Leitsatz (amtlich)

1. Die Bundeswehr greift zielgerichtet in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb eines selbständig tätigen Trainers ein, wenn sie nicht duldet, dass er Sportsoldaten trainiert. Für die Annahme eines unmittelbar betriebsbezogenen Eingriffs reicht es aus, wenn es sich bei Sportsoldaten potentiell um Athleten handelt, durch deren Training der Trainer Einkünfte erzielen könnte und wenn eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür spricht, dass er entsprechende Aufträge erhalten könnte.

2. Hat der Trainer bei seiner Einstellung als Sportsoldat bei der Bundeswehr die Frage nach einer Tätigkeit als inoffizieller Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit wahrheitswidrig verneint, stellt dies zwar ein schweres Dienstvergehen dar. Die Prüfung, ob dieser Umstand einen Eingriff in die nach der Entlassung aus der Bundeswehr ausgeübte Erwerbstätigkeit als Trainer rechtfertigt, erfordert jedoch eine Abwägung aller Umstände des Einzelfalles.

3. Befürworten die hierfür verantwortlichen sportlichen Spitzenverbände nach Überprüfung seiner Tätigkeit für das Ministerium für Staatssicherheit, dass der Trainer Spitzensportler trainiert, ist die für die Trainerauswahl nicht zuständige Bundeswehr nicht berechtigt, diese Entscheidung außer Kraft zu setzen.

 

Normenkette

BGB § 823 Abs. 1, § 839; GWB §§ 20-21, 33

 

Verfahrensgang

LG Frankfurt (Oder) (Urteil vom 10.06.2010; Aktenzeichen 13 O 120/10)

 

Nachgehend

BGH (Urteil vom 15.05.2012; Aktenzeichen VI ZR 117/11)

 

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das am 10.6.2010 verkündete Urteil der 3. Zivilkammer des LG Frankfurt/O. - 13 O 120/10 - abgeändert.

Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger als Eiskunstlauftrainer von Soldaten der Sportfördergruppe, Disziplin Paarlauf, zu dulden, sofern Sportsoldaten diesen als Trainer haben oder wählen und der Kläger vom Spitzenverband beauftragt ist und der Deutsche Olympische Sportbund die Tätigkeit des Klägers befürwortet.

Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Beklagte darf die Zwangsvollstreckung des Klägers durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung i.H.v. 115 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor Beginn der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 115 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird zugelassen.

 

Gründe

I. Der Kläger, am ... 11.1966 geboren, wuchs in Chemnitz auf und war bis 1998 Spitzensportler im Eiskunstlauf, zunächst in der DDR, später im wiedervereinigten Deutschland. Heute ist er erfolgreicher Eiskunstpaarlauftrainer. Er trainiert seit mehreren Jahren die amtierenden deutschen Meister und EURpameister im Eiskunstpaarlauf A. Sa. und R. S..

Der Kläger unterschrieb am 25.1.1985 eine handschriftliche Erklärung, mit der er sich verpflichtete, unter dem Decknahmen "T." als inoffizieller Mitarbeiter mit dem Ministerium für Staatssicherheit zusammenzuarbeiten.

Die Beklagte, die Bundesrepublik Deutschland, fördert Spitzensportler bei der Bundeswehr nach Maßgabe der "Regelung für die Förderung von Spitzensportlern bei der Bundeswehr" vom 3.7.1992. Danach werden Spitzensportler nach der Grundausbildung in Sportfördergruppen versetzt. Dort macht die militärische Ausbildung 30 % des Dienstes aus, das sportliche Training und Wettkämpfe 70 %. Die Pläne für das dienstliche Training und die Wettkämpfe erstellt nicht die Beklagte, dies geschieht vielmehr durch die Bundestrainer oder die von den Spitzenverbänden beauftragten Trainer.

Aufgrund seiner Bewerbung vom 23.5.2003 war der Kläger vom 1.8.2003 bis zu seiner fristlosen Entlassung mit Bescheid vom 31.3.2006 in der Funktion eines Eiskunstlaufpaartrainers als Sportsoldat im Dienstrang eines Stabsunteroffiziers im Soldatenverhältnis auf Zeit bei der Beklagten der Sportfördergruppe der Bundeswehr in F. zugewiesen. Der Kläger hatte bei seiner Einstellung auf einem Zusatzfragebogen vom 23.5.2003 Fragen nach einer Tätigkeit für das Ministerium für Staatssicherheit der ehemaligen DDR wahrheitswidrig verneint. Bereits bei seiner Berufung in das Dienstverhältnis eines Soldaten auf Zeit hatte er auf einem Fragebogen am 11.5.1993 eine entsprechende Frage unzutreffend beantwortet.

Der Eiskunstpaarläufer R. S. war seit Herbst 2003 Sportsoldat auf Zeit im Dienste der Beklagten und trainierte als solcher bis Ende Juli 2006 bei dem Kläger.

Mit Bescheid des Wehrbereichskommandos ... vom 31.3.2006 wurde der Kläger gem. § 55 Abs. 1 i.V.m. § 46 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 S. 2 des Soldatengesetzes wegen Täuschung des Dienstherrn im Zusammenhang mit seiner Bewerbung vom 23.5.2003, d.h. wegen der falschen Antworten auf die Fragen zur Tätigkeit für das Ministerium für Staatssicherheit, aus der Bundeswehr entlassen. Die Beschwerde des Klägers gegen den Bescheid wurde durch Beschwerdebescheid des Befehlshabers des Streitkräfteunterstützungskommandos vom 5.5.2006 zurückgewiesen. Der Kläger blieb mit seinem Antrag, die sofortige Vollziehung des Entlassungsbescheides auszusetzen, in zwei Instanzen ...

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