Verfahrensgang

LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 14.07.2021; Aktenzeichen L 2 SO 2254/19)

SG Mannheim (Urteil vom 28.05.2019; Aktenzeichen S 9 SO 868/19)

 

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 14. Juli 2021 wird als unzulässig verworfen.

Der Antrag der Klägerin, ihr für das Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde gegen das bezeichnete Urteil Prozesskostenhilfe zu bewilligen und Rechtsanwalt K, W, beizuordnen, wird abgelehnt.

Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I

Im Streit steht die Gewährung anteiligen Pflegegeldes nach § 64a Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII) über den Juli 2018 hinaus.

Die 1960 geborene Klägerin bezieht eine Rente wegen Erwerbsminderung sowie ergänzend Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Vierten Kapitel des SGB XII. Sie ist querschnittsgelähmt (Grad der Behinderung von 100; Merkzeichen B, H, aG und Rf) und wird durch einen zugelassenen Pflegedienst rund um die Uhr ambulant betreut. Sie erhält Leistungen der sozialen Pflegeversicherung (Pflegegrad 4) sowie vom Beklagten Hilfe zur Pflege. Die Klägerin wird durch eine Pflegekraft vor Ort versorgt, der Pflegedienst hält aber zur Sicherstellung der Pflege im Falle etwaiger Fehl- oder Ausfallzeiten im Hintergrund eine weitere Person bereit. Neben den Leistungen für die häusliche Pflegehilfe zahlte der Beklagte bis einschließlich Juli 2018 anteiliges Pflegegeld, lehnte dessen Weiterbewilligung aber ab (Bescheid vom 21.9.2018; Widerspruchsbescheid vom 20.2.2019). Die Klage hat keinen Erfolg gehabt (Urteil des Sozialgerichts ≪SG≫ Mannheim vom 28.5.2019; Urteil des Landessozialgerichts ≪LSG≫ Baden-Württemberg vom 14.7.2021). Das LSG hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, Voraussetzung für einen Anspruch nach § 64a Abs 1 Satz 2 iVm Abs 2 SGB XII sei ua, dass die Pflegebedürftigen die erforderliche Pflege mit dem Pflegegeld in geeigneter Weise selbst sicherstellten. Der Norm stehe nicht entgegen, wenn der Pflegebedürftige ausschließlich von professionellen Pflegekräften rund um die Uhr versorgt würde. Entscheidend sei lediglich, dass die Möglichkeit bestehe, dass pflegerischer Bedarf selbst sichergestellt werden könne und müsse, was schon dann zu bejahen sei, wenn in den verbleibenden Zeiträumen bei Nichtanwesenheit einer Pflegefachkraft ein unvorhergesehener Pflegebedarf von der Pflegebedürftigen selbst sicherzustellen sei. Bei der im vorliegenden Fall gewährten Pflege bleibe jedoch kein Raum für die eigene Sicherstellung der Pflege, weil die Klägerin allumfassend von angestellten Pflegekräften im Rahmen einer Sachleistung versorgt werde. Der Dienst halte immer im Hintergrund eine weitere Pflegekraft bereit. Eine Selbstorganisation durch die Klägerin sei damit nicht erforderlich, weil ihre Pflege in jedem Fall sichergestellt sei.

Gegen die Nichtzulassung der Revision im bezeichneten Urteil richtet sich die Beschwerde der Klägerin, mit der sie die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend macht. Für das Beschwerdeverfahren hat sie zugleich einen Antrag auf Prozesskostenhilfe (PKH) gestellt.

II

Die Beschwerde ist unzulässig und daher gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter zu verwerfen. Ihre Begründung entspricht nicht den aus § 160a Abs 2 Satz 3 SGG abzuleitenden Anforderungen; der allein geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) ist nicht in der gebotenen Weise dargelegt worden.

Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus - aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Um der Darlegungspflicht zu genügen, muss eine konkrete Frage formuliert, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihr angestrebten Entscheidung (sog Breitenwirkung) dargelegt werden (vgl nur Bundessozialgericht ≪BSG≫ vom 25.9.2002 - B 7 AL 142/02 B - SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 70 mwN). Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht.

Die Klägerin formuliert als Rechtsfrage:

Ist durch den Einsatz eines Pflegedienstes, der im Rahmen einer Rund-um-die-Uhr-Betreuung im Bedarfsfall auch eine Ersatzkraft zur Verfügung stellen kann, die Möglichkeit, den pflegerischen Bedarf selbst sicherstellen zu können und gegebenenfalls zu müssen, ausgeschlossen?,

und verweist darauf, dass das BSG zu § 64a Abs 1 SGB XII (in der Fassung des Dritten Gesetzes zur Stärkung der pflegerischen Versorgung und zur Änderung weiterer Vorschriften ≪Drittes Pflegestärkungsgesetz - PSG III≫ vom 23.12.2016 ≪BGBl I 3191) bisher keine Entscheidung getroffen hat. Damit ist schon die Klärungsbedürftigkeit der Rechtsfrage nicht hinreichend dargelegt. Eine Rechtsfrage ist dann nicht klärungsbedürftig, wenn die Antwort praktisch außer Zweifel steht, sich zB unmittelbar aus dem Gesetz ergibt oder bereits höchstrichterlich geklärt ist. Als bereits höchstrichterlich geklärt ist eine Rechtsfrage auch dann anzusehen, wenn das Revisionsgericht diese zwar noch nicht ausdrücklich entschieden hat, jedoch schon eine oder mehrere höchstrichterliche Entscheidungen anderer oberster Bundesgerichte oder des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) ergangen sind, die ausreichende Anhaltspunkte zur Beurteilung der von der Beschwerde als grundsätzlich herausgestellten Rechtsfrage geben (BSG vom 25.6.2020 - B 8 SO 36/20 B - juris RdNr 7; BSG vom 30.7.2019 - B 2 U 239/18 B - juris RdNr 4; BSG vom 21.1.1993 - 13 BJ 207/92 - SozR 3-1500 § 160 Nr 8 S 17; BSG vom 31.3.1993 - 13 BJ 215/92 - SozR 3-1500 § 146 Nr 2 S 6; BSG vom 30.8.2016 - B 2 U 40/16 B - SozR 4-1500 § 183 Nr 12 RdNr 8).

