Leitsatz (amtlich)
Eine Revisionsbegründung muß bei materiell-rechtlichen Rügen darlegen, daß und warum eine revisible Rechtsvorschrift auf den vom Tatsachengericht festgestellten Sachverhalt nicht oder nicht richtig angewandt worden ist; dies kann nur mit rechtlichen Erwägungen zu dieser Vorschrift geschehen.
Normenkette
SGG § 164 Abs. 2 S. 3 Fassung: 1974-07-30; ZPO § 550 Fassung: 1950-09-12
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 9. Juni 1978 wird als unzulässig verworfen.
Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
Der Kläger leistete, als er noch Danziger Staatsangehöriger war, freiwillig im Deutschen Reich Wehrdienst von November 1935 bis Oktober 1937. Nach dem 2. Weltkrieg war er zunächst in Schwerin/Meckl. ansässig und dort ab September 194-5 als Inseratenwerber tätig. Im Dezember 1948 kam er im Wege der Familienzusammenführung in den Landkreis A.; hier war er bis Oktober 1956 als Arbeitsuchender beim Arbeitsamt gemeldet.
Im Verfahren wegen Gewährung einer Rente wegen Berufs- bzw. Erwerbsunfähigkeit begehrte er, u.a. die Zeiten von November 1935 bis Oktober 1937 sowie von Januar 1947 bis Oktober 1956 als (weitere) Ersatzzeiten rentensteigernd anzurechnen. Das Sozialgericht und das Landessozialgericht (LSG) haben die Klage insoweit abgewiesen. Nach der Ansicht des LSG ist der Wehrdienst keine Ersatzzeit im Sinne von § 28 Abs 1 Nr 1 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG), weil der Kläger ihn im Deutschen Reich weder aufgrund gesetzlicher Wehrpflicht geleistet noch damit einer in Danzig bestehenden Dienstpflicht genügt habe; es habe sich auch nicht um einen militärähnlichen Dienst gehandelt. Eine Ersatzzeit nach § 28 Abs 1 Nr 6 AVG liege über den Dezember 1946 hinaus nicht mehr vor. Die "Vertreibung oder Flucht" habe in Schwerin geendet; eine Krankheit oder Arbeitslosenzeit habe sich nicht angeschlossen.
Mit der - zugelassenen - Revision beantragt der Kläger,
das angefochtene Urteil und das Urteil des Sozialgerichts aufzuheben.
Materiell werde gerügt erstens die Wehrdienstzeit als "Danziger", die nicht als Ersatzzeit angerechnet werden könne. Es widerspreche aber doch jeglicher Vernunft, wenn andererseits sog. "ausländische Soldatenzeiten" Berücksichtigung fänden. Zweitens könne sein Aufenthalt in Schwerin doch nur als vorübergehend angesehen werden. Die tatsächliche Beendigung der Vertreibung sei im Dezember 1948 gewesen. Seine Flucht aus der sowjetischen Besatzungszone könne man doch wohl nicht als Übersiedlung betrachten, wenn er mit seiner Körperbehinderung als Lediger die elterliche Geborgenheit gesucht habe. Hier sollten doch menschliche Schicksale sozialer angesehen und nicht nur danach geforscht werden, wo man Ablehnungsgründe fände.
Die Revision war gemäß § 169 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) als unzulässig zu verwerfen, weil ihre Begründung den Anforderungen des Gesetzes nicht genügt.
