Entscheidungsstichwort (Thema)
Gelegenheitsursache trotz enormer Belastungsintensität. Kausalität bei unfallunabhängigen Leiden. Zeitpunkt der Stellung eines Beweisantrags. Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs
Orientierungssatz
1. Wenn das Berufungsgericht dem etwa fünfminütigen Einsatz beim betrieblich veranlaßten Hallenfußballspiel aus sportmedizinischer Sicht eine "ganz enorme" Belastungsintensität beimißt und dennoch diesen Umstand nur als sogenannte Gelegenheitsursache wertet, steht dies mit der zur Kausalitätsnorm der wesentlichen Bedingung ergangenen höchstrichterlichen Rechtsprechung im Einklang.
2. Es ist nach der zur Kausalitätsnorm der wesentlichen Bedingung entwickelten höchstrichterlichen Rechtsprechung genügend, wenn davon ausgegangen werden kann, daß das unfallunabhängige Leiden bei jedem anderen ähnlichen äußeren Anlaß zu derselben Zeit hätte tödlich verlaufen können.
3. Nach der Rechtsprechung ist die Anregung, das Erscheinen des Sachverständigen im Verhandlungstermin anzuordnen, damit dieser ein von ihm schriftlich erstelltes Gutachten erläutere, grundsätzlich vor dem Termin schriftlich anzubringen und deren Sachdienlichkeit darzulegen.
4. Die Bewertung statistischer Erkenntnisse in bezug auf die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs wirft keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung auf.
Normenkette
SGG § 160 Abs 2 Nr 1, § 160 Abs 2 Nr 2, § 160 Abs 2 Nr 3, §§ 103, 118 Abs 1; ZPO § 411 Abs 3; SGG § 160a Abs 2 S 3
Verfahrensgang
Gründe
Das Begehren der Klägerin, ihr wegen des am 20. November 1982 eingetretenen unfallbedingten Todes ihres Ehemannes (H.) Hinterbliebenenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung zu gewähren, blieb erfolglos (Urteil des Sozialgerichts -SG- vom 7. August 1985; Urteil des Landessozialgerichts -LSG- vom 20. Januar 1988). Nach den Ausführungen des LSG ist H. an den Folgen einer schweren Herzerkrankung (hypertrophe Kardiomyopathie bei gleichzeitig anlagebedingten Veränderungen der Herzkranzarterien) verstorben. Unmittelbare Todesursache sei eine Störung des Herzrhythmus im Sinne eines Kammerflimmerns gewesen. Der "ganz enormen" Belastungsintensität des fünfminütigen Einsatzes beim betrieblich veranlaßten Hallenfußballspiel komme nicht die rechtliche Bedeutung einer den Tod wesentlich mitverursachenden Teilursache zu; dieser Umstand sei nur als Gelegenheitsursache zu werten.
Mit der Nichtzulassungsbeschwerde macht die Klägerin Divergenz zur Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) geltend. Nach der Entscheidung vom 14. August 1986 - 2 RU 50/85 - (SozR 2200 § 548 Nr 81) seien das Unfallgeschehen und die Unfallfolgen nur dann auf eine "innere Ursache" zurückzuführen, wenn diese zwangsläufig zu dem eingetretenen Verlauf - Art und Schwere - geführt hätten. Damit stünde die Annahme des LSG nicht im Einklang, der Herztod des H. sei durch die körperliche Belastung "ausgelöst" worden. Das LSG habe keine Feststellungen darüber getroffen, daß die Herzerkrankung mit Sicherheit im gleichen Zeitpunkt ohne die Teilnahme am Betriebssport zum gleichen Ergebnis geführt hätte. Außerdem habe das Berufungsgericht dem im Urteil vom 29. Februar 1984 - 2 RU 24/83 - aufgestellten Erfordernis, daß der Sturz aus innerer Ursache erwiesen sein müsse, nicht Rechnung getragen. Es hätte der Auffassung des Sachverständigen Prof. Dr. H. beipflichten müssen, wonach H. ohne die sportliche Belastung und allein wegen des Herzschadens nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit