Entscheidungsstichwort (Thema)
Todesurteil wegen Fahnenflucht im Felde
Leitsatz (amtlich)
1. Um die Anwendung der im Gebiet der Kriegsopferversorgung geltenden Kausalitätsnorm (BSGE 1, 72) handelt es sich auch dann, wenn darüber zu entscheiden ist, ob durch den Wehrdienst ein schon vorher bestehendes Leiden verschlimmert worden ist.
2. Bei der Beurteilung der Frage, welchen Anteil die - unstreitige - Verschlimmerung an der Gesamtminderung der Erwerbsfähigkeit hat, handelt es sich nicht um die Anwendung der Kausalitätsnorm, sondern um die Feststellung von Tatsachen; dies gilt auch dann, wenn streitig ist, ob die Verschlimmerung eine sogenannte "richtunggebende" gewesen ist.
Leitsatz (redaktionell)
Ein offensichtliches Unrecht liegt nur dann vor, wenn die verhängte Strafmaßnahme den Umständen nach unzweifelhaft eine mit rechtsstaatlichen Anschauungen in krassem Widerspruch stehende Überschreitung des rechten Strafmaßes gewesen ist.
Normenkette
BVG § 1 Abs. 3 Fassung: 1950-12-20; SGG § 162 Abs. 1 Nr. 3 Fassung: 1953-09-03
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg in Stuttgart vom 12. Oktober 1955 wird als unzulässig verworfen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
1.) Durch Bescheid vom 3. Mai 1949 hat die Landesversicherungsanstalt Baden beim Kläger einen "kombinierten Herzklappenfehler" im Sinne der Verschlimmerung als Leistungsgrund nach dem (württemberg-badischen) Körperbeschädigtenleistungsgesetz (KBLG) anerkannt und Rente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 30 v. H. bewilligt. Auf die Berufung des Klägers hat das Oberversicherungsamt (OVA) Karlsruhe durch Vorentscheidung vom 4. Juli 1950 den Beklagten unter Abänderung des Bescheids vom 3. Mai 1949 verurteilt, wegen des anerkannten Leistungsgrundes Rente nach einer MdE von 50 v. H. zu gewähren. Der Rekurs der Landesversicherungsanstalt Baden ist mit dem Inkrafttreten des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) am 1. Januar 1954 als Klage auf das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg übergegangen. Das LSG hat durch Urteil vom 12. Oktober 1955 die Entscheidung des OVA dahin abgeändert, daß der Beklagte dem Kläger vom 1. Januar 1949 an Rente nach einer MdE von 40 v. H. zu gewähren habe; die Verschlimmerung durch den Wehrdienst sei nur eine einmalige und nicht eine richtunggebende gewesen.
Der Kläger hat gegen dieses Urteil Revision eingelegt und sie damit begründet, das LSG habe bei der Beurteilung des ursächlichen Zusammenhangs seines Leidens mit dem Wehrdienst das Gesetz verletzt; er sei als "bedingt kriegsdienstverwendungsfähig" im März 1944 zum Wehrdienst eingezogen worden, obwohl er nach einer militärärztlichen Untersuchung vom Juni 1943 nur " garnisionsverwendungsfähig Heimat" gewesen sei. Obwohl also sein Gesundheitszustand der Militärbehörde bekannt gewesen sei, habe er die normale Grundausbildung und anschließend auch in Polen den üblichen Dienst machen müssen und bei wiederholter Krankmeldung jeweils nur 2 Tage aussetzen dürfen. Nach dem beigefügten Krankenblatt des Ortslazaretts K. ..., das erst jetzt in seinen Besitz gelangt sei, sei er im Juni 1944 bei einer fachärztlichen Untersuchung wegen des Herzleidens als "bedingt kv nur für Innendienst" bezeichnet worden; dabei habe der Arzt darauf hingewiesen, daß bei Fußdienst mit einer Dekompensation zu rechnen sei, der Arzt habe auch eine Tonsillektomie (Entfernung der Mandeln) empfohlen. Er habe aber den Dienst weiter machen müssen, auch dann noch, als bei einer neuen Untersuchung am 9. September 1944 im EKG ein Myokardschaden festgestellt worden sei. Nach den Gutachten vom 25. Februar 1950 (Chefarzt Dr. R.) und vom 4. Juni 1955 (L.-K.-Klinik H.) seien die körperlichen Belastungen des Wehrdienstes die wesentliche Ursache für den weiteren Verlauf seines Herzleidens gewesen. Das LSG habe daher eine richtunggebende Verschlimmerung dieses Leidens annehmen müssen; auch nach der Rechtsprechung und nach den "Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit" dürfe eine weitere Verschlimmerung nicht als Folge einer Schädigung abgelehnt werden, wenn die erste Verschlimmerung zu Recht mit einer MdE von 50 v. H. oder mehr anerkannt werde.
