Verfahrensgang
SG Frankfurt (Oder) (Entscheidung vom 27.08.2019; Aktenzeichen S 22 R 426/15) |
LSG Berlin-Brandenburg (Urteil vom 25.01.2023; Aktenzeichen L 16 R 732/19) |
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 25. Januar 2023 wird als unzulässig verworfen.
Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine Kosten zu erstatten.
Gründe
I
Zwischen den Beteiligten ist streitig ein Anspruch auf Weitergewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung.
Die im Jahr 1974 geborene Klägerin beantragte im Juni 2008 bei der Beklagten die Gewährung einer Erwerbsminderungsrente. Nach einem erfolglosen Verwaltungsverfahren schlossen die Beteiligten vor dem SG am 15.11.2012 einen Vergleich über die Leistung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung für die Zeit vom 1.3.2012 bis zum 28.2.2015. Den im Dezember 2014 gestellten Antrag auf Weitergewährung der Erwerbsminderungsrente über Februar 2015 hinaus lehnte die Beklagte nach Begutachtung durch den Facharzt für Orthopädie S ab (Bescheid vom 25.2.2015; Widerspruchsbescheid vom 24.8.2015).
Im Klageverfahren hat das SG Befundberichte der behandelnden Ärzte sowie ein Gutachten auf orthopädisch-chirurgischem Fachgebiet von T eingeholt. Die Sachverständige hat festgestellt, die Klägerin könne mindestens sechs Stunden täglich unter Leistungseinschränkungen erwerbstätig sein (Gutachten vom 14.10.2016 sowie nach Einwänden der Klägerin eingeholte ergänzende Stellungnahmen vom 7.5.2018, 17.8.2018 und vom 5.11.2018). Das SG hat mit Urteil vom 27.8.2019 die Klage abgewiesen. Im Berufungsverfahren hat das LSG ein Gutachten der Fachärztin für Neurologie H eingeholt, die ein Leistungsvermögen der Klägerin von mindestens sechs Stunden täglich auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt unter qualitativen Leistungseinschränkungen bestätigte (Gutachten vom 19.10.2020). Nach Einwendungen der Klägerin hat die Sachverständige in einer ergänzenden Stellungnahme vom 23.6.2021 ihre Leistungsbeurteilung vom 19.10.2020 wiederholt. Auf Antrag der Klägerin hat das LSG den Facharzt für Neurologie und Schmerztherapie B mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragt. Dieser hat ausgeführt, die Klägerin habe sich darauf eingestellt, keine Arbeiten auszuführen, die länger als ein bis zwei Stunden andauern (Gutachten vom 25.5.2022). In einer dazu eingeholten Stellungnahme hat die Sachverständige H an ihrer Einschätzung des Leistungsvermögens der Klägerin festgehalten (Stellungnahme vom 27.9.2022). Das LSG hat gestützt auf das Ergebnis der Begutachtungen durch T und H einen Anspruch auf Weitergewährung der Rente wegen Erwerbsminderung ab März 2015 abgelehnt und die Berufung zurückgewiesen (Urteil vom 25.1.2023).
Gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG hat die Klägerin Beschwerde beim BSG eingelegt. Sie rügt als Verfahrensmängel iS von § 160 Abs 2 Nr 3 SGG einen Verstoß gegen die Amtsermittlungspflicht und eine Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör. Einen zunächst gestellten Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe hat die Klägerin mit Schriftsatz vom 1.6.2023 zurückgenommen.
II
Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin ist unzulässig, weil sie nicht in der nach § 160a Abs 2 Satz 3 SGG gebotenen Form begründet ist. Die Beschwerde ist daher gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 iVm § 169 SGG zu verwerfen.
Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde damit begründet, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG), so müssen zur Bezeichnung des Verfahrensmangels (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG) zunächst die Umstände, aus denen sich der Verfahrensfehler ergeben soll, substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist es erforderlich, darzulegen, dass und warum die Entscheidung des LSG ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht auf dem Mangel beruhen kann, also die Möglichkeit einer Beeinflussung der Entscheidung besteht. Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG kann ein Verfahrensmangel nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 Satz 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.
