Verfahrensgang

LSG Berlin-Brandenburg (Urteil vom 01.03.2022; Aktenzeichen L 26 KR 94/21)

SG Berlin (Entscheidung vom 29.01.2021; Aktenzeichen S 198 KR 3083/18)

 

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 1. März 2022 wird als unzulässig verworfen.

Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I

In dem der Nichtzulassungsbeschwerde zugrunde liegenden Rechtsstreit streiten die Beteiligten über die Versicherungspflicht des Klägers in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) und sozialen Pflegeversicherung (sPV) in der Zeit vom 1.4.2013 bis zum 30.11.2016 sowie über die von der beklagten Kranken- und Pflegekasse geforderten Beiträge in Höhe von 22 557,53 Euro.

Der Kläger war zunächst bis 31.3.2013 als abhängig Beschäftigter in der GKV und sPV versicherungspflichtig. Ab 1.4.2013 war er nicht mehr beschäftigt. Nachfragen der Beklagten zur Klärung seines Versicherungsstatus beantwortete der Kläger nicht. Die Beklagte setzte Beiträge nach der Mindestbeitragsbemessungsgrundlage (bis 31.7.2014) und danach auf Grundlage der Beitragsbemessungsgrenze in Höhe von zunächst 22 800,21 Euro, später 22 557,53 Euro fest (Bescheid vom 20.7.2017; Schreiben vom 26.3.2019; Widerspruchsbescheid vom 18.6.2019). Das SG hat die Klage abgewiesen (Gerichtsbescheid vom 29.1.2021). Das LSG hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Er habe im streitigen Zeitraum der Auffangversicherungspflicht nach § 5 Abs 1 Nr 13 Buchst a SGB V unterlegen. Der Beitragsbemessung sei - wie bei freiwillig Versicherten - die gesamte wirtschaftliche Leistungsfähigkeit zugrunde zu legen. Der Kläger habe weder im Verwaltungs- noch im gerichtlichen Verfahren plausible Angaben zu seinen Einnahmen gemacht. Zu Recht seien die Beiträge daher überwiegend auf Grundlage der Beitragsbemessungsgrenze bemessen worden (Urteil vom 1.3.2022). Mit seiner Beschwerde wendet sich der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG.

II

Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in der angefochtenen Entscheidung ist gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 SGG in entsprechender Anwendung von § 169 Satz 2 und 3 SGG als unzulässig zu verwerfen. In der Begründung des Rechtsmittels ist entgegen § 160a Abs 2 Satz 3 SGG kein Zulassungsgrund hinreichend dargelegt oder bezeichnet. Die Beschwerdebegründung vom 8.6.2022 stützt sich auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) und macht das Vorliegen von Verfahrensmängeln (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG) geltend.

1. Bei Geltendmachung des Zulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache muss die Beschwerdebegründung ausführen, welche Rechtsfrage sich ernsthaft stellt, deren Klärung über den zu entscheidenden Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder Rechtsfortbildung im allgemeinen Interesse erforderlich (Klärungsbedürftigkeit) und durch das Revisionsgericht zu erwarten (Klärungsfähigkeit) ist (stRspr; vgl nur BSG Beschluss vom 17.4.2012 - B 13 R 347/11 B - SozR 4-2600 § 72 Nr 5 RdNr 17; BSG Beschluss vom 28.1.2019 - B 12 KR 94/18 B - juris RdNr 6 mwN). Dem wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht.

Der Kläger formuliert auf Seite 3 der Beschwerdebegründung:

"Die Fragen, ob der Kläger aufgrund seiner Disposition zu jener Personengruppe zählt, für welche ausnahmsweise eine geringere Bemessungsgrundlage gilt (§ 240 Abs. 4 a SGB in der Fassung vom 26. März 2007); inwiefern er von diesen SGB Reformen tangiert wird und vor allem wie es sich auf die Mindestbeitragsbemessungsgrundlage auswirkt, wenn Personen wie der Kläger - welcher im streitgegenständlichen Zeitraum lediglich von Schenkungen und Vermögen lebte -, sind entscheidungserhebliche Rechtsfragen."

