Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundwehrdienst in der DDR als Beitragszeit
Orientierungssatz
Die Zeit des in der DDR abgeleisteten Grundwehrdienstes, die nach dortigem Recht, insbesondere nach der Rentenverordnung 1974 als versicherungspflichtige Tätigkeit gilt bzw als Versicherungszeit zählt, ist eine Beitragszeit im Sinne des § 15 Abs 1 S 1 FRG (Festhaltung an BSG vom 9.9.1982 5b/5 RJ 168/80 = BSGE 54, 93).
Normenkette
FRG § 15 Abs 1 Fassung: 1960-02-25, § 17 Abs 1 Fassung: 1960-02-25; RVO § 1227 Abs 1 S 1 Nr 6 Fassung: 1965-06-09, § 1385 Abs 4 Buchst d Fassung: 1965-06-09; AVG § 2 Abs 1 Nr 8 Fassung: 1965-06-09, § 112 Abs 4 Buchst d Fassung: 1965-06-09
Gründe
Die Auffassung des 11. Senats im Anfragebeschluß zum Begriff der Beitragszeit iS des - für die Entscheidung des 5b Senats vom 9. September 1982 (BSGE 54, 93 = SozR 5050 § 15 Nr 22) maßgeblichen - § 15 Abs 1 Satz 1 des Fremdrentengesetzes (FRG) wird weder durch den Gesetzeswortlaut gedeckt noch entspricht sie der ratio legis. Sie ist auch mit der bisherigen einschlägigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) nicht in Einklang zu bringen.
§ 15 Abs 1 Satz 1 FRG verlangt bei dem der genannten Entscheidung des 5b Senats zugrunde liegenden Sachverhalt eine beim Träger der gesetzlichen Rentenversicherung der DDR "zurückgelegte" Beitragszeit. Eine solche liegt aber während des dort abgeleisteten Grundwehrdienstes vor, weil - wie im Urteil vom 9. September aaO ausgeführt - nach dem Recht der DDR für die Dauer des Grundwehrdienstes die Beitragszahlung zur Sozialversicherung lediglich ruht, die Leistungsansprüche aber erhalten bleiben. Daraus folgt, daß der Versicherte während des Grundwehrdienstes nicht aus seinem bisherigen versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis ausscheidet. Das bloße Ruhen der Beitragspflicht hindert aber keineswegs das "Zurücklegen" einer Beitragszeit iS des § 15 Abs 1 Satz 1 FRG.
In diesem Zusammenhang stellt die nunmehr vom 11. Senat vertretene Ansicht, der Wortlaut des § 15 Abs 1 Satz 2 FRG zeige, daß der Gesetzgeber "in erster Linie, wenn nicht überhaupt" nur an eine tatsächliche Beitragsentrichtung gedacht habe, nicht nur eine Abweichung von der eigenen Entscheidung des 11. Senats vom 10. Dezember 1971 (SozR Nr 16 zu § 15 FRG), sondern auch vom Urteil des 1. Senats vom 31. August 1977 (BSGE 44, 222, 224 f = SozR 5050 § 15 Nr 8, S 24) dar, der der insoweit im Anfragebeschluß vertretenen Ansicht mit eingehender Begründung entgegengetreten ist. Da diese Begründung vom 5b Senat geteilt wird, darf auf die dortigen Ausführungen verwiesen werden.