zum gleichen Zeitpunkt verstorben wäre. Zudem setze sich das LSG in Widerspruch zu den Urteilen des BSG vom 29. Februar 1984 und vom 29. März 1984 - 2 RU 21/83 -. Darin habe es das BSG für erforderlich gehalten festzustellen, daß der Unfall aus innerer Ursache eingetreten sei und zur Schwere der Verletzung auch nicht betriebliche Umstände mitgewirkt hätten, denen der Verletzte bei seiner betrieblichen Tätigkeit ausgesetzt gewesen sei. Demgegenüber habe das Berufungsgericht nur Hypothesen aufgestellt, ob H. innerhalb eines Zeitraumes von einem Jahr nach dem Unfall aufgrund des Herzschadens verstorben wäre oder nicht. Überdies sei das BSG in der Entscheidung vom 27. November 1980 - 8a RU 12/79 (= SozR 2200 §548 Nr 51) im Falle des nächtlichen Telefonanrufes davon ausgegangen, daß jedes andere "ähnlich gelagerte Ereignis" ebenso zum Schaden geführt hätte. Im Gegensatz dazu habe Prof. Dr. H. sich gutachtlich dahingehend geäußert, daß H. ohne das sportliche Ereignis noch längere Zeit gelebt hätte. Schließlich habe das LSG §§ 103, 118 Sozialgerichtsgesetz -SGG- iVm § 411 Abs 3 Zivilprozeßordnung -ZPO- verletzt. Das Berufungsgericht hätte dem in der letzten mündlichen Verhandlung gestellten Antrag, Prof. Dr. H. als Sachverständigen mündlich zu hören, stattgeben müssen. Darauf habe das BSG auch in der zum Az.: 5a RKn 1/87 getroffenen Entscheidung (Abdruck in Kompaß 1988, S 77) abgehoben. Der Antrag sei nicht verspätet gestellt worden. Auch habe das LSG das rechtliche Gehör verletzt, indem es ohne eigene Sachkunde auf Bl 15 letzter Absatz des Urteils ausführe, jedes andere alltäglich vorkommende ähnliche Ereignis hätte für die Auslösung des Schadens genügt, welches auch geringer sein könne als die Teilnahme am Betriebssport. Letztlich sei es eine Frage von grundsätzlicher Bedeutung, ob statistische Erkenntnisse über den Herztod im Zusammenhang mit der im Unfallrecht herrschenden Kausalitätstheorie der wesentlichen Bedingung heranzuziehen seien. Prof. Dr. H. sei davon ausgegangen, daß jedenfalls statistisch eine Risikoerhöhung durch besondere körperliche Belastung eingetreten sei. Das BSG habe in seinem Urteil vom 29. Januar 1974 - 8/7 RU 18/72 (= SozR 2200 § 551 Nr 1) in bezug auf die Wahrscheinlichkeit des Ursachenzusammenhangs statistische Erwägungen angestellt.
Die gegen die Nichtzulassung der Revision eingelegte Beschwerde ist unbegründet. Die geltend gemachten Zulassungsgründe (§ 160 Abs 2 Nrn 1 - 3 SGG) liegen nicht vor.
Das LSG ist bei seiner Wertentscheidung, ob die durch das Hallenfußballspiel bedingte körperliche Belastung den Tod des H. wesentlich mitverursacht habe, zu dem Ergebnis gelangt, daß aufgrund des vorhandenen Herzschadens die Krankheitsanlage so leicht "ansprechbar" gewesen sei, daß jedes andere alltäglich vorkommende ähnlich gelagerte Ereignis (etwa) zu derselben Zeit den Tod ausgelöst hätte. Es stützt sich bei dieser Entscheidungsfindung auf die Gutachten der Sachverständigen Prof. Dr. H. H J. , Prof. Dr. W. J. und Prof. Dr. H. . Wenn das Berufungsgericht dem etwa fünfminütigen Einsatz des H. beim betrieblich veranlaßten Hallenfußballspiel aus sportmedizinischer Sicht eine "ganz enorme" Belastungsintensität beimißt und dennoch diesen Umstand nur als sogenannte Gelegenheitsursache wertet, steht dies mit der zur Kausalitätsnorm der wesentlichen Bedingung ergangenen höchstrichterlichen Rechtsprechung im Einklang.
I.
Das Berufungsgericht weicht nicht von den seitens der Klägerin zitierten Entscheidungen des BSG ab.
1.
