Leitsatz (amtlich)
Zur Zulässigkeit der Erklärung des Gebotenseins amtlichen Einschreitens durch die Staatsanwaltschaft nach vorheriger Rücknahme des Strafantrags durch die Verletzte und Verneinung des besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung durch die Staatsanwaltschaft (§§ 77 b Abs. 1 Satz 1, 77 d Abs. 1 Satz 3 StGB).
Tenor
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil der Jugendkammer als Berufungskammer des Landgerichts ... vom 2. November 2015 aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an eine andere Jugendkammer als Berufungskammer des Landgerichts ... zurückverwiesen.
Gründe
I.
Das Amtsgericht ... hat den Angeklagten am 15. April 2015 wegen Entziehung einer Minderjährigen zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Den gegen den Angeklagten bestehenden Haftbefehl vom 16. Dezember 2014 hat das Amtsgericht aufrechterhalten. Gegen dieses Urteil haben sowohl der Angeklagte als auch die Staatsanwaltschaft Berufung eingelegt.
Mit dem Urteil vom 2. November 2015 hat die 2. große Strafkammer des Landgerichts ... als Jugendberufungskammer auf die Berufung des Angeklagten das Urteil des Amtsgerichts ... vom 15. April 2015 aufgehoben, hat die Berufung der Staatsanwaltschaft verworfen und das Verfahren eingestellt. Den Haftbefehl vom 16. Dezember 2014 hat die Kammer aufgehoben und am selben Tag die Entlassung des Angeklagten aus der Untersuchungshaft angeordnet. Die Strafkammer hat die Auffassung vertreten, dass ein Verfahrenshindernis vorliege. Sie meint, die Staatsanwaltschaft sei nach der Rücknahme des Strafantrags durch die Antragstellerin unter dem Datum des 13. Oktober 2014 sowie der Verneinung des besonderen öffentlichen Interesses und der Einstellung des Verfahrens nach § 170 Abs. 2 StPO durch die Staatsanwaltschaft am 16. Oktober 2014 nur dann zum Wiederaufnehmen und Weiterbetreiben der Strafverfolgung berechtigt gewesen, wenn ein Strafantrag vorgelegen hätte oder ein solcher noch hätte gestellt werden können.
Gegen das Urteil vom 2. November 2015 hat die Staatsanwaltschaft ... mit dem am 5. November 2015 bei Gericht angebrachtem Schriftsatz Revision eingelegt. Sie hat diese nach der am 15. Dezember 2015 erfolgten Zustellung des Urteils mit Schriftsatz vom 18. Dezember 2015, bei Gericht eingegangen am 23. Dezember 2015, begründet. Die Staatsanwaltschaft rügt die Verletzung materiellen Rechts; mit ihrem Rechtsmittel erstrebt sie die Aufhebung des angefochtenen Urteils. Die Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg hat in der Revisionshauptverhandlung beantragt, das Urteil des Landgerichts ... vom 2. November 2015 aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an eine andere Kammer des Landgerichts zurückzuverweisen.
Der Angeklagte hat beantragt, die Revision der Staatsanwaltschaft zu verwerfen.
II.
Die gemäß § 333 StPO statthafte und gemäß §§ 341 Abs. 1, 344, 345 Abs. 1 StPO form- und fristgerecht bei dem Landgericht ... angebrachte Revision hat in der Sache Erfolg. Die auf die Sachrüge gestützte Revision führt zur Aufhebung des Urteils und zur Zurückverweisung der Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Jugendkammer als Berufungskammer des Landgerichts ....
1. Die Einstellung des Verfahrens wegen eines Verfahrenshindernisses hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Ein von Amts wegen in jeder Lage des Verfahrens zu beachtendes Prozess-/Verfahrenshindernis in Form eines Befassungsverbots besteht nicht. Die Prozessvoraussetzungen liegen vor.
2. Die Entziehung Minderjähriger nach § 235 Abs. 2 Nr. 2 StGB wird nach § 235 Abs. 7 StGB nur auf Antrag verfolgt, es sei denn, dass die Strafverfolgungsbehörde wegen des besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung ein Einschreiten von Amts wegen für geboten hält. Es handelt sich um ein relatives Antragsdelikt.
a) Ein im eigenen Namen gestellter Strafantrag der Kindesmutter als Prozessvoraussetzung liegt nicht (mehr) vor. Nach § 77 d Abs. 1 StGB kann der Antrag zurückgenommen werden. Gemäß § 77 d Abs. 1 Satz 3 StGB kann ein zurückgenommener Antrag nicht nochmals gestellt werden. Die Kindesmutter hat den am 8. August 2014 gestellten Strafantrag unter dem Datum des 13. Oktober 2014 zurückgenommen, so dass dieser im eigenen Namen nicht neu gestellt werden kann.
Darüber, ob die Kindesmutter als Inhaberin des Aufenthaltsbestimmungsrechts unter Beachtung von § 77 b Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 u. 3 StGB für das am .... geborene Kind ... noch Strafantrag stellen kann, braucht der Senat nicht zu befinden.
b) Die Staatsanwaltschaft konnte jedoch unabhängig von einem Strafantrag das Gebotensein amtlichen Einschreitens bejahen und das Verfahren weiter betreiben. Dem steht nicht entgegen, dass sie zunächst das besondere öffentliche Interesse an der Strafverfolgung am 16. Oktober 2014 verneint und das Ermittlungsverfahren nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt hatte. Die Staatsanwaltschaft war auch nicht aufgrund der Rücknahme des Straf...