Entscheidungsstichwort (Thema)
Rüge der Gutachterauswahl
Orientierungssatz
Die Auswahl des Sachverständigen steht im freien Ermessen des Gerichts und ist als Teil des Beweisbeschlusses unanfechtbar. Ein Auswahlfehler kann zur Zulassung der Revision nur dann führen, wenn eine deswegen beantragte weitere Begutachtung ohne hinreichenden Grund unterblieben ist und ein solcher Mangel in der Beschwerdebegründung bezeichnet ist.
Normenkette
SGG § 160 Abs 2 Nr 3, § 160a Abs 2 S 3, § 118 Abs 1 S 1; ZPO § 404
Verfahrensgang
LSG Baden-Württemberg (Entscheidung vom 25.02.1988; Aktenzeichen L 10 An 967/85) |
Gründe
Die allein auf Verfahrensmängel gestützte Beschwerde ist unzulässig. Sie genügt nicht den gesetzlichen Erfordernissen des § 160 Abs 2 Nr 3 iVm § 160a Abs 2 Satz 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist die Revision nur zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung der § 109 und § 128 Abs 1 Satz 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das Landessozialgericht (LSG) ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.
Nach diesen gesetzlichen Einschränkungen kann die Beschwerde von vornherein nicht darauf gestützt werden, daß das LSG auf Antrag des Klägers gemäß § 109 SGG einen benannten Arzt seines Vertrauens gutachtlich hätte hören müssen oder daß das Gericht bei der Beweisaufnahme oder bei der Würdigung des Beweisergebnisses gegen die Grundsätze der freien Beweiswürdigung gemäß § 128 Abs 1 Satz 1 SGG verstoßen habe oder daß es sich von Anfang an oder jedenfalls nach Vorliegen einander widersprechender Gutachten von sich aus hätte gedrängt sehen müssen, eine (weitere) Begutachtung von Amts wegen durchzuführen. Zur Zulassung der Revision kann insoweit nur eine auf § 103 SGG gestützte Verfahrensrüge führen, wenn sie sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Ein solcher Verfahrensmangel muß nach § 160a Abs 2 Satz 3 SGG "bezeichnet" werden, dh es muß schlüssig vorgebracht werden, daß das LSG einen bestimmten Beweisantrag abgelehnt hat, obwohl es sich zu einer Beweiserhebung hätte gedrängt sehen müssen.
Der Kläger hat insoweit zwar einen Antrag auf Einholung eines weiteren Gutachtens bei dem Schmerzspezialisten Prof. Dr. M. vom Schmerzzentrum St. zu der Frage bezeichnet, ob er mit permanenten Schmerzen arbeiten könne, und dazu ausgeführt, seine dauernden Rücken-, Glieder- und Gelenkschmerzen seien in dem vom LSG eingeholten Gutachten des Dr. P. völlig ignoriert worden. Damit ist jedoch der Bezeichnungspflicht des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG nicht genügt. Die Rechtsprechung verlangt hierzu die genaue Angabe aller Tatsachen, die den Mangel ergeben (BSG SozR 1500 § 160a Nr 10, 14). Der Beschwerdeführer muß daher bei bereits vorliegenden Gutachten im einzelnen darlegen, warum und zu welchen bisher nicht geklärten Befunden sich das LSG zu einer erneuten Beweiserhebung hätte veranlaßt sehen müssen. Sowohl der auf Antrag des Klägers gemäß § 109 SGG gehörte Dr. R. als auch der danach von Amts wegen gehörte Dr. P. , beide Fachärzte für Neurologie und Psychiatrie, sind insoweit - auch unter Berücksichtigung der bereits vorliegenden Vorbefunde und Gutachten - zu dem übereinstimmenden Ergebnis gekommen, daß eine organische Grundlage für die Schmerzsymptomatik nicht gefunden werden könne, die multiplen Schmerzen vielmehr ihre Ursache im wesentlichen im psychischen Bereich hätten. Da die beiden neurologisch-psychiatrischen Gutachten hinsichtlich der Bewertung des psychischen Beschwerdebildes zu unterschiedlichen Ergebnissen gekommen sind, hätte für das LSG Anlaß zur Einholung eines weiteren ("Ober"-) Gutachtens auf diesem Fachgebiet bestehen können. Darauf könnte aber die Beschwerde nur dann gestützt werden, wenn der Kläger einen diesbezüglichen Antrag auf Einholung eines solchen Gutachtens bezeichnet hätte. Daran fehlt es. Der Kläger rügt vielmehr in diesem Zusammenhang nur, daß sich das LSG nach der Einholung des für ihn günstigen Gutachtens des Dr. R. , Chefarzt der Psychiatrischen Klinik an den Krankenanstalten des Landkreises L. , habe gedrängt fühlen müssen, eine arbeitsmedizinisch erfahrene Kapazität auf psychiatrischem Fachgebiet, etwa den Chef einer psychiatrischen Abteilung einer Universitätsklinik, mit der Begutachtung zu beauftragen und nicht Dr. P. , der als Kinder- und Jugendpsychiater weniger geeignet sei und hinsichtlich der Frage der Willensanstrengung als "Hardliner" gelte. Eine derartige Rüge betrifft die Auswahl des Sachverständigen nach § 118 SGG iVm § 404 der Zivilprozeßordnung (ZPO), die im freien Ermessen des Gerichts steht und als Teil des Beweisbeschlusses unanfechtbar ist. Ein solcher Auswahlfehler kann zur Zulassung der Revision nur dann führen, wenn eine deswegen beantragte weitere Begutachtung ohne hinreichenden Grund unterblieben ist und ein solcher Mangel in der Beschwerdebegründung hinreichend bezeichnet ist.