Gemäß § 164 Abs. 2 Satz 3 SGG muß die Begründung einen bestimmten Antrag enthalten und die verletzte Rechtsnorm bezeichnen. Diese Vorschrift soll - zur Entlastung des Revisionsgerichts - sicherstellen, daß der Prozeßbevollmächtigte das angefochtene Urteil im Hinblick auf das Rechtsmittel der Revision überprüft und mit Blickrichtung hierauf die Rechtslage genau durchdenkt. Das muß die Revisionsbegründung erkennen lassen; die Revision ist deshalb - auch bei materiell-rechtlichen Rügen - sorgfältig zu begründen; sie muß jedenfalls die Gründe aufzeigen, die nach Auffassung des Prozeßbevollmächtigten das Urteil im oder in den verbleibenden Streitpunkten unrichtig erscheinen lassen; hierzu bedarf es einer zumindest kurzen Auseinandersetzung mit den Gründen der angefochtenen Entscheidung (vgl. SozR Nr 27 zu § 164 SGG; SozR 1500 § 164 Nr 5 mwH; BVerwG, Buchholz 310. § 139 VwGO Nr 34, BFHE 88, 230; 101, 356, 357; 102, 217, 219). Bei alledem sind stets die Voraussetzungen im Auge zu behalten, unter denen das Gesetz dem Revisionsgericht überhaupt eine Korrektur von unrichtigen Urteilen erlaubt; die Revisionsbegründung muß daher grundsätzlich von tatsächlichem Vorbringen frei sein; sie muß bei materiellrechtlichen Rügen darlegen, daß und warum eine revisible Rechtsvorschrift auf den festgestellten Sachverhalt nicht oder nicht richtig angewandt worden ist (§ 550 der Zivilprozeßordnung); dies kann nur mit rechtlichen Erwägungen zu dieser Vorschrift geschehen (vgl. RGZ 117, 168, 171; BVerwG aaO). Die für verletzt erachtete Vorschrift braucht allerdings nicht genau nach Gesetz und Paragraphennummer bezeichnet zu werden; es reicht aus, wenn sie sich deutlich aus dem Inhalt der Darlegungen des Revisionsklägers ergibt (SozR Nrn 22 und 27 zu § 164 SGG; BSG 8, 31, 32).
Diesen Erfordernissen wird die hier vorliegende Revisionsbegründung nicht gerecht. Aus ihr läßt sich allenfalls entnehmen, daß es bei der Wehrdienst seit wohl um die Anwendbarkeit des § 28 Abs 1 Nr 1 AVG und bei der Zeit von Januar 1947 bis Oktober 1956 offenbar um die Anwendbarkeit des § 28 Abs 1 Nr 6 AVG geht. Nicht ausreichend ersichtlich ist jedoch, in welchem der einzelnen Gesetzestatbestande - und bei Nr 6 außerdem für welche Zeiten - der Kläger diese Gesetzesvorschriften im Gegensatz zum LSG für erfüllt hält. Dies läßt sich bei Nr 6 auch nicht mittelbar aus dem vorwiegend tatsächlichen Vorbringen des Klägers zur Vertreibung und Flucht erschließen. Vor allem aber fehlt es völlig an rechtlichen Erwägungen, die sich auf die in Betracht kommenden Ersatzzeitvorschriften beziehen. Sie können weder darin gesehen werden, daß es nach Meinung des Klägers "jeglicher Vernunft widerspricht", wenn sein Wehrdienst als "Danziger" im Gegensatz zu "ausländischen Soldatenzeiten" als Ersatzzeit nicht berücksichtigt wird noch darin daß "menschliche Schicksale sozialer angesehen und nicht nur danach geforscht werden sollte, wo man Ablehnungsgründe findet". Dieses Vorbringen läßt jeden Anknüpfungspunkt an eine - im angefochtenen Urteil erörterte - rechtliche Grundlage vermissen. Eine verletzte Rechtsnorm ist sonach im Sinne von § 164 Abs 2 Satz 3 SGG vom Kläger nicht bezeichnet worden.
Bei dieser Sachlage war die Revision nach § 169 SGG zu verwerfen, ohne daß geprüft zu werden brauchte, ob der vom Kläger gestellte Revisionsantrag bestimmt genug gewesen ist und ob hinsichtlich der Prozeßvertretung des Klägers vor dem Bundessozialgericht die Voraussetzungen des § 166 Abs 2 SGG sämtlich gegeben sind (vgl. hierzu SozR Nrn 39 und 42 zu § 166 SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung des § 193 SGG.
Fundstellen