Vorliegend fehlt es an ausreichenden Darlegungen dazu, weshalb sich die Beantwortung der gestellten Rechtsfrage nicht bereits aus der Rechtsprechung des Senats zur gleichlautenden Vorgängernorm des § 64 Abs 5 SGB XII(in der Fassung des Gesetzes zur Eingliederung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch vom 27.12.2003 ≪BGBl I 3022≫) ergibt. Die Klägerin zitiert selbst die Entscheidung des Senats, wonach es für die Bedingung der Sicherstellung der Pflege nicht darauf ankommt, ob der gesamte pflegerische Bedarf mit dem Pflegegeld abgedeckt werden kann und faktisch auch abdeckt wird, sondern entscheidend ist, dass zumindest noch die Möglichkeit besteht, den pflegerischen Bedarf selbst sicherstellen zu können und ggf zu müssen, etwa wenn trotz der Einschaltung von Pflegekräften nachbar- oder verwandtschaftliche Hilfe in Anspruch genommen werden muss oder ein unvorhergesehener Pflegebedarf selbst sicherzustellen ist (BSG vom 25.4.2013 - B 8 SO 8/12 R - BSGE 113, 221 = SozR 4-3500 § 87 Nr 1, RdNr 17). Insofern hätte es zur Zulässigkeit der Nichtzulassungsbeschwerde einer Darlegung bedurft, welche Fragen im Rechtlichen sich in der vorliegenden Konstellation noch stellen sollten. Die Klägerin behauptet nur, die Frage, was gelte, wenn ein Pflegedienst beauftragt werde, der im Bedarfsfall eine Ersatzkraft stellen könne, sei noch offen.

Jedenfalls fehlt es aber an der ausreichenden Darlegung der Klärungsfähigkeit. Klärungsfähig ist eine Rechtsfrage nur dann, wenn sie für den zu entscheidenden Fall rechtserheblich ist (BSG 1500 § 160a Nr 31). Über die aufgeworfene Rechtsfrage müsste das Revisionsgericht also - in Ergänzung zur abstrakten Klärungsfähigkeit - konkret-individuell sachlich entscheiden müssen (BSG vom 25.6.1980 - 1 BA 23/80 - SozR 1500 § 160 Nr 39; BSG vom 25.10.1978 - 8/3 BK 28/77 - SozR 1500 § 160a Nr 31). Dies erfordert es, dass der Beschwerdeführer den nach seiner Auffassung vom Revisionsgericht einzuschlagenden Weg der Nachprüfung des angefochtenen Urteils und damit insbesondere den Schritt darlegt, der die Entscheidung der als grundsätzlich bezeichneten Rechtsfrage notwendig macht (BSG vom 17.8.2017 - B 8 SO 46/17 B - juris RdNr 6). Diesen Voraussetzungen genügt die Beschwerdebegründung nicht. So hätte es der Darlegung bedurft, inwieweit aufgrund der durch das LSG getroffenen tatsächlichen Feststellungen, an die der erkennende Senat gebunden ist (§ 163 SGG), noch Raum besteht, die Rechtsfrage beantworten zu müssen. Das LSG hat ausgehend von der genannten und wörtlich zitierten Entscheidung des erkennenden Senates (BSG vom 25.4.2013 - B 8 SO 8/12 R - BSGE 113, 221-231 = SozR 4-3500 § 87 Nr 1) festgestellt, dass die Klägerin allumfassend von den angestellten Kräften des Pflegedienstleisters versorgt wird, der für den Ausfall der Pflegeperson immer im Hintergrund eine weitere Pflegekraft bereit hält und damit eine Selbstorganisation der Klägerin aufgrund der Sicherstellung ihrer Pflege nicht erforderlich ist. Die Klägerin führt zwar aus, es "liege auf der Hand", dass sich dennoch offene Zeiträume auftun könnten. Damit wendet sie sich aber lediglich gegen die Richtigkeit der Entscheidung des LSG, ohne hinreichend darzulegen, dass auf Grundlage der Feststellungen des LSG über die aufgeworfene Rechtsfrage noch eine Entscheidung getroffen werden kann.

Da die beabsichtigte Rechtsverfolgung aus den dargelegten Gründen keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (vgl § 73a Abs 1 SGG, § 114 Abs 1 Zivilprozessordnung ≪ZPO≫), ist der Klägerin keine PKH zu bewilligen. Mit der Ablehnung von PKH entfällt auch die Beiordnung eines Rechtsanwalts (§ 121 ZPO).

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 Abs 1 SGG.

Krauß                                          Luik                                       Bieresborn

 

Fundstellen

Dokument-Index HI15098639

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge