Leitsatz (amtlich)

1. Die Feststellung, daß eine Tatsache (schädigendes Ereignis) wahrscheinlich in ursächlichem Zusammenhang mit einem Erfolg (Gesundheitsstörung) steht, ist eine Tatsachenfeststellung. Revisionsrügen, die sich auf dieses Element der Urteilsfindung beziehen, sind Verfahrensrügen, sie können die Revision nach SGG § 162 Abs 1 Nr 2 statthaft machen.

2. Die Prüfung , ob eine Tatsache die für den Erfolg wesentliche Bedingung gewesen ist, bezieht sich auf ein Tatbestandsmerkmal der für das Gebiet der Kriegsopferversorgung geltenden Kausalitätsnorm (vergleiche BSG 1955-10-20 10 RV 50/54 = BSGE 1, 268); die Kausalitätsnorm ist materielles Recht; Revisionsrügen, die sich gegen die rechtliche Wertung einer Bedingung als "wesentlich" wenden, fallen unter SGG § 162 Abs 1 Nr 3.

(Fortführung BSG 1957-12-18 11/9 RV 992/55 = BSGE 6, 192 und BSG 1958-06-19 11/9 RV 942/55 = BSGE 7, 223).

 

Normenkette

BVG § 1 Abs. 3 Fassung: 1950-12-20; SGG § 162 Abs. 1 Nr. 2 Fassung: 1953-09-03, Nr. 3 Fassung: 1953-09-03, § 163 Fassung: 1953-09-03

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts in München vom 12. November 1957 wird als unzulässig verworfen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

1.) Das Versorgungsamt (VersorgA.) München II hat auf das Versorgungsbegehren des Klägers mit Bescheid vom 26. Mai 1953 nach dem Bayerischen Körperbeschädigten-Leistungsgesetz (KBLG) "alter Herzklappenfehler; schwerverbildende Veränderungen beider Hüftgelenke mit Hüftkopfdeformierungen, geringe Kniegelenkveränderungen beiderseits" als Schädigungsfolgen im Sinne der Verschlimmerung anerkannt und vom 1. Februar 1947 an Rente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE.) von 50 v.H. bewilligt. Im Mai 1953 ist der Kläger vom Versorgungsarzt untersucht worden, der Anteil der Verschlimmerung ist dabei nur noch mit 30 v.H. bewertet worden. In einem zweiten Bescheid vom 26. Mai 1953 - Umanerkennung - ist die MdE. nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) vom 1. Oktober 1950 an mit 50 v.H., vom 1. Juni 1953 an mit 30 v.H. bewertet und die entsprechende Rente gewährt worden. Mit der Klage ist begehrt, auch nach dem 1. Juni 1953 die Rente nach einer MdE. von 50 v.H. weiterzugewähren. Das Sozialgericht (SG.) München hat die Klage abgewiesen. Das Bayerische Landessozialgericht (LSG.) hat durch Urteil vom 12. November 1957 die Berufung zurückgewiesen.

2.) Das LSG. hat die Revision nicht zugelassen (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -). Sie ist deshalb nur statthaft, wenn gerügt wird, das Verfahren des LSG. leide an einem wesentlichen Mangel, und wenn dieser Mangel auch tatsächlich vorliegt (§ 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG; BSG. 1 S. 150), oder wenn bei der Beurteilung des ursächlichen Zusammenhangs einer Gesundheitsstörung mit einer Schädigung im Sinne des BVG das Gesetz verletzt ist (§ 162 Abs. 1 Nr. 3 SGG). Soweit Verfahrensmängel gerügt werden, muß die Revision nicht nur die verletzte Rechtsnorm, sondern auch die Tatsachen und Beweismittel bezeichnen, die den Mangel ergeben (§ 164 Abs. 2 Satz 2 SGG).

3.) Der Kläger rügt, das LSG. habe zu Unrecht angenommen, daß sein jetziger Gesundheitszustand teilweise auf anlage- und altersbedingte Leiden zurückzuführen sei, dieser Zustand sei vielmehr ausschließlich die Folge der Überanstrengungen und der Strapazen des Wehrdienstes im Winter 1945 und der anschließenden Kriegsgefangenschaft mit dem Lageraufenthalt im Freien bei ungenügendem Schutz vor der Witterung. Er habe im ersten Weltkrieg nur einen leichten Herzfehler, sonst aber keinerlei körperliche Mängel gehabt, auch vor der Einberufung im zweiten Weltkrieg habe er keinerlei Beschwerden, besonders auch keine Hüft- und Kniegelenksbeschwerden gehabt; wenn eine Anlage zu seinem jetzigen Leiden bei ihm vorhanden gewesen wäre, hätte sich diese Anlage schon vor der Einberufung bemerkbar machen müssen, das Leiden wäre dann auch nicht plötzlich und gleich nach dem Wehrdienst aufgetreten; er sei damals erst 46 Jahre alt gewesen, es könne sich deshalb auch nicht um ein altersbedingtes Leiden handeln. Wahrscheinlich sei vielmehr, daß es durch den Wehrdienst hervorgerufen, also nicht nur verschlimmert worden sei, es lägen auch ärztliche Gutachten vor, die dies bestätigten, die MdE. sei daher weiterhin mit 50 v.H. zu bewerten. Das LSG. habe nicht beachtet, daß zur Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Schädigungsfolge schon die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs genüge, es habe § 1 Abs. 3 BVG unrichtig angewandt, die Revision sei daher auch nach § 162 Abs. 1 Nr. 3 SGG statthaft; Mängel im Verfahren des LSG. (§ 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG) würden nicht gerügt.

4.) Dieses Vorbringen enthält zunächst einen Angriff gegen die tatsächlichen Feststellungen des LSG.; die Revision wendet sich gegen das Verfahren des LSG. beim Sammeln der Tatsachen (Erforschung des Sachverhalts, § 103 SGG) und der Würdigung der Beweise (§ 128 SGG). Es muß deshalb zunächst geprüft werden, ob die Revision nach § 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG statthaft ist; es ist unerheblich, daß der Kläger sich ausdrücklich nur auf § 162 Abs. 1 Nr. 3 SGG berufen hat (vgl. Urteil des Senats vom 19. Juni 1958, 11/9 RV 942/55). Das LSG. hat festgestellt, daß der jetzige Zustand des Klägers teilweise auf die anlage- und altersbedingten schweren arthrotischen Veränderungen der Hüft- und Kniegelenke, teilweise auf die Folgen des Wehrdienstes zurückzuführen ist. Es hat damit die Tatsachen festgestellt, die nicht hinweggedacht werden können, ohne daß der Erfolg entfiele, die also für den Erfolg ursächlich gewesen sind (ursächlich im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinn, vgl. BSG. 1 S. 268 ff. [270]). Nach § 1 Abs. 3 BVG genügt es in der Kriegsopferversorgung für die Feststellung des ursächlichen Zusammenhangs, wenn es wahrscheinlich ist, daß diese Tatsachen nicht hinweggedacht werden können, ohne daß der Erfolg entfiele. Deshalb ist die Feststellung der Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhanges zwischen einer Tatsache (dem schädigenden Ereignis) und dem Erfolg (der Gesundheitsstörung) eine Tatsachenfeststellung. Die tatsächlichen Feststellungen des LSG. sind für das Bundessozialgericht (BSG.) bindend (§ 163 SGG), die Rüge des Klägers, das LSG. habe nicht zu der Feststellung kommen dürfen, der ursächliche Zusammenhang sei nicht wahrscheinlich, trifft nicht zu (vgl. BSG. 1 S. 150). Die Feststellungen des LSG. werden durch das Gutachten und die Befunde von Röntgenfacharzt Dr. S... (Juli 1946), des ärztlichen Dienstes der Landesversicherungsanstalt Oberbayern (Mai 1948), des Facharztes für Orthopädie Dr. St... und des Röntgenfacharztes Dr. E... (Mai 1953) in vollem Umfang getragen. Das LSG. hat, wenn es insoweit diesen Gutachten gefolgt ist, die Grenzen seines Rechts das Gesamtergebnis des Verfahrens frei zu würdigen (§ 128 SGG; vgl. BSG. 2 S. 236 ff.), nicht überschritten, und es hat auch zu weiteren Ermittlungen keinen Anlaß gehabt (§ 103 SGG). Da die gerügten Verfahrensmängel bei der Feststellung der Tatsachen nicht vorliegen, ist die Revision insoweit nach § 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG nicht statthaft.

