Verfahrensgang
SG Aurich (Entscheidung vom 21.02.2018; Aktenzeichen S 48 KR 175/09) |
LSG Niedersachsen-Bremen (Urteil vom 18.01.2022; Aktenzeichen L 16 KR 164/18) |
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 18. Januar 2022 wird als unzulässig verworfen.
Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
In dem der Nichtzulassungsbeschwerde zugrunde liegenden Rechtsstreit begehrt der Kläger die Feststellung, dass er in der Zeit vom 16.7.2007 bis zum 31.8.2010 sozialversicherungspflichtig beschäftigt war.
Der 1951 geborene Kläger ist als zugelassener Rechtsanwalt selbstständig tätig. Vor dem hier streitigen Zeitraum war er ab dem 15.4.2006 bei einem Arbeitgeber beschäftigt, der keine Sozialversicherungsbeiträge für ihn abführte.
Zum 16.7.2007 wurde der Kläger der beklagten Krankenkasse als Arbeitnehmer gemeldet. Beiträge wurden nicht gezahlt. Nach Ermittlungen und erfolglosen Vollstreckungsversuchen gegenüber dem meldenden Arbeitgeber stornierte die Beklagte rückwirkend die Mitgliedschaft des Klägers. Der vermeintliche Arbeitgeber sei im Gewerberegister nicht zu ermitteln und somit nicht existent. Nachweise über erhaltene Gehaltszahlungen seien nicht beigebracht worden; Beitragszahlungen seien nicht verzeichnet (Bescheid vom 4.6.2009; Widerspruchsbescheid vom 27.11.2009). Das SG hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 21.2.2018). Das LSG hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Es bestünden Anhaltpunkte für ein Scheingeschäft. Der Kläger habe auch im Berufungsverfahren Nachweise weder für seine Tätigkeit noch für Entgeltzahlungen erbracht (Urteil vom 18.1.2022). Mit seiner Beschwerde wendet sich der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG.
II
Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in der angefochtenen Entscheidung ist gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 SGG in entsprechender Anwendung von § 169 Satz 2 und 3 SGG als unzulässig zu verwerfen. In der Begründung des Rechtsmittels ist entgegen § 160a Abs 2 Satz 3 SGG kein Zulassungsgrund hinreichend dargelegt oder bezeichnet. In der Beschwerdebegründung vom 28.4.2022 macht der Kläger ausschließlich das Vorliegen von Verfahrensmängeln (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG) geltend.
1. Ein Verfahrensmangel iS von § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist der Verstoß des Gerichts im Rahmen des prozessualen Vorgehens im unmittelbar vorangehenden Rechtszug (zu den Anforderungen an die Bezeichnung eines solchen Verfahrensmangels s exemplarisch BSG Beschluss vom 12.12.2003 - B 13 RJ 179/03 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 3 RdNr 4; BSG Beschluss vom 19.11.2007 - B 5a/5 R 382/06 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 21 RdNr 4 - jeweils mwN; Krasney/Udsching/Groth/Meßling, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 8. Aufl 2022, Kap IX, RdNr 113 ff). Nach § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG kann sich der geltend gemachte Verfahrensmangel nicht auf eine Verletzung von § 109 SGG und § 128 Abs 1 Satz 1 SGG stützen. Ferner kann die Geltendmachung eines Verfahrensmangels auf eine Verletzung des § 103 SGG (Amtsermittlungspflicht) gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Prüfungsmaßstab ist die materiell-rechtliche Rechtsauffassung des LSG (vgl BSG Beschluss vom 4.9.2007 - B 2 U 308/06 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 18 RdNr 12). Neben der Geltendmachung des Vorliegens eines Verstoßes gegen das Verfahrensrecht ist mit der Beschwerdebegründung darzulegen, dass die angefochtene Entscheidung auf diesem Verstoß beruhen kann. Ein entscheidungserheblicher Mangel des Berufungsverfahrens wird nur dann substantiiert bezeichnet, wenn er hinsichtlich aller ihn (vermeintlich) begründenden Tatsachen dargelegt wird, sodass das BSG allein anhand der Beschwerdebegründung darüber befinden kann, ob die angegriffene Entscheidung des LSG möglicherweise auf dem geltend gemachten Verfahrensmangel beruht. Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht.
a) Der Kläger macht im Wesentlichen eine inhaltliche Unrichtigkeit des angefochtenen Urteils geltend. Er führt ua aus, es sei ein nicht der Wahrheit entsprechender Lebenssachverhalt der Entscheidung zugrunde gelegt worden. Es sei auch "nicht richtig", dass erst im Berufungsverfahren Lohnabrechnungen vorgelegt worden seien. Das LSG habe vergessen, dass die Beitragsmeldungen vor der Prozessführung an die Beklagte übermittelt worden seien. Es sei lebensfremd, die Fehlerhaftigkeit der Lohnabrechnungen als Indiz für das Nichtbestehen eines Arbeitsverhältnisses heranzuziehen. Auch habe das LSG gegen Denkgesetze verstoßen, indem es "auch dem nicht filigran denkenden Leser den Weg dahin eröffnen ≪will≫, dass die Lohnabrechnungen des Klägers 'prozessadäquat' erstellt wurden".