a) Die Beschwerdebegründung erfüllt die Darlegungsvoraussetzungen für eine Grundsatzrüge (vgl hierzu exemplarisch BSG Beschluss vom 25.9.2002 - B 7 AL 142/02 B - SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 70 mwN) schon deshalb nicht, weil darin keine abstrakt-generelle Rechtsfrage zur Auslegung, zum Anwendungsbereich oder zur Vereinbarkeit einer konkreten revisiblen Norm des Bundesrechts (§ 162 SGG) mit höherrangigem Recht (BSG Beschluss vom 23.12.2015 - B 12 KR 51/15 B - juris RdNr 11 mwN) formuliert wird. Die Bezeichnung einer abstrakten, aus sich heraus verständlichen Rechtsfrage ist jedoch unverzichtbar, damit das Beschwerdegericht an ihr die weiteren Voraussetzungen der Grundsatzrüge prüfen kann (BSG Beschluss vom 10.9.2014 - B 10 ÜG 3/14 B - juris RdNr 11 mwN).

b) Unabhängig hiervon legt der Kläger die Klärungsbedürftigkeit der in den Raum gestellten Fragen nicht dar. Er befasst sich nicht hinreichend mit der Rechtslage, obwohl sie vom LSG in dem angefochtenen Urteil ausführlich dargestellt wurde. Der Kläger legt nicht nachvollziehbar dar, worin die behauptete Klärungsbedürftigkeit liegen soll.

2. Ein Verfahrensmangel iS von § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist der Verstoß des Gerichts im Rahmen des prozessualen Vorgehens im unmittelbar vorangehenden Rechtszug (zu den Anforderungen an die Bezeichnung eines solchen Verfahrensmangels s exemplarisch BSG Beschluss vom 12.12.2003 - B 13 RJ 179/03 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 3 RdNr 4; BSG Beschluss vom 19.11.2007 - B 5a/5 R 382/06 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 21 RdNr 4 - jeweils mwN; Krasney/Udsching/Groth/Meßling, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 8. Aufl 2022, Kap IX, RdNr 113 ff). Nach § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG kann sich der geltend gemachte Verfahrensmangel nicht auf eine Verletzung von § 109 SGG und § 128 Abs 1 Satz 1 SGG stützen. Ferner kann die Geltendmachung eines Verfahrensmangels auf eine Verletzung des § 103 SGG (Amtsermittlungspflicht) gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Prüfungsmaßstab ist die materiell-rechtliche Rechtsauffassung des LSG (vgl BSG Beschluss vom 14.5.2007 - B 1 KR 21/07 B - juris RdNr 18 mwN; BSG Urteil vom 28.5.1957 - 3 RJ 219/56 - SozR Nr 79 zu § 162 SGG; BSG Beschluss vom 31.1.1979 - 11 BA 166/78 - SozR 1500 § 160 Nr 33). Neben der Geltendmachung des Vorliegens eines Verstoßes gegen das Verfahrensrecht ist mit der Beschwerdebegründung darzulegen, dass die angefochtene Entscheidung auf diesem Verstoß beruhen kann. Ein entscheidungserheblicher Mangel des Berufungsverfahrens wird nur dann substantiiert bezeichnet, wenn er hinsichtlich aller ihn (vermeintlich) begründenden Tatsachen dargelegt wird, sodass das BSG allein anhand der Beschwerdebegründung darüber befinden kann, ob die angegriffene Entscheidung des LSG möglicherweise auf dem geltend gemachten Verfahrensmangel beruht.