2.) Das LSG hat die Revision nicht zugelassen (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG). Sie ist daher nur statthaft, wenn gerügt ist, daß Verfahren des LSG leide an einem wesentlichen Mangel und wenn dieser Mangel auch tatsächlich vorliegt (§ 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG; BSG 1, 150) oder wenn bei der Bedeutung des ursächlichen Zusammenhangs einer Gesundheitsstörung mit einer Schädigung im Sinne des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) das Gesetz verletzt ist (§ 162 Abs. 1 Nr. 3 SGG); die bloße Behauptung einer solchen Gesetzesverletzung macht die Revision auch dann nicht statthaft, wenn die Behauptung substantiiert aufgestellt ist (BSG 1 S. 254).
Bei der Beurteilung des ursächlichen Zusammenhangs einer Gesundheitsstörung mit einer Schädigung im Sinne des BVG ist das Gesetz verletzt, wenn die für das Gebiet der Kriegsopferversorgung geltende "Kausalitätsnorm" verletzt ist (BSG 1, 268). Die Kausalitätsnormen sind nicht ausdrücklich in einer gesetzlichen Vorschrift niedergelegt, sondern für ein bestimmtes Rechtsgebiet allgemein gültige, den ursächlichen Zusammenhang regelnde Rechtssätze, die von der Rechtsprechung und der Rechtslehre entwickelt worden sind. Nach der für das Gebiet der Kriegsopferversorgung geltenden Kausalitätsnorm ist ursächlich für einen Erfolg von mehreren Bedingungen nur diejenige, die im Verhältnis zu anderen Einzelbedingungen wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt hat (BSG 1, Seite 72 - 76 -; Seite 150 - 151 -; Seite 268 - 270 -). Um die Anwendung dieser Kausalitätsnorm handelt es sich auch dann, wenn darüber zu entscheiden ist, ob durch den Wehrdienst ein schon vorher bestehendes Leiden verschlimmert worden ist, ob der Wehrdienst also neben dem vordienstlichen Leiden für den Erfolg - die Gesamt-Minderung der Erwerbsfähigkeit eines Beschädigten - eine wesentliche Bedingung gewesen ist.
Soweit dagegen nicht über die Frage zu entscheiden ist, ob ein Leiden durch den Wehrdienst verschlimmert worden ist, sondern darüber, welchen Anteil die Verschlimmerung an der festgestellten Gesamt-MdE hat, handelt es sich nicht um die Anwendung einer Kausalitätsnorm, sondern um die Feststellung von Tatsachen; dies gilt auch dann, wenn streitig ist, ob etwa deshalb, weil die Verschlimmerung eine "richtunggebende" gewesen ist, die MdE in vollem Umfang als Folge des Wehrdienstes anzusehen ist.