Der Kläger berücksichtigt insoweit nicht, dass die Behauptung, die Entscheidung des Berufungsgerichts sei inhaltlich unrichtig, im sozialgerichtlichen Verfahren nicht zur Zulassung der Revision führen kann (vgl BSG Beschluss vom 26.1.2005 - B 12 KR 62/04 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 6 RdNr 18). Ebenso wenig kann die Beschwerde auf eine vermeintlich fehlerhafte Beweiswürdigung (Verletzung von § 128 Abs 1 Satz 1 SGG) des LSG gestützt werden. Dies wird durch § 160 Abs 2 Nr 3 Teilsatz 2 SGG ausdrücklich ausgeschlossen und schließt auch eine insoweit erhobene Rüge eines Verstoßes gegen Denkgesetze aus (vgl BSG Beschluss vom 15.4.2019 - B 13 R 233/17 B - juris RdNr 17 mwN).
b) Wird - wie vorliegend - ein Verstoß gegen die tatrichterliche Sachaufklärungspflicht (§ 103 SGG) gerügt, muss die Beschwerdebegründung hierzu folgende Punkte enthalten: (1) Bezeichnung eines für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbaren, bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung zu Protokoll aufrechterhaltenen oder im Urteil wiedergegebenen Beweisantrags, dem das LSG nicht gefolgt ist, (2) Wiedergabe der Rechtsauffassung des LSG, aufgrund derer bestimmte Tatfragen als klärungsbedürftig hätten erscheinen und zur weiteren Sachaufklärung drängen müssen, (3) Angabe des voraussichtlichen Ergebnisses der unterbliebenen Beweisaufnahme und (4) Schilderung, dass und warum die Entscheidung des LSG auf einer angeblich fehlerhaft unterlassenen Beweisaufnahme beruhen kann, das LSG mithin bei Kenntnis des behaupteten Ergebnisses der unterbliebenen Beweisaufnahme von seinem Standpunkt aus zu einem anderen, dem Beschwerdeführer günstigeren Ergebnis hätte gelangen können (stRspr; vgl zB BSG Beschluss vom 3.12.2012 - B 13 R 351/12 B - juris RdNr 6 mwN). Dem wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht.
Dabei kann dahingestellt bleiben, ob ein prozessordnungsgemäßer Beweisantrag, mit dem sowohl das Beweismittel als auch das Beweisthema angegeben und aufgezeigt wurde, über welche Tatsachen im Einzelnen Beweis erhoben werden sollte, in der abschließenden mündlichen Verhandlung aufrechterhalten oder gestellt worden ist (vgl BSG Beschluss vom 19.11.2007 - B 5a/5 R 382/06 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 21 RdNr 6; BSG Beschluss vom 18.12.2000 - B 2 U 336/00 B - SozR 3-1500 § 160 Nr 31 S 51 f; BSG Beschluss vom 28.5.1997 - 9 BV 194/96 - SozR 3-1500 § 160 Nr 20 S 32 f). Jedenfalls legt der Kläger nicht dar, dass das LSG einem Beweisantrag - und nicht nur einer Beweisanregung - auf Zeugenvernehmung ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt wäre (vgl § 160 Abs 2 Nr 3 SGG). "Ohne hinreichende Begründung" ist nicht formell, sondern materiell im Sinne von "ohne hinreichenden Grund" zu verstehen (BSG Beschluss vom 31.7.1975 - 5 BJ 28/75 - SozR 1500 § 160 Nr 5 S 6). Da sich das LSG von seinem sachlich-rechtlichen Standpunkt aus hätte gedrängt fühlen müssen, den beantragten Beweis zu erheben (BSG Beschluss vom 12.12.2003 - B 13 RJ 179/03 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 3 RdNr 9), ist aufzuzeigen, inwiefern nach den dem LSG vorliegenden Beweismitteln Fragen zum tatsächlichen Sachverhalt aus der rechtlichen Sicht des LSG erkennbar offengeblieben sind, damit zu einer weiteren Aufklärung des Sachverhalts zwingende Veranlassung bestanden hat und die so zu ermittelnden Tatsachen nach der Rechtsauffassung des LSG entscheidungserheblich sind (BSG Beschluss vom 19.6.2008 - B 2 U 76/08 B - juris RdNr 7 mwN). Daran fehlt es hier. Der Kläger hat insbesondere nicht aufgezeigt, inwieweit die unter Beweis gestellte Tatsache, bei einer einmaligen Fahrt nach Wien die Übergabe von Geld beobachtet zu haben, geeignet sein soll, das Bestehen einer abhängigen Beschäftigung in der Zeit vom 16.7.2007 bis zum 31.8.2010 nachzuweisen.
2. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, weil sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen (§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).
3. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.
Heinz U. Waßer Beck
Fundstellen
Dokument-Index HI15414135 |