Auch soweit der Kläger eine Verletzung rechtlichen Gehörs rügt und dazu vorträgt, er habe in der mündlichen Verhandlung keine Gelegenheit erhalten, von seinen ständigen Schmerzen zu berichten, ist die Beschwerde unzulässig. Nach § 62 SGG muß das Gericht den Beteiligten von Amts wegen die Möglichkeit geben, sich zu äußern. Findet eine mündliche Verhandlung statt, müssen die Beteiligten die Möglichkeit haben, an der mündlichen Verhandlung teilzunehmen. Es kommt nicht darauf an, ob sie tatsächlich gehört werden; es steht vielmehr bei den Beteiligten selbst, ob sie die Gelegenheit zur Äußerung nutzen. Daß dem Kläger diese Gelegenheit versagt bzw "das Wort abgeschnitten" worden ist, ist in der Beschwerdebegründung nicht behauptet. Der Kläger meint vielmehr, unter rechtlichem Gehör sei nicht nur die Gelegenheit zu tatsächlichen und rechtlichen Äußerungen zu verstehen, sondern die Pflicht des Gerichts, das Sach- und Streitverhältnis mit den Beteiligten zu erörtern. Eine diesbezügliche Rüge einer Verletzung des § 112 Abs 2 Satz 2 SGG bzw des § 106 Abs 1 SGG genügt jedoch nicht den gesetzlichen Formerfordernissen des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG. Der Umfang der Erörterungen des Gerichts richtet sich nach dem Einzelfall. Ist der Beteiligte - wie hier - durch sachkundige Prozeßbevollmächtigte vertreten und ist der Sachverhalt, dessen mangelnde Erörterung der Kläger hier beanstandet, in den eingeholten Gutachten bereits eingehend dargestellt, ist eine umfassende Erörterung dieses Sachverhalts nicht erforderlich. Der Kläger hätte deshalb im einzelnen darlegen müssen, warum er - trotz der umfassenden Befragung zu seinen Schmerzzuständen in den vom LSG eingeholten Gutachten - zu diesem Sachverhalt nochmals vom Gericht hätte gehört werden müssen. Dazu enthält die Beschwerdebegründung keine näheren Ausführungen.
Auch soweit der Kläger geltend macht, das LSG hätte sich gedrängt sehen müssen, seine in der Sitzung anwesende und als Zeugin gestellte Ehefrau zu Bemerkungen zu hören, die Dr. P. hinsichtlich der Aussichtslosigkeit irgendwelcher Therapien gemacht habe, genügen die Darlegungen des Klägers nicht den Anforderungen des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG. Der Senat kann offenlassen, ob ein diesbezüglicher Beweisantrag formgerecht bezeichnet ist (vgl BSG SozR 1500 § 160 Nr 64). Jedenfalls fehlt es an ausreichenden Darlegungen zu der Frage, ob die angefochtene Entscheidung auf der unterlassenen Anhörung beruhen kann. Das LSG hat das, was in das Wissen der Zeugin gestellt wird, als wahr unterstellt und ausgeführt, dadurch werde die Überzeugungskraft des Gutachtens von Dr. P. nicht erschüttert, weil auch dieser Arzt davon ausgehe, daß beim Kläger eine psychische Erkrankung vorliege. Warum sich das LSG dennoch zur Anhörung der Zeugin hätte gedrängt sehen müssen, ist nicht im einzelnen dargelegt. Mit der Rechtsmeinung, daß einer Anhörung gegenüber einer Wahrunterstellung stets der Vorrang gebühre, ist der Darlegungslast jedenfalls nicht genügt. Das gilt auch insoweit, als der Kläger vorträgt, aufgrund der Wahrunterstellung habe sich das Gericht gedrängt fühlen müssen, dem Gutachten Dr. P. nicht zu folgen und ein weiteres Sachverständigengutachten einzuholen.
Nach allem ist die Revision unzulässig, weil keiner der in § 160 Abs 2 SGG genannten Zulassungsgründe formgerecht geltend gemacht worden ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung des § 193 SGG.
Fundstellen