Im vorliegenden Fall hat der Beklagte den "kombinierten Herzklappenfehler" des Klägers als Leistungsgrund im Sinne der Verschlimmerung nach dem KBLG mit einer MdE von 30 v. H. anerkannt . Das LSG hat nicht darüber zu entscheiden gehabt, ob das Leiden des Klägers durch den Wehrdienst verschlimmert worden ist, sondern nur darüber, welcher Anteil der Gesamt-MdE von 40 v. H. auf die unstreitig vorhandene Verschlimmerung entfällt. Unter diesen Umständen kommt es für die Frage, ob die Revision nach § 162 Abs. 1 Nr. 3 SGG statthaft ist, nicht darauf an, ob die Verschlimmerung eine einfache oder eine richtunggebende gewesen ist; diese Feststellung betrifft medizinische Tatsachen, nicht aber deren Unterordnung unter Vorschriften des materiellen Rechts. Angriffe gegen derartige tatsächliche Feststellungen können aber die Statthaftigkeit der Revision nur auf Grund des § 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG rechtfertigen.
Obwohl der Kläger sich für die Statthaftigkeit seiner Revision nur auf § 162 Abs. 1 Nr. 3 SGG berufen hat, hat der Senat noch prüfen müssen, ob das Vorbringen des Klägers nicht auch unter den Gesichtspunkt des § 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG als Rüge eines Verfahrensmangels zu werten ist; es kommt nicht darauf an, auf welche Vorschriften sich der Kläger für die Statthaftigkeit der Revision beruft, sofern aus seinem tatsächlichen Vorbringen zu entnehmen ist, daß er einen Verfahrensmangel rügen will (BSG a. a. O. S. 270). Der Kläger hat auch Rügen in dieser Richtung vorgebracht; er hat sich gegen die Feststellung des LSG gewandt, das Leiden sei durch den Wehrdienst nicht richtunggebend verschlimmert worden. Diese tatsächliche Feststellung ist jedoch für das BSG bindend, außer wenn in bezug auf diese Feststellung zulässige und begründete Revisionsgründe vorgebracht sind (§ 163 SGG). Das LSG hat sich für seine Feststellung auf die ärztlichen Gutachten, im besonderen des Gutachtens der L. - K.-Klinik vom 4. Juni 1955, berufen, in dem der durch den Wehrdienst bedingte Anteil der MdE mit 40 v. H. bewertet worden ist. Soweit der Kläger diese Feststellung des Gutachtens, die sich das LSG zu eigen gemacht hat, deshalb angreift, weil nach der Rechtsprechung und nach den "Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit" eine weitere Verschlimmerung stets dann als eine richtunggebende Verschlimmerung anzusehen sei, wenn durch die als Schädigungsfolge anerkannte erste Verschlimmerung eines Leidens die Erwerbsfähigkeit um 50 v. H. oder mehr gemindert sei (vgl. hierzu Beschluß des BSG vom 30. Oktober 1957 - 8 RV 47/56 -), greift seine Rüge nicht durch; das LSG hat im vorliegenden Fall nicht darüber entscheiden müssen, ob auch eine weitere Verschlimmerung des Leidens noch Wehrdienstfolge ist, sondern nur darüber, mit welchem Anteil die erste Verschlimmerung innerhalb der Gesamt-MdE zu bewerten ist. Hierüber entscheidet das LSG nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung, es hat auch im Urteil die Gründe angegeben, die für seine Überzeugung maßgebend gewesen sind (§ 128 SGG); die Grenzen seines Rechts, die Beweise frei zu würdigen, hat das LSG nicht überschritten, der Kläger hat dies auch nicht gerügt. Da das BSG an die Feststellungen des LSG gebunden ist, kann es selbst keine neuen Feststellungen treffen und deshalb auch auf neues tatsächliches Vorbringen des Klägers in der Revisionsinstanz nicht eingehen.
Die Revision des Klägers ist demnach weder nach § 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG noch nach § 162 Abs. 1 Nr. 3 SGG statthaft. Sie muß deshalb nach § 169 Satz 1 SGG als unzulässig verworfen werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung des § 193 SGG.
Fundstellen