a) Die wenigen Worte, mit denen das LSG begründet habe, warum es sich zu keinen weiteren Ermittlungen zur Herkunft der Einnahmen veranlasst gesehen habe, würden keine "hinreichende Begründung" iS des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG darstellen. In keiner Weise würde im Urteil darauf eingegangen, dass der seinerzeit nicht anwaltlich vertretene Kläger noch in der mündlichen Verhandlung neue Kopien übergeben hatte. "Ohne hinreichende Begründung" ist jedoch nicht formell, sondern materiell im Sinne von "ohne hinreichenden Grund" zu verstehen (BSG Beschluss vom 31.7.1975 - 5 BJ 28/75 - SozR 1500 § 160 Nr 5 S 6). Da sich das Berufungsgericht von seinem sachlich-rechtlichen Standpunkt aus gedrängt fühlen muss, den beantragten Beweis zu erheben (BSG Beschluss vom 12.12.2003 - B 13 RJ 179/03 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 3 RdNr 9), ist aufzuzeigen, inwiefern nach den dem LSG vorliegenden Beweismitteln Fragen zum tatsächlichen Sachverhalt aus der rechtlichen Sicht des LSG erkennbar offengeblieben sind, damit zu einer weiteren Aufklärung des Sachverhalts zwingende Veranlassung bestanden hat und die so zu ermittelnden Tatsachen nach der Rechtsauffassung des LSG entscheidungserheblich sind (BSG Beschluss vom 19.6.2008 - B 2 U 76/08 B - juris RdNr 7 mwN). Daran fehlt es hier. Abgesehen davon ist weder vorgetragen noch ersichtlich, dass ein prozessordnungsgemäßer Beweisantrag bis zuletzt aufrechterhalten oder gestellt worden wäre.

b) Es bestünden erhebliche Zweifel daran, dass der Kläger verhandlungsfähig sei und seinen Mitwirkungspflichten überhaupt nachkommen könne. Es werde anwaltlich versichert, dass eine Bekannte des Klägers, welche praktizierende Psychiaterin sei, hinter dessen auffällig ungewöhnlichem Verhalten Asperger und darüber hinaus ein komplexes, psychiatrisches Krankheitsbild vermute, welches ihn nicht nur verhandlungsunfähig mache, sondern ihn auch allgemein in der alltäglichen Aufgabenbewältigung behindere. Das LSG hätte sich bereits anhand seiner Schriftsätze, aber auch seines Auftretens in der mündlichen Verhandlung, gedrängt sehen müssen, von Amts wegen die Verhandlungsfähigkeit des Klägers überprüfen zu lassen.

Eine Verletzung des § 202 SGG iVm § 547 Nr 4 ZPO wird dadurch nicht hinreichend aufgezeigt. Zwar kommt ein Verfahrensmangel in Betracht, wenn ein in Wahrheit prozessunfähiger Beteiligter vom Gericht für prozessfähig gehalten wird. Zur Darlegung eines solchen Verfahrensmangels muss in der Beschwerdebegründung aber substantiiert und schlüssig dargetan werden, aufgrund welcher Anzeichen das LSG ernsthafte und begründete Zweifel am Vorliegen der Prozessfähigkeit hätte haben können (vgl BSG Beschluss vom 30.8.2018 - B 2 U 230/17 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 38 RdNr 8). Diesem Begründungserfordernis wird die Beschwerde offensichtlich nicht gerecht.

c) Entgegen der Urteilsbegründung sei die Verspätung vom Kläger per Fax am 23.2.2022 mit dem Hinweis entschuldigt worden, dass er im Zeitraum vom 28.1. bis zum 22.2.2022 seinen Lebensmittelpunkt in Thüringen gehabt hätte. Zudem seien nach einer Stellungnahme des Klägers, die der Prozessbevollmächtigte wörtlich in der Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde wiedergegeben hat, weitere Aussagen falsch. Einen entscheidungserheblichen Verfahrensfehler bezeichnet der Kläger dadurch offenkundig nicht.

Zudem kann die Behauptung, die Entscheidung des Berufungsgerichts sei inhaltlich unrichtig, im sozialgerichtlichen Verfahren nicht zur Zulassung der Revision führen (vgl BSG Beschluss vom 26.1.2005 - B 12 KR 62/04 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 6 RdNr 18).

3. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, weil sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen (§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).

4. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

Heinz U. Waßer Beck

 

Fundstellen

Dokument-Index HI15365059

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge