Orientierungssatz

Es steht gemäß § 202 SGG iVm § 412 Abs 1 ZPO im Ermessen des Berufungsgerichts, eine neue Begutachtung durch einen Sachverständigen anzuordnen, wenn es bisher eingeholte Gutachten für ungenügend erachtet. Daher ist in solchen Fällen ein Verfahrensfehler nur dann hinreichend bezeichnet, wenn der Beschwerdeführer konkrete Tatsachen vorträgt, aus denen sich schlüssig ergibt, daß das LSG trotz § 412 Abs 1 ZPO - ausnahmsweise - verpflichtet war, weiteren Sachverständigenbeweis zu erheben. Dafür reicht es nicht aus, wenn der Beschwerdeführer die Beweiswürdigung des LSG für unzutreffend und die Einholung neuer Gutachten für erforderlich hält. Nach § 412 Abs 1 ZPO kommt es auf die Sicht des Berufungsgerichts an.

 

Normenkette

SGG § 202; ZPO § 412 Abs 1; SGG § 128 Abs 1, § 160a Abs 2 S 3

 

Verfahrensgang

LSG Baden-Württemberg (Entscheidung vom 27.03.1987; Aktenzeichen L 8 J 2801/85)

 

Gründe

Nach § 160 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) darf das Bundessozialgericht (BSG) die Revision gegen das Urteil eines Landessozialgerichts (LSG) ua nur zulassen, wenn bestimmte Verfahrensmängel geltend gemacht werden. Die - behauptete - sachliche Unrichtigkeit des Urteils des LSG ist dagegen kein Revisionszulassungsgrund. Nach § 160a Abs 2 Satz 3 SGG muß in der Beschwerdebegründung ua der Verfahrensmangel bezeichnet werden. Genügt die Begründung diesen Anforderungen nicht, ist die Beschwerde in entsprechender Anwendung des § 169 Satz 2 und 3 SGG als unzulässig zu verwerfen.

Der Kläger, der ausschließlich Verfahrensrügen erhebt, hat keinen die Zulassung der Revision erlaubenden Verfahrensmangel ausreichend bezeichnet. Soweit er geltend macht, das LSG habe seine Pflicht zur Erforschung des Sachverhalts von Amts wegen (§ 103 Satz 1 SGG) verletzt, indem es "dem Antrag auf ein weiteres medizinisches Gutachten ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt" sei, reicht sein Vorbringen zur Bezeichnung des Verfahrensmangels nicht aus. Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 SGG kann die Beschwerde auf die Rüge einer Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn sich der geltend gemachte Verfahrensmangel auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Zur Zulässigkeit einer hierauf gestützten Nichtzulassungsbeschwerde gehört zunächst, daß der Beschwerdeführer den Beweisantrag, dem das LSG nicht gefolgt ist, so genau bezeichnet, daß er für das BSG ohne weiteres auffindbar ist (BSG SozR 1500 § 160 Nr 5 Leitsatz 1). Der Kläger hat es jedoch unterlassen, auf den Schriftsatz oder die Sitzungsniederschrift hinzuweisen, der/die den nach seiner Ansicht grundlos übergangene Beweisantrag enthält. Darüber hinaus hat er nicht dargelegt, weshalb sich das LSG hätte gedrängt fühlen müssen, seinem Beweisantrag stattzugeben. Zwar hat er zu der Frage, ob das Berufungsgericht seinen Antrag mit hinreichendem Grund abgelehnt hat, näher ausgeführt, weshalb das LSG nach seiner Ansicht seine Überzeugungsbildung auf das Gutachten des Prof. Dr. A nicht hätte stützen und das Gutachten des Dr. T nicht als "nicht stichhaltig" hätte bewerten dürfen. Jedoch steht es gemäß § 202 SGG iVm § 412 Abs 1 der Zivilprozeßordnung (ZPO) im Ermessen des Berufungsgerichts, eine neue Begutachtung durch einen Sachverständigen anzuordnen, wenn es bisher eingeholte Gutachten für ungenügend erachtet (Hartmann, Anm 1Bb zu § 412, in: Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 44. Aufl 1986, S 1165 mwN). Daher ist in solchen Fällen ein Verfahrensfehler nur dann hinreichend bezeichnet, wenn der Beschwerdeführer konkrete Tatsachen vorträgt, aus denen sich schlüssig ergibt, daß das LSG trotz § 412 Abs 1 ZPO - ausnahmsweise - verpflichtet war, weiteren Sachverständigenbeweis zu erheben. Dafür reicht es nicht aus, wenn der Beschwerdeführer die Beweiswürdigung des LSG für unzutreffend und die Einholung neuer Gutachten für erforderlich hält. Nach § 412 Abs 1 ZPO kommt es auf die Sicht des Berufungsgerichts an.

Soweit der Kläger vorträgt, das LSG habe nicht hinreichend berücksichtigt, daß das Gutachten des Dr. T sehr ausführlich und aufgrund einer umfangreichen Untersuchung erstellt worden sei, und verkannt, daß klinische und neurologisch-psychiatrische Gesichtspunkte gleichermaßen von Bedeutung seien, rügt er sinngemäß, das LSG habe die Grenzen seines Rechts verletzt, nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung zu entscheiden (§ 128 Abs 1 Satz 1 SGG). Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel aber nicht auf eine Verletzung des § 128 Abs 1 Satz 1 SGG gestützt werden.

Andere Anhaltspunkte dafür, ein Revisionszulassungsgrund könne vorliegen, sind weder dargetan noch ersichtlich.

Die Beschwerde des Klägers ist hiernach - zugleich unter Ablehnung des Antrags auf Prozeßkostenhilfe wegen mangelnder Erfolgsaussicht (§ 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 114 Satz 1 ZPO) - in entsprechender Anwendung des § 169 Satz 2 SGG als unzulässig zu verwerfen.

Die Kostenentscheidung folgt aus einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1665264

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