Aus der im Anfragebeschluß geforderten Vergleichbarkeit der DDR-Zeiten mit den Beitragszeiten iS des § 27 des Angestelltenversicherungsgesetzes -AVG- (= § 1250 RVO) folgt nichts anderes. Denn auch nach innerstaatlichem Recht ist der Wehrdienst seit dem 1. Januar 1957 gemäß § 2 Abs 1 Nr 8 AVG (= § 1227 Abs 1 Nr 6 RVO) eine Beitragszeit. Für die "zurückgelegte" Beitragszeit iS des § 15 Abs 1 Satz 1 FRG kann es aber - entgegen der Ansicht des 11. Senats - nicht darauf ankommen, ob sie - wie nach innerstaatlichem Recht - mit einer tatsächlichen Beitragsleistung verbunden ist oder ob die Beiträge - wie in der DDR - infolge der genannten Ruhensbestimmung bei Erhaltung der Leistungsansprüche als entrichtet gelten - eine Regelung, die ja auch nach § 1250 Abs 1 Buchst a der Reichsversicherungsordnung (RVO) für Fälle einer bestehenden Versicherungspflicht - vorgesehen ist. Gemäß § 2 Abs 2 Buchst b der DDR-Renten-VO 1974 gilt der abgeleistete Grundwehrdienst aber als versicherungspflichtige Tätigkeit. Die im Anfragebeschluß offenbar geforderte Identität in dem Sinne, daß eine Beitragsfiktion nach dortigem Recht zu einer Anerkennung einer Beitragszeit nach § 15 Abs 1 Satz 1 FRG allenfalls dann führen könne, wenn der vergleichbare Sachverhalt nach innerstaatlichem Recht ebenfalls eine Beitragsfiktion zulasse, beinhaltet wiederum eine Abweichung von der Rechtsauffassung des 1. Senats im Urteil vom 31. August 1977, wo diese Einschränkung gerade nicht gemacht wird (vgl BSGE 44, 221, 225 = SozR 5050 S 15 Nr 8, S 24). Eine solche würde auch der ratio legis der Gleichstellungsvorschrift grundlegend widersprechen, wonach Besonderheiten des anderen Sozialversicherungssystems, das sogar überhaupt von einer individuellen Beitragsregelung absehen kann, bei der Anwendung des § 15 Abs 1 Satz 1 FRG rechtlich irrelevant sind. Insoweit kann die nach inländischem Recht selbstverständliche enge Verbindung von Beitrag und Rentenanspruch für das fremde Versicherungssystem bei der Entstehung und bei der Höhe des Anspruchs ohnehin nicht verlangt werden und schon gar nicht eine bis in alle Einzelheiten deckungsgleiche Regelung des jeweiligen Sachverhalts nach fremdem und inländischem Recht. Auch insoweit stützt sich die Entscheidung des 5b Senats vom 9. September 1982 auf die diesbezüglichen ausdrücklichen Ausführungen in den Entscheidungen des 1. Senats vom 15. Januar 1958 (BSGE 6, 263, 265 f) und 31. August 1977 aaO sowie des 11. Senats vom 10. Dezember 1971 aaO, wo es insoweit wörtlich heißt:
"Bei der Einordnung einer Versicherungszeit muß von dem Recht des Staates ausgegangen werden, in dem die Zeit zurückgelegt worden ist. § 15 Abs 1 Satz 1 FRG verlangt gerade nicht, daß die Voraussetzungen einer Beitragszeit nach Reichsrecht oder Bundesrecht vorliegen".
