Entscheidungsstichwort (Thema)
Nichtzulassungsbeschwerde. Vertragsärztliche Versorgung. Katheter. Legen. Ärztliche Überwachung. Schmerzmittel. Verabreichung. Vergütung. Rechtliches Gehör
Leitsatz (redaktionell)
1. Für die Auslegung der vertragsärztlichen Gebührenordnungen ist wegen der den Gerichten auferlegten Zurückhaltung in erster Linie der Wortlaut der Leistungslegende maßgebend, zu dessen Klarstellung ergänzend eine systematische Gesamtschau der im inneren Zusammenhang stehenden vergleichbaren oder ähnlichen Gebührenregelungen vorgenommen werden darf; Leistungsbeschreibungen dürfen indessen weder ausdehnend ausgelegt noch analog angewandt werden.
2. Angesichts der hohen Bewertung der Nr. 443 EBM-Ä mit 1.800 Punkten, der damit zugleich abgegoltenen ärztlichen Überwachung „bis zu 2 Stunden” und des sich im Wesentlichen erst durch das Legen eines Katheters ergebenden erheblichen zeitlichen Aufwandes kann die Formulierung „mittels Katheter” nur in einem umfassenden Sinne verstanden werden; so dass damit ausschließlich das im Zusammenhang mit einer Schmerzmittelgabe vorgenommene Legen eines Katheters gemeint ist, nicht aber auch allein die Schmerzmittelverabreichung über einen bereits zuvor aus anderem Anlass gelegten Katheter.
Normenkette
SGG §§ 62, 84 Abs. 1, § 160 Abs. 2 Nr. 1, § 160a Abs. 2 Nr. 3; SGB V § 87 Abs. 1-2; EBM-Ä Nr. 443; GG Art. 103 Abs. 1
Verfahrensgang
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 25. September 2002 wird zurückgewiesen.
Der Kläger hat der Beklagten auch deren außergerichtliche Kosten für das Beschwerdeverfahren zu erstatten.
Tatbestand
I
Die Beteiligten streiten darum, ob der klagende, zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassene schmerztherapeutisch tätige Anästhesist in zahlreichen Fällen zu Recht die mit 1.800 Punkten bewertete Nr 443 des Einheitlichen Bewertungsmaßstabes für vertragsärztliche Leistungen (≪EBM-Ä≫, „Plexusanalgesie …, Spinal- oder Periduralanalgesie …, einseitig oder mittels Katheter …, ggf einschl Kontrolle der Katheterlage durch Injektion eines Lokalanästhetikums, einschl Überwachung von bis zu 2 Stunden, je Sitzung”) abgerechnet hat. Dies geschah sowohl dann, wenn der Kläger unmittelbar nach Legen eines Periduralkatheters Schmerzmittel in den Körper der behandelten Versicherten eingeführt, als auch dann, wenn er bei bereits gelegtem Katheter Schmerzmittel nachgespritzt hatte. Die Beklagte lehnte bei den Honorarabrechnungen der Quartale I/1996 bis I/1997 die Vergütung der vom Kläger in den letztgenannten Fällen jeweils abgerechneten Nr 443 EBM-Ä ab und wandte statt dessen entsprechend die mit 300 Punkten bewertete Nr 446 EBM-Ä an „Überprüfung … eines zur Langzeitanalgesie angelegten … Periduralkatheters, ggf einschl Injektion, Filterwechsel und Verbandswechsel oder Funktionskontrolle, ggf mit Umprogrammierung und/oder Wiederauffüllung einer externen oder implantierten Medikamentenpumpe und/oder eines programmierbaren Stimulationsgerätes im Rahmen der Langzeitanalgesie, je Sitzung”); sie verwies dazu auf den Wortlaut der Leistungslegende der Nr 443 EBM-Ä sowie eine Stellungnahme des Arbeitskreises Schmerztherapie des Berufsverbandes Deutscher Anästhesisten. Widersprüche, Klage und Berufung dagegen sind ohne Erfolg geblieben. Das Landessozialgericht (LSG) hat sich – nach Einholung einer Stellungnahme der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KÄBV) – die Ausführungen des Sozialgerichts (SG) iS von § 153 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zu Eigen gemacht und ergänzend auf Beschränkungen bei der Auslegung von Vorschriften des EBM-Ä hingewiesen. Der Wortlaut der Nr 443 EBM-Ä „mittels Katheter”) erfasse unter Berücksichtigung der Systematik des EBM-Ä (hohe Bewertung; Mitabgeltung der Überwachungszeit) allein die Analgesie mit Legen eines Katheters, nicht aber schon jegliche „mit Hilfe eines Katheters”. Über die Richtigkeit der Zuerkennung der Nr 446 EBM-Ä brauche nicht entschieden zu werden, weil der Kläger hierdurch nicht beschwert sei (Urteil vom 25. September 2002).