Die Klägerin gibt Auszüge aus ihren Schreiben an das Berufungsgericht vom 18.2.2021, 27.4.2021, 30.4.2021 (mit persönlicher Stellungnahme der Klägerin vom 16.11.2020) sowie vom 2.8.2021 wörtlich wieder, wonach ein von H befürwortetes Heilverfahren für sie nicht in Frage komme. Schon "der Ansatz" im Gutachten vom 19.10.2020 sei falsch und sie beantrage die mündliche Anhörung der Sachverständigen zur Erläuterung ihres Gutachtens sowie "äußerst hilfsweise" auch die mündliche Anhörung des Gutachters B zur Verteidigung seines Gutachtens. Damit hat die Klägerin einen Verfahrensmangel nicht hinreichend bezeichnet. Die Anordnung des Erscheinens des Sachverständigen - die grundsätzlich im Ermessen des Gerichts steht und auf die die Beteiligten nur in bestimmten prozessualen Situationen einen Anspruch haben - dient in erster Linie der Sachaufklärung. Die diesbezügliche Verfahrensrüge ist im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde deshalb in aller Regel nur unter den Voraussetzungen zulässig, die für die Sachaufklärungsrüge gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2, § 103 SGG gelten (vgl BSG Beschluss vom 8.12.2022 - B 5 R 90/22 B - juris RdNr 8 mwN). Die Klägerin hat jedoch nicht aufgezeigt, dass sie einen prozessordnungsgemäßen Beweisantrag zu entscheidungserheblichen und klärungsbedürftig gebliebenen Fragen gestellt hat. Insbesondere bleibt offen, welche bislang nicht berücksichtigten Leistungseinschränkungen durch Befragung der Sachverständigen noch weiter aufzuklären gewesen wären (allgemein zum notwendigen Inhalt eines Beweisantrags in einem Rechtsstreit über die Gewährung von Erwerbsminderungsrente vgl BSG Beschluss vom 8.11.2022 - B 5 R 155/22 B - juris RdNr 7 mwN).
Soweit die Klägerin an anderer Stelle selbst vorträgt, sie habe deshalb keine ergänzenden Beweisanträge gestellt, weil das LSG sie nicht auf vermeintliche Lücken im Gutachten des Sachverständigen B hingewiesen und zudem nicht mitgeteilt habe, dass es dessen Feststellungen nicht folgen werde, war das LSG dazu auch nicht verpflichtet. Es gibt im einfachrechtlichen Prozessrecht keinen allgemeinen Verfahrensgrundsatz, der das Gericht verpflichten würde, die Beteiligten auf eine in Aussicht genommene Beweiswürdigung hinzuweisen oder die für die richterliche Überzeugungsbildung möglicherweise leitenden Gründe zuvor mit ihnen zu erörtern (stRspr; vgl zB BSG Beschluss vom 4.8.2022 - B 5 R 64/22 B - juris RdNr 9 mwN), zumal sich die tatsächliche und rechtliche Würdigung regelmäßig erst aufgrund der abschließenden Beratung ergibt (vgl zB BSG Beschluss vom 23.12.2022 - B 5 R 170/22 B - juris RdNr 7 mwN).
Sollte die Klägerin auch eine Verletzung ihres Fragerechts aus § 116 Satz 2, § 118 Abs 1 Satz 1 SGG iVm §§ 397, 402, 411 Abs 4 ZPO rügen wollen, hat sie auch einen solchen Verfahrensverstoß nicht hinreichend bezeichnet. Da die Rüge der Verletzung des Rechts auf Befragung eines Sachverständigen letztlich eine Gehörsrüge darstellt, müssen deren Voraussetzungen erfüllt sein. Insbesondere muss der Beschwerdeführer alles getan haben, um eine Anhörung des Sachverständigen zu erreichen (vgl BSG Beschluss vom 29.1.2018 - B 9 V 39/17 B - juris RdNr 16). Dazu gehört, rechtzeitig den Antrag auf Anhörung des Sachverständigen zur Erläuterung seines Gutachtens zu stellen und schriftlich Fragen anzukündigen, die objektiv sachdienlich sind (vgl BSG Beschluss vom 24.2.2021 - B 13 R 37/20 B - juris RdNr 12). Dass dies erfolgt ist, ergibt sich aus der Beschwerdebegründung nicht.
