Leitsatz (amtlich)

Ist die Sprungrevision im Urteil des SG zugelassen worden und befindet sich die schriftliche Zustimmung des Gegners in den Akten des SG, so ist dem Erfordernis der Beifügung der Zustimmung (vgl SGG § 161 Abs 1 S 3) nicht schon dadurch Rechnung getragen, daß die erstinstanzlichen Akten während der Revisionsfrist beim BSG eingegangen sind.

Der Revisionskläger muß zumindest noch während der Revisionsfrist auf die Zustimmungserklärung hinweisen. Die Beifügung einer Ausfertigung oder beglaubigten Abschrift des erstinstanzlichen Urteils (vgl SGG § 160a Abs 1 S 3) reicht auch dann nicht aus, wenn in dem Urteil ausgeführt ist, der Revisionsgegner habe der Sprungrevision zugestimmt.

 

Leitsatz (redaktionell)

Voraussetzung für die Einlegung der Sprungrevision (SGG § 161) und Armenrecht:

1. Im Hinblick auf den beim BSG bestehenden Vertretungszwang (SGG § 166) ist die von einem Kläger selbst unterzeichnete Revision (Sprungrevision) - in entsprechender Anwendung des SGG § 169 - als unzulässig zu verwerfen.

2. Hat ein Kläger mit der Einlegung der Sprungrevision die Bewilligung des Armenrechts beantragt und in einem späteren Schreiben an das BSG erklärt, daß er auf einen Prozeßbevollmächtigten zur Wahrnehmung seiner Interessen in dem Verfahren verzichtet, so ist eine solche Äußerung als eine Rücknahme des Armenrechtsantrages anzusehen.

 

Normenkette

SGG § 161 Abs. 1 S. 3 Fassung: 1974-07-30, § 160a Abs. 1 S. 3 Fassung: 1974-07-30, § 166 Fassung: 1974-07-30, § 169 Fassung: 1972-05-26

 

Tenor

1)

Der Antrag des Klägers, ihm für das Verfahren vor dem Bundessozialgericht das Armenrecht zu bewilligen, wird abgelehnt.

2)

Die Revisionen des Klägers und der Beigeladenen gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 15. Juli 1975 werden als unzulässig verworfen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

Sowohl der Kläger als auch die Beigeladene haben gegen das Urteil des Sozialgerichts (SG) vom 15. Juli 1975 Sprungrevision - der Kläger durch ein von ihm selbst unterzeichnetes Schreiben - eingelegt. Der Kläger hat zugleich beantragt, ihm für das Verfahren vor dem Bundessozialgericht (BSG) das Armenrecht zu bewilligen. Am 29. Oktober 1975 hat er u. a. mitgeteilt: "Da ich meinem bisherigen Vorbringen in dieser Sache nichts mehr hinzuzufügen habe, verzichte ich auf die Beauftragung eines bei Ihrem Gericht zugelassenen Prozeßbevollmächtigten zwecks Wahrnehmung meiner Interessen, da auch ohne einen solchen verhandelt und entschieden werden kann und ich hoffe zu meinen Gunsten." Diese Äußerung ist als Rücknahme des Armenrechtsantrages zu deuten. Dies folgt schon daraus, daß der Bewilligung des Armenrechts innerhalb der Sozialgerichtsbarkeit nur im Hinblick auf die Beiordnung eines Prozeßbevollmächtigten und die im Zusammenhang damit entstehenden Kosten - Gerichtskosten entstehen nicht - Bedeutung zukommt. Am 6. November 1975 hat der Kläger zwar mitgeteilt, daß er die Sprungrevision aufrechterhalte und die Rücknahme des Armenrechtsgesuchs nicht habe bewirken wollen. In diesem Vorbringen kann allenfalls ein neuer Antrag auf Bewilligung des Armenrechts gesehen werden. Dieser ist nicht innerhalb der Revisionsfrist eingegangen, er muß schon aus diesem Grunde abgewiesen werden (§ 167 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG - iVm § 114 Abs. 2 der Zivilprozeßordnung).