Mit seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG macht der Kläger die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend und rügt Verfahrensfehler.
Entscheidungsgründe
II
Die Beschwerde des Klägers ist unbegründet. Weder kommt der Rechtssache grundsätzliche Bedeutung zu (Zulassungsgrund des § 160 Abs 1 Nr 1 SGG) noch kann er dem LSG mit Erfolg Verfahrensfehler (Zulassungsgrund des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG) anlasten.
Für die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung iS von § 160 Abs 1 Nr 1 SGG bedarf es einer klar formulierten, konkreten Rechtsfrage, die in dem angestrebten Revisionsverfahren klärungsfähig (entscheidungserheblich) sowie klärungsbedürftig und über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist. An der Klärungsbedürftigkeit der Frage fehlt es, wenn kein vernünftiger Zweifel an Richtigkeit der vom LSG dazu gegebenen Auslegung bestehen kann, etwa, weil sich die Beantwortung bereits ohne Weiteres aus der streitigen Norm selbst ergibt oder sich der bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung entnehmen lässt (vgl zB BSG SozR 3-2500 § 75 Nr 8 S 34; SozR 3-1500 § 146 Nr 2 S 6 und § 160a Nr 21 S 38); das gilt auch in Fällen, in denen zwar eine gleichartige Konstellation fehlt, aber erkennbar Rechtmäßigkeitsmaßstäbe betroffen sind, zu denen bereits Rechtsprechung vorliegt (vgl zB Beschluss des Senats vom 30. August 2001 – B 6 KA 34/01 B). So verhält es sich hier. Selbst wenn man davon ausgeht, dass der Kläger die Voraussetzungen für eine Grundsatzrevision in hinreichender Weise dargelegt hat, ist jedenfalls die Klärungsbedürftigkeit der Frage zu verneinen; denn auch ohne Durchführung eines Revisionsverfahrens liegt auf der Hand, dass die vom Kläger aufgeworfene Frage, „ob die Verabreichung eines Schmerzmittels über einen bereits liegenden Katheter eine Periduralanalgesie gem Ziffer 443 EBM darstellt”, auf der Grundlage der Rechtsprechung des Senats zur Auslegung von Bestimmungen über die Bewertung vertragsärztlicher Leistungen nicht anders beantwortet werden kann als vom LSG entschieden, nämlich zu verneinen ist. Wie schon das SG auf Seite 5 und das LSG auf Seite 6 ihrer Urteile unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Senats ausgeführt haben, ist für die Auslegung der vertragsärztlichen Gebührenordnungen wegen der den Gerichten auferlegten Zurückhaltung in erster Linie der Wortlaut der Leistungslegende maßgebend, zu dessen Klarstellung ergänzend eine systematische Gesamtschau der im inneren Zusammenhang stehenden vergleichbaren oder ähnlichen Gebührenregelungen vorgenommen werden darf; Leistungsbeschreibungen dürfen indessen weder ausdehnend ausgelegt noch analog angewandt werden (vgl zuletzt Urteil des Senats vom 26. Juni 2002 – B 6 KA 5/02 R, mwN, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen). Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist ohne Weiteres erkennbar, dass angesichts der hohen Bewertung der Nr 443 EBM-Ä mit 1.800 Punkten, der damit zugleich abgegoltenen ärztlichen Überwachung „bis zu 2 Stunden” und des sich im Wesentlichen erst durch das Legen eines Katheters ergebenden erheblichen zeitlichen Aufwandes die Formulierung „mittels Katheter” nur in einem umfassenden Sinne verstanden werden kann. Damit ist ausschließlich das im Zusammenhang mit einer Schmerzmittelgabe vorgenommene Legen eines Katheters gemeint, nicht aber auch allein die Schmerzmittelverabreichung über einen bereits zuvor aus anderem Anlass gelegten Katheter. Für den fehlenden Klärungsbedarf spricht insoweit ergänzend, dass diese Auslegung in Fachkreisen nicht in Zweifel gezogen, sondern sowohl vom Berufsverband Deutscher Anästhesisten als auch von der KÄBV befürwortet wird.
Die Rügen des Klägers, das LSG sei auf dem Weg zu seinem Urteil verfahrensfehlerhaft vorgegangen (Zulassungsgrund nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG), können ebenfalls keinen Erfolg haben.