Die nunmehr offenbar davon abweichende Rechtsauffassung im Anfragebeschluß ist mit der zitierten bisherigen ständigen Rechtsprechung des BSG nicht in Einklang zu bringen. Gleiches gilt für die nunmehr vom 11. Senat vertretene Meinung, daß für ein "irgendwie gestaltetes Beitragsaufkommen" nach fremden Recht die Mitwirkung des Staates an der späteren Rentenleistung auch dann nicht genüge, wenn der Betroffene - wie hier während des Grundwehrdienstes - in das auf Versicherungspflicht beruhende Sozialversicherungssystem der DDR auch ohne Beitragsleistung als vollberechtigtes Mitglied eingegliedert war. Insoweit bedarf es schon deswegen einer ausführlicheren Zitierung der bisherigen gegenteiligen Rechtsprechung des BSG, weil sich der 11. Senat im Anfragebeschluß nunmehr bemüht, diese in ihrer Bedeutung "herunterzuspielen". So heißt es im Urteil des 11. Senats vom 10. Dezember 1971 aaO:
"Welche Zeiten den bundesrechtlichen Beitragszeiten gleichstehen, ergibt sich aus dem Zusammenhang der Absätze 1 und 2 des § 15 FRG. Nach § 15 Abs 2 Satz 1 FRG ist als ges RentV jedes System der sozialen Sicherheit anzusehen, in das in abhängiger Beschäftigung stehende Personen durch öffentlich-rechtlichen Zwang einbezogen sind, um sie und ihre Hinterbliebenen für den Fall der Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE), des Alters und des Todes durch die Gewährung von Renten zu sichern. Der Wortlaut des § 15 Abs 2 FRG geht auf die Entsch des BSG vom 1958-01-15 zu § 1 FremdRG vom 1953-08-07 (BSG 6, 263) zurück (amtl Begr zu § 15 FRG in BT-Drucks III/1109 S 39), so daß auf die Ausführungen des BSG über den Begriff der ges RentV bei der Auslegung dieser Best zurückgegriffen werden kann. Danach ist keine der deutschen RentV entsprechende Organisation der SozVers erforderlich, vielmehr genügt jedes soziale Sicherungssystem, das im wesentlichen auf einer öffentlich-rechtlich geregelten Pflichtzugehörigkeit für einen bestimmten Personenkreis mit einem irgendwie gestalteten Beitragsaufkommen - mit oder ohne Zuschüsse etwa des Staates oder der Arbeitgeber - aufgebaut ist und Renten für den Fall einer vorzeitigen MdE, des Alters und des Todes vorsieht (BSGE 6, 263, 265). Für ein "irgendwie gestaltetes Beitragsaufkommen" reicht es aus, wenn nur der Arbeitgeber - also auch der Staat - an der Deckung der späteren Rentenleistungen mitwirkt und Zahlungen nicht für jeden einzelnen Versicherten individuell und gesondert berechnung werden ... Werden aber VersEinrichtungen als ges RentV iS des § 15 FRG anerkannt, die keinen individuellen Beitrag für den einzelnen Versicherten kennen, dann muß, damit Angehörige eines derartigen VersSystems an der Vergünstigung des FRG teilhaben können, jede auf VersPflicht beruhende Zugehörigkeit zu einer VersEinrichtung , die den Anforderungen des § 15 Abs 2 Satz 1 FRG genügt und durch ein irgendwie geartetes Beitragssystem finanziert wird, Beitragszeit iS des § 15 Abs 1 FRG sein. ... Der Kläger war während seines Studiums pflichtversichertes Mitglied einer VersEinrichtung iS des § 15 Abs 2 Satz 1 FRG. ... Die Anerkennung dieser Zeit als VersZeit kann ihm nicht versagt werden, auch wenn feststeht, daß für ihn seitens der Unterrichtsanstalt kein pauschaler Beitrag gezahlt worden ist. ... Der Kläger war in der streitigen Zeit vollberechtigtes Mitglied einer SozVersEinrichtung ; er war lediglich von der Zahlung eines eigenen Beitrages frei ... Die versicherungsrechtliche Position des Klägers wurde dadurch nicht beeinflußt. ..."