Die Entscheidung SozR 2200 § 548 Nr 81 bestätigt die zu der Kausalitätsnorm der wesentlichen Bedingung entwickelte höchst- richterliche Rechtsprechung. Nach den dortigen Ausführungen war das Unfallgeschehen dadurch geprägt, daß der auf dem Weg zur Arbeitsstätte eingetretene Krankheitsschub, der zum Verlassen des Fahrradweges und zum Zusammenstoß mit einem Lkw führte, wirksam wurde und so zu Art und Schwere des Unfalls wesentlich beigetragen hatte. Damit nahm das durch die innere Ursache ausgelöste Geschehen einen Verlauf, welcher nicht zwangsläufig, sondern wegen der zum Unfallzeitpunkt vorhandenen besonderen Umstände auf dem geschützten Weg zu der Schwere der Verletzung geführt hatte. Darauf hebt auch das LSG ab, wenn es davon ausgeht, daß der Tod bei H. durch jedes andere alltäglich vorkommende ähnlich gelagerte Ereignis, mit anderen Worten zwangsläufig (etwa) zur gleichen Zeit hätte eintreten können. Insoweit mißt das Berufungsgericht dem Umstand entscheidende Bedeutung zu, daß der durch Störung des Herzrhythmus im Sinne eines Kammerflimmerns eingetretene Herztod als sogenannter "elektrischer Betriebsunfall" des Herzens jederzeit auch bei anderer Gelegenheit - selbst im Schlaf - hätte eintreten können. Die Frage der wesentlichen Mitverursachung beantwortet sich entgegen der Meinung der Klägerin auch nicht danach, ob der Tod durch die sportliche Betätigung "ausgelöst" worden ist (BSG Urteil vom 29. Februar 1968 - 2 RU 35/66 -). Ebensowenig ist es nach dieser Entscheidung geboten festzustellen, daß der Tod mit Sicherheit zum gleichen Zeitpunkt ohne die Teilnahme am Betriebssport eingetreten wäre. Vielmehr ist es nach der Rechtsprechung genügend, wenn davon ausgegangen werden kann, daß das unfallunabhängige Leiden bei jedem anderen ähnlichen äußeren Anlaß zu derselben Zeit hätte tödlich verlaufen können. Dies hat das Berufungsgericht in Anlehnung an die Sachverständigengutachten bejaht. Es hat sich ersichtlich auch mit dem Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. Hollmann auseinandergesetzt, wonach es möglich erschien, daß H. ohne die Rhythmusstörungen am Unfalltag noch ein Jahr beschwerdefrei gelebt hätte. Gleichwohl mußte der Sachverständige aber einräumen, daß im Hinblick auf die pathologisch-anatomischen Untersuchungen von Prof. Dr. W. D. das Herz "versagungsbereit" gewesen sei und ein "tödliches" Kammerflimmern jederzeit auch bei anderer Gelegenheit - selbst im Schlaf - hätte eintreten können. Die daraus seitens des LSG gezogene Schlußfolgerung ist nicht zu beanstanden.
2.
Ebensowenig besteht Divergenz zu den Entscheidungen des BSG vom 29. Februar 1984 und 29. März 1984. Die der ersten Entscheidung zugrunde liegende Fallgestaltung war dadurch gekennzeichnet, daß die Ursache des Sturzes auf einem Betriebsweg nicht feststellbar war. Unter diesen Voraussetzungen reichten nach der Rechtsprechung Umstände, die den Sturz aus innerer Ursache zu erklären vermocht hätten, nicht aus, die sogenannte haftungsbegründende Kausalität zu verneinen. Vielmehr hätte es hier in diesem Sonderfall des Nachweises bedurft, daß der Sturz aus innerer Ursache erfolgt ist. Im Gegensatz hierzu hatte sich das Berufungsgericht damit auseinanderzusetzen, ob dem Herzschaden des H. nach der Kausalitätsnorm der wesentlichen Bedingung mitursächliche Bedeutung für den Todeseintritt zukommt oder nur als Gelegenheitsursache zu werten ist. Auch hat das LSG nicht hypothetische Erwägungen über die Todesverursachung und den Todeseintritt angestellt, sondern im Gegenteil sich konkret hierzu geäußert. Insoweit ist Divergenz zu dem Urteil vom 29. März 1984 nicht erkennbar. Da der Tod des H. nach der Wertentscheidung des Berufungsgerichts auf eine Gelegenheitsursache zurückzuführen ist, ist die Frage einer Lebensverkürzung um ein Jahr ohne rechtliche Bedeutung (so Urteil des BSG vom 29. Februar 1968 - 2 RU 35/66 -).
3.
