4.1955 geborene Kl. wurde am 10.7.2003 in der Klinik des Bekl. zur operativen Behandlung einer fortgeschrittenen cervicalen Osteochondrose mit knöcherner Beeinträchtigung des cervicalen Spinalkanals in den Segmenten C4 bis C6, eines dorso-medialen Bandscheibenvorfalls C4/C5 und eines relativen linken mediolateralen bis intraforaminalen Bandscheibenvorfalls C5/C6 sowie des dringenden Verdachts auf eine cervicale Myelopathie stationär aufgenommen. Am 3.7.2003 wurde der Kl. durch den Streithelfer über die beabsichtigte Operation aufgeklärt. Der Kl. unterzeichnete eine "Einverständniserklärung zu operativen Eingriffen".
Bei der vom Streithelfer am 11.7.2003 durchgeführten Operation kam es zum Auftreten eines kleinen Duralecks, welches vom Streithelfer durch Fibrinklebung saniert wurde. Unmittelbar nach der Operation stellte sich bei dem Kl. eine inkomplette Hemiparese rechts (inkomplette Querschnittslähmung) ein. Zwischen dem 23.7.2003 und dem 24.10.2003 und in der Zeit vom 18.3.2009 bis zum 8.4.2009 befand sich der Kl. in der neurologischen Rehabilitationsklinik B. Gemäß dem Entlassungsbericht vom 23.10.2003 bestand bei dem Kl. weiterhin die inkomplette Querschnittslähmung motorisch ab C5, sensibel ab C4 sowie ein cervikaler Bandscheibenschaden mit cervikaler Myelopathie in Höhe C4/C5. Im Rahmen der Rehabilitation konnte bei dem Kl. das selbständige Gehen mit einem Handstock bei einer reduzierten Gehstrecke erreicht werden, dem Kl. wurde ein Rollator mit Einhandbedienung, ein Leichtgewichtsrollstuhl mit Speichenschutz und zum Gehen für das rechte Sprung- und das Kniegelenk eine Bandage bzw. Schiene verordnet. Nach Abschluss der durch eine funktionelle Verschlechterung aufgrund eines Sturzes notwendig gewordenen zweiten Rehabilitationsmaßnahme im April 2009 war der Kl. nicht mehr in der Lage zu stehen oder Schritte zu machen. Es konnte nur ein sicheres Umsetzen bzw. eine Transferleistung Bett-Rollstuhl und zurück erreicht werden.
Der Kl. hat den Bekl. mit der Behauptung, er sei vor dem Eingriff nicht über das hohe Risiko einer Querschnittslähmung aufgeklärt worden, und die inkomplette Querschnittslähmung sei aufgrund einer Operationspanne im Hinblick auf ein frühzeitiges Erwachen aus der Narkose entstanden, auf Schadensersatz, Schmerzensgeld i.H.v. mindestens 250.000 EUR sowie die Feststellung der Ersatzpflicht für künftige materielle und immaterielle Schäden in Anspruch genommen. Das LG hat mit Grund- und Teilurteil vom 8.10.2009 die Klage für dem Grunde nach gerechtfertigt erklärt und die begehrte Feststellung ausgesprochen. Die Berufung des Bekl. hatte Erfolg.
Entscheidungsgründe
I. Der Kläger begehrt vom Beklagten die Zahlung von materiellem Schadensersatz, Schmerzensgeld und die Feststellung einer Ersatzpflicht für sämtliche weiteren materiellen und immateriellen Schäden wegen einer seiner Auffassung nach nicht ordnungsgemäßen Behandlung im Hause des Beklagten im Juli 2003 betreffend eine Bandscheibenoperation in den Segmenten C4/C5 sowie C5/C6, nach der sich beim Kläger eine inkomplette Hemiparese rechts (inkomplette Querschnittslähmung) einstellte. Die Parteien streiten in der Berufungsinstanz in erster Linie über die Passivlegitimation des Beklagten sowie über eine ordnungsgemäße Aufklärung des Klägers.
Wegen der Einzelheiten wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen. Dieser ist dahingehend zu ergänzen, dass der Kläger vorgetragen hat, einen Behandlungsvertrag mit dem Beklagten abgeschlossen zu haben. Der Beklagte hat dazu erklärt, der Streithelfer sei freier Mitarbeiter bei ihm gewesen, ein direkter Behandlungsvertr...