5.) Der Kläger beruft sich für die Statthaftigkeit der Revision auch zu Unrecht auf § 162 Abs. 1 Nr. 3 SGG. Nach dieser Bestimmung ist die Revision statthaft, wenn bei der Beurteilung des ursächlichen Zusammenhangs einer Gesundheitsstörung oder des Todes mit einer Schädigung im Sinne des BVG "das Gesetz" verletzt ist. Das "Gesetz" ist insoweit verletzt, wenn die für das Gebiet der KOV geltende Kausalitätsnorm verletzt ist (BSG. 1 S. 268). Insoweit wird also nicht die Verletzung von Verfahrensrecht, sondern die Verletzung materiellen Rechts behauptet. Das LSG. hat im vorliegenden Fall auch die Kausalitätsnorm, die für das Gebiet der KOV gilt, angewandt. Um die Anwendung dieser Kausalitätsnorm handelt es sich auch dann, wenn darüber zu entscheiden ist, ob ein anlage- oder altersbedingtes Leiden durch den Wehrdienst verschlimmert worden ist (Beschluß des BSG. vom 18.12.1957; SozR. Nr. 86 zu § 162 SGG). Das LSG. hat darüber entscheiden müssen, welche der beiden festgestellten Tatsachen - das anlagebedingte Leiden und der Wehrdienst - die für den Leidenszustand des Klägers wesentliche Bedingung und damit nach dem Ursachenbegriff der KOV die Ursache gewesen ist, es hat den festgestellten Sachverhalt insoweit unter das Gesetz, nämlich unter die Kausalitätsnorm subsumieren müssen. Daß eine Bedingung für den Erfolg wesentlich gewesen ist, ist ein Tatbestandsmerkmal der Kausalitätsnorm. Die Unterordnung von Tatsachen unter eine Rechtsnorm ist Anwendung der Kausalitätsnorm, nicht Beweiswürdigung. Deshalb handelt es sich bei der Entscheidung der Frage, ob der Wehrdienst eine für den Erfolg wesentliche Bedingung gewesen ist, im vorliegenden Falle um eine Beurteilung des ursächlichen Zusammenhangs im Sinne von § 162 Abs. 1 Nr. 3 SGG. Das LSG. hat aber bei dieser Beurteilung nicht das Gesetz verletzt. Es ist nach dem Ergebnis der ärztlichen Gutachten zu Recht davon ausgegangen, daß die Folgen des Wehrdienstes nicht hinweggedacht werden können, ohne daß der "Erfolg" - der jetzige Zustand des Klägers - entfiele. Nach den Befunden der Ärzte hat das LSG. zu einer anderen Entscheidung nicht kommen können, es ist zutreffend davon ausgegangen, daß das Leiden des Klägers den jetzigen Grad ohne den Wehrdienst nicht erreicht haben würde, daß es durch den Wehrdienst verschlimmert worden ist.

6.) Soweit das LSG. schließlich den Grad der durch den Wehrdienst bedingten Verschlimmerung für das Herzleiden und für das Hüftgelenks- und Kniegelenksleiden vom 1. Juni 1953 an mit 30 v.H. bewertet hat, handelt es sich, ebenso wie bei der Ermittlung des Sachverhalts im übrigen (s.o. unter 4.), um tatsächliche Feststellungen, sie sind nach § 163 SGG für das BSG. bindend. Das LSG. hat, wenn es den Anteil der Verschlimmerung des Leidens durch den Wehrdienst jedenfalls für die strittige Zeit vom 1. Juni 1953 an nur mit 30 v.H. bewertet hat, weder die Grenzen seines Rechts, die Beweise frei zu würdigen, überschritten, noch hat es auch insoweit zu weiteren Ermittlungen Anlaß gehabt. Das LSG. hat ausführlich dargetan, warum es bei der Bewertung des Anteils der Verschlimmerung nicht dem Gutachten des ärztlichen Dienstes der Landesversicherungsanstalt Oberbayern gefolgt ist, sondern sich dem eingehend begründeten Gutachten von Dr. St... vom 7. Mai 1953 und der Stellungnahme des vom SG. gehörten Dr. Sch... angeschlossen hat; die Ärzte Dr. Sp..., Dr. G..., Dr. H..., Dr. Sch... haben zu der Frage, wieweit der Leidenszustand des Klägers auf den Wehrdienst zurückzuführen sei, nicht geäußert. Das LSG. hat auch betont, daß es zu seiner Bewertung nicht deshalb gekommen ist, weil es angenommen habe, der durch den Wehrdienst bedingte Anteil der MdE. sei vom 1. Juni 1953 an zurückgegangen, sondern deshalb, weil sich nach seiner Überzeugung aus der Untersuchung im Mai 1953 ergeben hat, daß dieser Anteil schon vor dem 1. Juni 1953 vom Beklagten zu hoch bewertet gewesen ist; auch diese Feststellungen des LSG. lassen Mängel des Verfahrens nicht erkennen.

Die Revision ist sonach weder nach § 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG noch nach § 162 Abs. 1 Nr. 3 SGG statthaft. Der Senat hat sich deshalb mit dem angefochtenen Urteil nicht sachlich befassen dürfen und damit auch nicht mit der Frage, ob der Beklagte die MdE., die er trotz des Ergebnisses der Untersuchung vom Mai 1953 in dem Bescheid vom 26. Mai 1953 nach dem BVG vom 1. Oktober 1950 an wiederum mit 50 v.H. bewertet hat, bei gleichgebliebenem Sachverhalt trotzdem vom 1. Juni 1953 an auf 30 v.H. hat herabsetzen dürfen. Auch wenn das LSG. dies zu Unrecht bejaht hätte, so würde es sich um einen Mangel bei der materiell-rechtlichen Beurteilung und nicht um einen Mangel im Verfahren des LSG. handeln.

Die Revision ist daher nach § 169 Satz 2 SGG als unzulässig zu verwerfen.

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

 

Fundstellen

Haufe-Index 2314044

BSGE, 288

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