Das LSG hat den Anspruch des Klägers auf Gewährung rechtlichen Gehörs nicht durch eine „Überraschungsentscheidung” verletzt, wenn es angenommen hat, nur beim Legen eines Katheters und der erstmaligen Verabreichung eines Analgetikums sei eine Überwachungszeit bis zu zwei Stunden erforderlich. Der Kläger rügt zu Unrecht, es sei nicht ersichtlich, woher das LSG seine diesbezüglichen Kenntnisse erlangt habe. Denn schon Aussagen sowohl im Schreiben der KÄBV vom 13. Februar 2001 als auch solche in der für den Berufsverband Deutscher Anästhesisten abgegebenen Stellungnahme der Gemeinschaftspraxis D. K. … -W. …, ua vom 12. Mai 1996, deuten darauf hin, dass das LSG möglicherweise davon würde ausgehen können, dass der zu vergütende zeitliche Aufwand (einschließlich Überwachung) bei dem zugleich vorgenommenen Legen eines Katheters jedenfalls wesentlich größer ist als ohne diese ärztliche Verrichtung; darauf geht der Kläger in seinem Beschwerdevorbringen nicht ein. Mithin hat auch ohne entsprechende Hinweise des LSG hinreichender Anlass bestanden, im Berufungsverfahren zu der von ihm anscheinend abweichend beurteilten Frage des erheblich unterschiedlichen zeitlichen Aufwandes vorzutragen und ggf Beweisanträge zu stellen.
Die Rüge des Klägers, das LSG habe sich in mehreren Punkten nicht mit seiner ausführlichen Argumentation auseinander gesetzt, dadurch seine Ausführungen nicht zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen und somit seine Rechte aus Art 103 Abs 1 Grundgesetz verletzt, greift ebenfalls nicht durch. Abgesehen davon, dass das LSG auf Seite 4/5 des Tatbestandsteils seines Urteils den Vortrag des Klägers im Berufungsverfahren genauer wiedergegeben hat, ergibt sich aus der entsprechenden Pflicht des Gerichts nicht auch zugleich, dass es sich in seiner schriftlich abgesetzten Entscheidung mit jeglichem Beteiligtenvorbringen ausdrücklich befassen muss (vgl BSGE 75, 92, 94 mwN = SozR 3-4100 § 141b Nr 10; Danckwerts in Hennig, SGG, § 62 RdNr 18 mwN). Inwieweit das beanstandete Urteil trotz der vom LSG als tragend dafür gegebenen, in ihren Rechtmäßigkeitsmaßstäben auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) abstellenden Entscheidungsgründe gerade auf der Nichtberücksichtigung solchen Vortrags beruhen soll, wird bei alledem nicht hinreichend deutlich. Werden mit der Nichtzulassungsbeschwerde keine absoluten Revisionsgründe (§ 202 SGG iVm § 551 Zivilprozessordnung) geltend gemacht (bei denen die Ursächlichkeit zwischen Gesetzesverletzung und Entscheidungstenor unwiderleglich vermutet wird), muss auch genauer darauf eingegangen werden, dass ein ordnungsgemäßes Vorgehen des Gerichts zu einer abweichenden Entscheidung geführt hätte (vgl zB BSG SozR 1500 § 160a Nr 36; Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 3. Aufl 2002, Kap IX RdNr 204 und 218 mwN).
Soweit der Kläger schließlich sinngemäß geltend macht, sein Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs sei verletzt worden, weil das LSG seinen zuvor gestellten Befangenheitsantrag gegen den Vorsitzenden Richter Dr. B. … zu Unrecht mit Beschluss vom 11. Mai 2000 zurückgewiesen und dieser dann verfahrensfehlerhaft an dem angefochtenen Urteil mitgewirkt habe, bleibt die Beschwerde ebenfalls erfolglos. Insoweit fehlen schon hinreichende Darlegungen dazu, auf Grund welcher konkreten Umstände von der Fehlerhaftigkeit des LSG-Beschlusses ausgegangen werden sollte, der im Einzelnen ausführt, weshalb keine Besorgnis dafür bestand, dass es dem Abgelehnten an der erforderlichen Offenheit für die Argumente des Klägers mangele; allein die Tatsache, dass nunmehr ein dem Kläger ungünstiges Urteil ergangen ist, reicht für die Annahme des Gegenteils nicht aus. Unbeschadet dessen sind nach der Rechtsprechung des BSG Entscheidungen eines LSG über die Ablehnung von Befangenheitsanträgen in einem Revisionsverfahren (wie es hier angestrebt wird) ohnehin nicht überprüfbar (vgl Meyer-Ladewig, SGG, 7. Aufl 2002, § 60 RdNr 14a mwN; BSG SozR Nr 4 zu § 60 SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 Abs 1 und 4 SGG in der bis zum Inkrafttreten des 6. SGG-Änderungsgesetzes am 2. Januar 2002 geltenden, hier noch anzuwendenden Fassung.
Fundstellen