Entscheidungsstichwort (Thema)
Gebrauchtwagenkaufvertrag: Schadenersatzanspruch bzw. Anspruch auf Ersatz eines Differenzschadens wegen des Verbaus einer Fahrkurvenerkennung
Leitsatz (amtlich)
1. Stellt die Fahrkurvenerkennung eine unzulässige Abschalteinrichtung dar und führt sie zum Zeitpunkt des Kaufvertrags wegen der Abkehr des Herstellers von einem möglicherweise zuvor vorliegenden verwerflichen Verhalten nicht (mehr) zu Ansprüchen nach § 826 BGB, kann sie dennoch Ansprüche nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit §§ Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV begründen (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023, VIa 335/21).(Rn. 30)
2. Eine Vorteilsausgleichung kann der Gewährung eines Schadenersatzanspruchs nach § 823 Abs. 2 BGB entgegenstehen, wenn der Differenzschaden vollständig ausgeglichen ist.(Rn. 31)
Normenkette
BGB §§ 31, 823 Abs. 2, § 826; EG-FGV § 6 Abs. 1; FZV § 5 Abs. 1
Verfahrensgang
LG Potsdam (Urteil vom 14.12.2022; Aktenzeichen 8 O 74/22) |
Tenor
1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Potsdam vom 14. Dezember 2022, Az. 8 O 74/22, wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts Potsdam ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
4. Der Streitwert wird auf 10.109,00 EUR festgesetzt
Gründe
I. Der Kläger nimmt die Beklagte als Herstellerin seines Fahrzeugs und des darin verbauten Motors auf Schadensersatz wegen des Einbaus unzulässiger Abschalteinrichtungen in Anspruch.
Der Kläger erwarb am 5. November 2018 von einem Vertragsautohändler einen gebrauchten PKW VW T6 Multivan mit einem Kilometerstand von 36.738 km zu einem Kaufpreis von 36.995,00 EUR. Die Erstzulassung datiert vom 24. Juni 2015. Dieses Fahrzeug ist mit einem Dieselmotor des Typs EA 288, 2,0 Liter mit einer Leistung von 110 KW und der Abgasnorm Euro 6 ausgerüstet. Der Motor verfügt zur Reduktion von Stickoxid-Emissionen über eine geregelte Abgasrückführung (AGR) sowie einen SCR-Katalysator. Zur Finanzierung des Kaufpreises nahm der Kläger ein Darlehen über einen Bruttodarlehensbetrag von 41.554,72 EUR bei der V. Bank auf.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass dem Kläger kein Anspruch aus § 826 BGB i.V.m. § 31 BGB zustehe. Der Einbau einer unzulässigen Abschalteinrichtung im streitgegenständlichen Fahrzeug, die zu einem abweichenden Verhalten des Emissionsystems im Prüfstand führe, könne nicht festgestellt werden. Soweit das Fahrzeug von einem Rückruf betroffen gewesen sei, habe das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) erklärt, dass Anlass dieses Rückrufs eine Konformitätsabweichung und keine unzulässige Abschalteinrichtung gewesen sei. Der bloße Verbau einer Fahrkurvenerkennung sei nicht unzulässig, solange die Funktion nicht als Abschalteinrichtung nach der Verordnung (EG) 715/2007 genutzt werde. Da die Prüfungen des KBA gezeigt hätten, dass auch bei Deaktivierung der vom Kläger in Bezug genommenen Fahrkurvenerkennung die Emissionsgrenzwerte in den Prüfverfahren nicht überschritten würden, handele es sich nicht um eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne dieser Verordnung. Die vom KBA bei einem baugleichen Fahrzeug festgestellte Überschreitung des Emissionsgrenzwertes um das 2,3 fache im Realbetrieb lasse den Schluss auf das Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung nicht zu. Die behauptete zu kleine Dimensionierung des AdBlue-Tanks des Fahrzeugs sei kein Umstand, aus dem sich eine unterschiedliche Ansteuerung der AGR-Rate im realen Fahrbetrieb im Gegensatz zum Prüfstandmodus ableiten lasse. Eine Haftung aus § 823 Abs. 2 BGB sei wegen Verstoßes gegen §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV oder Art. 5 VO 715/2007/EG mangels eines Schutzgesetzcharakters dieser Vorschriften nicht gegeben.
Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner Berufung, mit der er sein erstinstanzliches Klagebegehren weiter verfolgt. Er rügt die Verletzung materiellen Rechts. Er meint, das Landgericht habe zu Unrecht eine Haftung der Beklagten wegen sittenwidrigen Handelns abgelehnt. Unter Wiederholung seiner erstinstanzlichen Ausführungen behauptet er, dass der im Fahrzeug eingebaute Motor über eine unzulässige Abschalteinrichtung dahingehend verfüge, dass in dessen Steuerungssoftware zum einen ein Betriebsmodus für den Prüfstand mit hoher AGR-Rate, früherer Inbetriebnahme des SCR-Katalysators sowie erhöhter AdBlue-Zufuhr und zum anderen ein Betriebsmodus für den Straßenverkehr mit einer geringeren AGR-Rate, späteren Inbetriebnahme des Katalysators und geringerer AdBlue-Zufuhr hinterlegt sei. Der Kläger ist der Ansicht, dass die Beklagte ihm daher nach § 826 BGB i.V.m. § 31 BGB analog, jedenfalls aber nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. Art. 5 VO EG 715/2000 zur Leistung von Schadensersatz verpflichtet sei.
Der Kläger beantragt:
Das Urteil des Landgerichts Potsdam vom 14. Dezember 2022, Az. 8 O 74/...