Entscheidungsstichwort (Thema)
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Armenrechtsablehnung
Leitsatz (amtlich)
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Revisionsfrist, wenn das Armenrechtsgesuch, das auf ein von der Gemeindebehörde vorbehaltlos bezeugtes Unvermögen zur Bestreitung der Prozeßkosten gestützt war, wegen fehlender Armut abgelehnt wurde (Anschluß an BGH 1964-01-20 II ZR 72/62 = LM ZPO § 233 (Hc) Nr 12).
Normenkette
SGG § 67 Abs. 1, § 167 Abs. 1
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 5. Februar 1974 wird als unzulässig verworfen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
Wegen der Versäumung der Fristen für die Einlegung und Begründung der Revision gewährt der Senat - ohne daß es hierfür einer besonderen formellen Entscheidung bedarf (vlg. BSG 6,80,82) - der Klägerin gem. § 67 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. An der Einhaltung dieser Fristen war die Klägerin ohne Verschulden verhindert, denn über ihr fristgerecht am 3. April 1974 beim Bundessozialgericht (BSG) eingegangenes Armenrechtsgesuch, dem das nach § 167 SGG i. V. m. § 118 Abs. 2 Zivilprozeßordnung (ZPO) vorgeschriebene behördliche Zeugnis beigefügt war, ist erst durch den am 31. Mai 1974 zugestellten Beschluß des Senats vom 24. Mai 1974 ablehnend entschieden worden. Daß dieser Beschluß damit begründet wurde, die Klägerin sei nicht außerstande, die Rechtsanwaltskosten zu bestreiten, weil ihr Ehemann zur Bevorschussung dieser Kosten verpflichtet sei, steht der Annahme einer unverschuldeten Verhinderung nicht entgegen; diese Entscheidung mußte die Klägerin nicht zweifelsfrei erwarten, nachdem ihr von der Gemeindebehörde, der sie die bei ihr selbst und ihrem Ehemann gegebenen Einkommens- und Vermögensverhältnisse dargelegt hatte, im Zeugnis vom 15. März 1974 das Unvermögen zur Kostenbestreitung ausdrücklich ohne Einschränkung bescheinigt worden war; ein Beteiligter braucht nämlich im allgemeinen nicht damit zu rechnen, das an ein solches Zeugnis nicht gebundene Gericht werde an den Nachweis der Armut strengere Anforderungen stellen (vgl. BGH LH ZPO § 233 - Ho - Nr. 12; BGH Beschluß vom 26. Januar 1966, VersR 1966, 492). Die Klägerin hat auch unverzüglich nach der Zustellung des Beschlusses vom 24. Mai 1974 die versäumten Rechthandlungen nachgeholt und - mit noch ausreichender Begründung (vgl. BGHZ 26, 99; BGH Beschluß vom 30.4.1969, VersR 1969, 753)- die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Die Nachholung der Revisionsbegründung durch eine Bezugnahme auf die - von demselben Prozeßbevollmächtigten vorgenommene - Begründung des Armenrechtsgesuchs genügt dem Formerfordernis des § 164 Abs. 2 Satz 2 SGG (vgl. SozR Nr. 45 zu § 164 SGG; BVerwG Buchholz 310 Nr. 40 zu § 60 VwGO).
Da das Landessozialgericht (LSG) die Revision nicht zugelassen hat (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG), wäre sie nur statthaft, wenn die Klägerin zutreffend einen wesentlichen Mangel im Verfahren des LSG (§ 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG; BSG 1, 150) oder eine Verletzung des "Gesetzes" i. S. von § 162 Abs. 1 Nr. 3 SGG gerügt hätte. Dies ist nicht der Fall.
Die Revision rügt sinngemäß eine Verletzung der Sachaufklärungspflicht (§ 103 SGG) durch das LSG und als deren Folge eine Verkennung des Ursachenzusammenhanges zwischen der Internierung der Klägerin und den geltend gemachten Gesundheitsstörungen. Die Revisionsrüge, das LSG habe die gebotene Prüfung unterlassen, ob die Konstitution der Klägerin durch die Internierung im Kindesalter erworben worden und nicht etwa anlagebedingt sei, trifft nicht zu. Das LSG hat zwar das jugendliche Alter der Klägerin, in dem sie den Strapazen der Internierung ausgesetzt war, nicht besonders hervorgehoben, sich aber uneingeschränkt auf die Beurteilungen der Sachverständigen bezogen, die diesem Gesichtspunkt ihre besondere Aufmerksamkeit gewidmet haben (vgl. Gutachten Dr. Spengler vom 11.5.1971, Prof. Dr. Rathke/Dr. Fischer vom 30.9.1971). Wenn es bei dieser Sachlage von Amts wegen keine weitere Sachaufklärung für erforderlich gehalten hat, dann ist dies nicht zu beanstanden und verstößt auch nicht gegen allgemeine Erfahrungssätze. Die Revision läßt bei ihrem Hinweis auf § 411 Abs. 3 ZPO unbeachtet, daß weder in der mündlichen Verhandlung vor dem LSG (5. Februar 1974) noch im Berufungsschriftsatz vom 9. April 1973 ein Antrag auf Erläuterung der schriftlichen Gutachten durch die gehörten Sachverständigen gestellt wurde (vgl. SozR Nr. 160 zu § 162 SGG); sie legt auch nicht dar, welche Umstände dem LSG hätten aufdrängen müssen, die schriftlichen Gutachten in der Verhandlung erläutern zu lassen. Im übrigen nimmt die Revision lediglich eine eigene Würdigung der Beweise vor und bezeichnet die Tatsachen und Beweismittel, die einen Mangel in Verfahren des LSG ergeben sollen, nicht hinreichend substantiiert (§ 164 Abs. 2 Satz 2 SGG).
Da das LSG bei seiner Beweiswürdigung zu der Beurteilung gelangt ist, für die geltend gemachten Gesundheitsstörungen fehle es entweder am zeitlichen Zusammenhang oder sie seien nicht feststellbar oder stünden wahrscheinlich nicht im Ursachenzusammenhang mit der Internierung, ist es zur Anwendung der in der Kriegsopferversorgung (KOV) geltenden Kausalitätsnorm (BSG 1, 157, 286) gar nicht gekommen, hat also diese nicht i. S. von § 162 Abs. 1 Nr. 3 SGG verletzen können.
Die somit nicht statthafte Revision war nach § 169 Satz 2 SGG als unzulässig zu verwerfen.
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Fundstellen