Im Hinblick auf den beim BSG bestehenden Vertretungszwang (§ 166 SGG) ist die vom Kläger selbst unterzeichnete Revision - in entsprechender Anwendung des § 169 SGG - als unzulässig zu verwerfen.

Die Beigeladene hat bei Einlegung der Revision die Vorschrift des § 161 Abs. 1 SGG nicht hinreichend beachtet. Nach § 161 Abs. 1 Satz 3 SGG ist die Zustimmung des Gegners zur Sprungrevision der Revisionsschrift beizufügen, wenn - wie hier - die Revision nicht durch Beschluß, sondern im Urteil selbst zugelassen worden ist. An der Beifügung dieser Zustimmung fehlt es. Allerdings sind die Akten des SG noch innerhalb der Revisionsfrist beim BSG eingegangen. Es kann offen bleiben, ob man den in der Sitzungsniederschrift des SG vom 15. Juli 1975 enthaltenen Vermerk, daß der Kläger und die Beklagte sowie der Vertreter der Beigeladenen ihren Antrag bzw. ihr Einverständnis mit einer Sprungrevision wiederholten, als Zustimmung in dem vorbezeichneten Sinne ansehen kann. Nach § 161 SGG muß die Zustimmung schriftlich erklärt werden. Die Formerfordernisse des § 161 Abs. 1 SGG sind jedenfalls nicht schon dann erfüllt, wenn die Akten des SG während der Revisionsfrist beim BSG eingegangen sind. Es bedarf darüber hinaus zumindest des ausdrücklichen Hinweises seitens des Revisionsklägers, daß und an welcher Stelle sich die Zustimmungserklärung in den Akten befindet. Hierzu hat das BSG bereits in seiner Entscheidung vom 7. Mai 1975 - SozR 1500 § 161 Nr. 2 - Stellung genommen. Zwar bezieht sich diese Entscheidung noch auf § 161 SGG aF. Die Neufassung des § 161 SGG enthält jedoch, was die Beifügung der schriftlichen Erklärung für den Fall angeht, daß die Revision im Urteil zugelassen worden ist, keine bedeutsame Abweichung von der früheren Fassung. In jener Entscheidung hat das BSG allerdings nur ausgesprochen, daß es ausreiche, wenn während der Revisionsfrist auf die in den - während der Frist beim BSG eingegangenen - Akten des SG befindliche Urschrift der Einwilligungserklärung verwiesen worden sei. Der erkennende Senat sieht darin aber zugleich auch die Mindestanforderung, die in Zusammenhang mit § 161 SGG an die Einlegung der Revision gestellt werden muß. Das Gesetz verlangt ausdrücklich die Beifügung einer schriftlichen Erklärung durch den Revisionskläger. Unter diesen Umständen kann nicht dem Revisionsgericht aufgebürdet werden, von sich aus Feststellungen darüber zu treffen, ob eine den Formerfordernissen des § 161 Abs. 1 SGG entsprechende Zustimmungserklärung in den Akten des SG enthalten ist. An dem vorbezeichneten Hinweis seitens der Revisionsklägerin fehlt es. Auch dadurch, daß der Revisionsschrift eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des erstinstanzlichen Urteils beigefügt wird - vgl. § 160 a Abs. 1 Satz 3 SGG - kann die genannte Voraussetzung nicht erfüllt werden. Dies gilt auch für den Fall, daß in dem Urteil dargetan ist, der Revisionsgegner habe der Sprungrevision zugestimmt. Das Gesetz verlangt - aus Gründen der Klarheit - die Beifügung der Erklärung selbst. Der Hinweis durch eine andere Stelle oder Person darauf, daß die Erklärung vorliege, reicht deshalb nicht aus. Ein solcher Hinweis enthält in der Regel zugleich eine Wertung, die unzutreffend sein kann. Der Senat ist der Auffassung, daß das Revisionsgericht mit der in diesem Zusammenhang notwendigen Nachprüfung nicht belastet werden soll.

Auch die Revision der Beigeladenen muß daher als unzulässig verworfen werden (entsprechende Anwendung des § 169 SGG).

Die Kostenentscheidung ergeht in entsprechender Anwendung des § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1648673

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