Dieser Entscheidung des 11. Senats hat sich der 1. Senat im Urteil vom 31. August 1977 aaO vollinhaltlich ua mit folgenden Ausführungen angeschlossen:
"Nach der genannten Entsch des BSG ist in den Anwendungsbereich dieser Vorschrift auch eine nach dem Recht der DDR beitragsfreie, aber auf Versicherungspflicht beruhende Zugehörigkeit zu einer Versicherungseinrichtung iS des § 15 Abs 2 Satz 1 FRG, deren Anforderungen die gesetzliche RentV der DDR genügt (vgl § 1 Nr 1 der Verordnung vom 11. November 1960, BGBl I 849), einzubeziehen. ... Der erkennende Senat hat sich der genannten Entsch des BSG vom 1971-12-10 im Urteil vom 1973-10-03 aaO angeschlossen und dabei ausgeführt, daß sich an der Rechtslage durch die Regelung des § 15 Abs 1 FRG, der an die Stelle des nach dem Entschädigungsprinzip ausgerichteten § 4 Abs 1 FremdRG getreten ist, nichts geändert hat (vgl hierzu auch BSGE 29, 242, 244). Vielmehr entschädigt § 15 FRG ebenso wie vormals § 4 FremdRG den Fremdrentner nicht für die Beiträge, die er gezahlt hat, sondern für die verlorene Anwartschaft auf Sozialleistungen. Damit im Einklang hat der Senat im weiteren Urt vom 1976-03-31 - 1 RA 87/75 - (in SozR 5050 § 19 Nr 4 insoweit nicht abgedruckt) dargelegt, daß es nach dem Eingliederungsprinzip folgerichtig gewesen wäre, ausländische Beitragszeiten nur insoweit anzurechnen, als sie auch bei einem Aufenthalt im Bundesgebiet und im Land Berlin hätten zurückgelegt werden können. Da aber in § 15 FRG noch ein Stück des früher maßgeblich gewesenen Entschädigungsgedankens enthalten ist, stellt die Vorschrift ausländische Beitragszeiten ohne Einschränkung den deutschen gleich und bezieht damit ausländische Versicherungen und Versicherungen in der DDR selbst insoweit in die Versicherung im Bundesgebiet ein, als sie ihrem Umfang nach über diese hinausgehen. Dies war - wie im Urteil vom 1976-03-31 betont wird - notwendig, um eine Verschlechterung gegenüber der bisherigen Rechtslage zu vermeiden.
Nach alledem besteht für den Senat kein Anlaß, die von der Beklagten bekämpfte Rechtsauffassung in den genannten Entscheidungen des BSG aufzugeben. Wenn - wie aufgezeigt - Versicherungseinrichtungen als gesetzliche RentV iS des § 15 FRG anerkannt werden, die keinen individuellen Beitrag für den einzelnen Versicherten kennen, dann erfordert der in der gesetzlichen Regelung auch zum Ausdruck kommende Entschädigungsgedanke (vgl hierzu auch BSGE 25, 242, 245), alle Angehörigen eines derartigen Versicherungssystems an der Vergünstigung der Vorschrift selbst für eine Zeit teilnehmen zu lassen, die - wie hier - den Anforderungen des § 15 Abs 2 Satz 1 FRG auch ohne individuelle Beitragsleistung genügt. ..."
Die ausführlichen Zitate aus beiden Urteilen zeigen eindeutig, daß es sich bei den Begründungen um allgemeingültige Ausführungen von grundsätzlicher Bedeutung handelt, die - entgegen der Meinung im Anfragebeschluß - in Fortführung einer kontinuierlichen Rechtsprechung nicht bloß für einen Ausnahmefall bzw einen Spezialfall zu gelten haben. In beiden Entscheidungen ist vielmehr die Anwendung des § 15 Abs 1 Satz 1 FRG allgemein und grundsätzlich für Zeiten bejaht worden, in denen nach dem Recht der DDR eine beitragsfreie aber auf Versicherungspflicht beruhende Zugehörigkeit zu einer Versicherungseinrichtung iS des § 15 Abs 2 Satz 1 FRG festgestellt ist. Es ist nicht ersichtlich und es wäre auch nicht verständlich, weshalb dies zwar bei einem beitragsfreien Studenten und einem beitragsfreien ehemaligen Volkspolizisten gelten soll, nicht aber bei einem den Grundwehrdienst ableistenden Versicherten, dessen Beitragspflicht während dieser Zeit lediglich ruht.
Der 5b Senat nimmt nach alledem für sich in Anspruch, daß sein Urteil vom 9. September 1982 mit der aufgezeigten bisherigen Rechtsprechung im Einklang steht, die er nach wie vor für zutreffend hält. An ihr festzuhalten, gebietet auch die Rechtssicherheit. Dem steht nicht entgegen, daß der 11. Senat für den Fall des rumänischen Wehrdienstes eine abweichende Rechtsauffassung vertreten hat. Wie bereits im Urteil vom 9. September 1982 aaO ausgeführt, handelt es sich insoweit um einen anderen Sachverhalt, bei dem auch der - verfassungsrechtlich gebotene - gesamtdeutsche Aspekt entfällt.
Fundstellen