Schließlich hat die Klägerin auch mit ihrem Vorbringen, das LSG habe seine Amtsermittlungspflicht aus § 103 SGG verletzt, indem es kein sog Obergutachten eingeholt habe, keinen Verfahrensmangel iS von § 160 Abs 2 Nr 3 SGG bezeichnet. Liegen mehrere Gutachten mit unterschiedlichen Ergebnissen vor, hat sich das Tatsachengericht damit im Rahmen seiner Beweiswürdigung auseinanderzusetzen. Der Beschwerdebegründung lassen sich auch keine Umstände entnehmen, unter denen das LSG ausnahmsweise zur Einholung eines weiteren Gutachtens verpflichtet gewesen wäre (zu den Voraussetzungen vgl BSG Beschluss vom 22.2.2023 - B 5 R 204/22 B - juris RdNr 6 unter Hinweis auf BSG Beschluss vom 18.8.2022 - B 5 R 124/22 B - juris RdNr 7).
Indem die Klägerin neben der von ihr als unzureichend beanstandeten gerichtlichen Sachaufklärung ferner eine Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art 103 Abs 1 GG, § 62 SGG) rügt, kommt dem keine eigenständige Bedeutung zu. Die Regelung in § 160 Abs 2 Nr 3 Teilsatz 2 SGG zur Beschränkung einer Rüge der Verletzung des § 103 SGG gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG kann nicht dadurch umgangen werden, dass aufgrund desselben Sachverhalts auch eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör geltend gemacht wird (stRspr; vgl ua BSG Beschluss vom 2.5.2023 - B 5 R 140/22 B - juris RdNr 15).
Schließlich hat die Klägerin auch mit ihrem Vorbringen, das LSG habe ihre Ausführungen "zum Vorwurf der mangelnden Compliance" bei der Entscheidungsfindung und Urteilsbegründung unberücksichtigt gelassen, keinen Verfahrensmangel hinreichend bezeichnet. Zwar sind die Gerichte nach § 136 Abs 1 Nr 6 SGG verpflichtet, das wesentliche, der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung dienende Vorbringen der Beteiligten in den Entscheidungsgründen zu verarbeiten. Allerdings müssen sich die Gerichte nicht mit jedem Parteivorbringen auseinandersetzen, insbesondere wenn es offensichtlich unerheblich ist oder sich aus dem Urteil zweifelsfrei ergibt, dass das Gericht das Vorbringen auch ohne ausdrückliche Erwähnung für unerheblich gehalten hat (vgl BSG Beschluss vom 24.7.2019 - B 5 R 31/19 B - juris RdNr 30). Auch dazu fehlt es an weiteren Darlegungen in der Beschwerdebegründung.
Mit ihrem übrigen Vorbringen, das LSG habe sich ausschließlich auf fehlerhafte Feststellungen der Sachverständigen T und H gestützt, nach den gutachterlichen Feststellungen des Sachverständigen B hätte es der Berufung stattgeben müssen, schließlich komme diesem Gutachten derselbe Stellenwert zu wie den anderen, rügt sie eine vermeintlich fehlerhafte Beweiswürdigung (§ 128 Abs 1 Satz 1 SGG). Darauf kann eine Nichtzulassungsbeschwerde nach dem Gesetzeswortlaut in § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ausdrücklich nicht gestützt werden (vgl BSG Beschluss vom 28.10.2020 - B 5 R 162/20 B - juris RdNr 15 mwN).
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl § 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 183 Satz 1 iVm § 193 Abs 1 und 4 SGG.
Fundstellen
Dokument-Index HI15912613 |