Soweit die Klägerin im Hinblick auf den aus innerer Ursache angenommenen Todeszeitpunkt Divergenz zu der Entscheidung in SozR 2200 § 548 Nr 51 rügt und insoweit auf das Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. H. Bezug nimmt, wird auf das zu 1. und 2. Gesagte verwiesen.
II.
Eine Verletzung der §§ 103, 118 SGG iVm § 411 Abs 3 ZPO liegt nicht darin, daß das LSG dem in der letzten mündlichen Verhandlung vorsorglich gestellten Beweisantrag, Prof. Dr. H. zur mündlichen Verhandlung zu laden, um ihn zu den ihm vom Gericht gestellten Beweisfragen zu hören, nicht stattgegeben hatte. Nach der Rechtsprechung (BSG SozR 1750 § 411 Nr 2) ist die Anregung, das Erscheinen des Sachverständigen im Verhandlungstermin anzuordnen, damit dieser ein von ihm schriftlich erstelltes Gutachten erläutere, grundsätzlich vor dem Termin schriftlich anzubringen und deren Sachdienlichkeit darzulegen. An diesem Erfordernis fehlt es. Die entsprechende Anregung der Klägerin ist nicht rechtzeitig vor dem Verhandlungstermin erfolgt. Immerhin war ihr das Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. H. schon nahezu fünf Monate zuvor zugeleitet worden. Selbst wenn wegen der von der Klägerin vorgebrachten Besonderheiten des Falles in Anlehnung an die Entscheidung des 5. Senats (Kompaß 1988 S 77) von der rechtzeitigen Antragstellung auszugehen wäre, hätte doch nach der Rechtsprechung zusätzlich die Sachdienlichkeit dargetan werden müssen. Dies ist, wovon das LSG unbestritten ausgeht, nicht geschehen.
III.
Der Verfahrensmangel einer Verletzung des rechtlichen Gehörs (§ 62 SGG) ist nicht hinreichend bezeichnet iS des § 160 Abs 2 Nr 3 iVm § 160a Abs 2 Satz 3 SGG. Insbesondere ist nicht dargetan, welches Vorbringen verhindert worden ist (BSG SozR 1500 § 160a Nr 36).
IV.
Die Bewertung statistischer Erkenntnisse in bezug auf die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs wirft keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung auf. Es handelt sich hier um eine Tatfrage, die im Rahmen der Beweiswürdigung bedeutsam sein kann. Darauf hebt die von der Klägerin zitierte Entscheidung in SozR 2200 § 551 Nr 1 ab. Davon abgesehen läßt das Vorbringen der Klägerin nicht erkennen, daß das erwähnte statistische Erkenntnisgut überhaupt grundsätzlich bedeutsam ist. Hierzu wären Ausführungen erforderlich, aus denen sich ergibt, daß die angestrebte Entscheidung über den Einzelfall hinaus allgemeine Bedeutung besitzt, von der Entscheidung des BSG also erwartet werden kann, daß sie in einer bisher nicht geschehenen, jedoch die Interessen der Allgemeinheit berührenden Weise das Recht oder die Rechtsanwendung fortentwickeln oder vereinheitlichen wird (BSG SozR 1500 § 160a Nr 39). Im Gegenteil verweist die Klägerin zutreffend auf die höchstrichterliche Rechtsprechung, wonach bei der Abwägung der Wesentlichkeit mehrerer Bedingungen auf die Besonderheit des Einzelfalles abzustellen ist (Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 11. Auflage Bd II S 480h mit zahlreichen Nachweisen).
Sofern die Klägerin sich gegen den Inhalt der Entscheidung des LSG wenden möchte, kann damit die Zulassung der Revision nicht erreicht werden. Selbst wenn man unterstellen könnte, daß eine falsche Entscheidung des LSG vorläge, wofür jegliche Anhaltspunkte fehlen, wäre dies für sich allein noch kein Anhaltspunkt dafür, daß der Sache grundsätzliche Bedeutung zukommt, oder eine Abweichung von einer Entscheidung des BSG oder des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes vorliegt. Von Verfassungs wegen besteht auch bei einer offensichtlichen Fehlerhaftigkeit des Berufungsurteils kein Anspruch auf die Zulassung der Revision. Aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art 20 Grundgesetz) läßt sich kein Recht auf eine materiell richtige Entscheidung ableiten (BVerfG, Beschluß vom 4. Januar 1979 - 2 BvR 922/78 -, abgedruckt in RzW 1979 S 109).
Nach alledem ist die Beschwerde nicht geeignet, die Revision zu eröffnen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen