Entscheidungsstichwort (Thema)

Klärungsbedürftige Rechtsfrage. besonders gefährdete Personengruppe. notwendige Beiladung

 

Orientierungssatz

1. Für die Rechtsfrage, ob eine berufsbedingte Verursachung bei einem nicht berufsbedingten Vorschaden vorliege, wenn sich durch Allergene ein akut-intermittierender Zustand entwickelt, setzt die Klärungsbedürftigkeit voraus, daß der akut-intermittierende Zustand sich durch eine in der Anlage 1 zur BKVO aufgeführte Einwirkung entwickelt hätte.

2. Zur Klärung der Rechtsfrage, ob alle Arbeitnehmer, die ihre Tätigkeit unter Einwirkung von Tabakrauch in geschlossenen Räumen erbringen mußten, eine bestimmte und gegenüber der allgemeinen Bevölkerung erheblich stärker gefährdete Personengruppe sei.

3. Die Anerkennung eines "grundsätzlichen Interesses der Bundesanstalt für Arbeit am Ausgang des Rechtsstreits" erfüllt nicht den Tatbestand der notwendigen Beiladung iS des § 75 Abs 2 SGG.

 

Normenkette

SGG § 160 Abs 2 Nr 1, § 160 Abs 2 Nr 3, § 160a Abs 2 S 3, § 75 Abs 2; RVO § 551 Abs 2; BKVO Anl 1

 

Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 11.10.1988; Aktenzeichen L 5 U 18/85)

 

Gründe

Der Kläger ist mit seinem Begehren, bei ihm eine Berufskrankheit nach § 551 Abs 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO) iVm der Anlage 1 der Berufskrankheiten-Verordnung (BKVO) durch Einflüsse in Großraumbüros anzuerkennen oder die von ihm geltend gemachten Gesundheitsstörungen nach § 551 Abs 2 RVO wie eine Berufskrankheit zu entschädigen und ihm eine Verletztenrente zu gewähren, ohne Erfolg geblieben (Bescheid vom 11. Mai 1983; Urteile des Sozialgerichts vom 18. Dezember 1984 und des Landessozialgerichts -LSG- vom 11. Oktober 1988). Das LSG ist zu dem Ergebnis gelangt, daß die vom Kläger auf berufliche Einflüsse zurückgeführte Migräne weder eine Berufskrankheit (§ 551 Abs 1 RVO) sei noch wie eine Berufskrankheit entschädigt werden könne (§ 551 Abs 2 RVO).

Zur Begründung seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision macht der Kläger geltend, die Sache habe grundsätzliche Bedeutung (§ 160 Abs 2 Nr 1 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-). Außerdem seien in verfahrensfehlerhafter Weise sein letzter Arbeitgeber und die Bundesanstalt für Arbeit nach § 75 Abs 2 SGG nicht beigeladen worden (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG).

Die Beschwerde ist unzulässig.

Der Kläger hat die von ihm geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nicht dargelegt iS des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG. Eine Rechtssache hat ua nur dann grundsätzliche Bedeutung, wenn sie klärungsbedürftig ist (BSG SozR 1500 § 160 Nr 17, § 116a Nrn 4, 13, 31, 65). Der Kläger hat als Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung genannt, ob ein am Arbeitsplatz inhalierter Tabakrauch als Arbeitsstoff im Sinne der Anlage 1 zur BKVO zu verstehen sei. Er hat jedoch nicht dargelegt, daß diese Rechtsfrage in einem Revisionsverfahren klärungsbedürftig wäre (s BSG SozR 1500 § 160 Nr 31, BVerfG SozR aaO Nr 44). Das LSG hat in seinem Urteil im Rahmen seines nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG im Beschwerdeverfahren nicht nachprüfbaren Rechts der freien richterlichen Beweiswürdigung (s BSG SozR 1500 § 160 Nr 26, § 160a Nr 60) in tatsächlicher Hinsicht festgestellt, daß der Kläger keinen in der Anlage 1 zur BKVO genannten Einwirkungen ausgesetzt war, die die Migräne hätten verursachen können. An diese unangegriffene Tatsachenfeststellung ist das BSG auch in Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde gebunden.

Aus diesen Gründen ist auch für die zweite vom Kläger angeführte Rechtsfrage, ob eine berufsbedingte Verursachung bei einem nicht berufsbedingten Vorschaden vorliege, wenn sich durch Allergene ein akut-intermittierender Zustand entwickelte, die Klärungsbedürftigkeit nicht dargelegt. Auch die Beantwortung dieser Frage würde in einem Revisionsverfahren voraussetzen, daß der akut-intermittierende Zustand sich durch eine in der Anlage 1 zur BKVO aufgeführte Einwirkung entwickelt hätte. Derartige Einwirkungen hat das LSG aber nicht festgestellt.

Eine Entschädigung wie eine Berufskrankheit nach § 551 Abs 2 RVO scheidet nach der Auffassung des LSG schon deshalb aus, weil der Kläger den von ihm als schädigend angeführten Stoffen nicht als Mitglied einer gegenüber der allgemeinen Bevölkerung besonders gefährdeten Personengruppe ausgesetzt gewesen sei. Insoweit nennt der Beschwerdeführer als Frage von grundsätzlicher Bedeutung, ob alle Arbeitnehmer, die ihre Tätigkeit unter Einwirkung von Tabakrauch in geschlossenen Räumen erbringen mußten, eine bestimmte und gegenüber der allgemeinen Bevölkerung erheblich stärker gefährdete Personengruppe sei. Auch für diese Frage ist - unabhängig davon, ob es sich insoweit überhaupt um eine vom Revisionsgericht zu entscheidende Rechtsfrage und nicht im wesentlichen um tatsächliche Feststellungen handelt - die Klärungsbedürftigkeit nicht dargelegt, da die vom Beschwerdeführer als grundsätzlich angesehene Frage nach den tatsächlichen Feststellungen des LSG zu verneinen ist. Das LSG hat festgestellt, Einwirkungen von Inhaltsstoffen von Tabak, Waschmitteln oder Parfümen könnten überall dort auftreten, wo Menschen zusammen lebten; es fehle damit an der gruppenspezifischen Gefährdung (s BSG SozR 2200 § 551 Nr 18). Damit erübrigt sich auch die Beantwortung der Frage, ob neue Erkenntnisse iS des § 551 Abs 2 RVO vorlägen. Insoweit kommt noch hinzu, daß der Kläger sich nicht mit der bisher zu dieser Frage ergangenen Rechtsprechung des BSG auseinandergesetzt hat, was die Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung einer Rechtsfrage erfordert.

Letztlich ist auch ein Verfahrensmangel iS des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG nicht ordnungsgemäß dargelegt. Eine vorschriftsmäßig begründete Verfahrensrüge liegt nur dann vor, wenn die sie begründenden Tatsachen im einzelnen genau angegeben sind und entsprechend der Vorschrift des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG in sich verständlich den behaupteten Verfahrensmangel ergeben (BSG SozR 1500 § 160a Nr 14). Dies ist hier nicht geschehen. Nach dem Vortrag des Klägers ist die Notwendigkeit einer Beiladung seines letzten Arbeitgebers nach § 75 Abs 2 SGG nicht ersichtlich. Inwiefern zivilrechtliche Haftungsansprüche eine notwendige Beiladung iS des § 75 Abs 2 SGG zu begründen vermögen, ist nicht dargetan. Nichts anderes gilt für die behauptete Notwendigkeit der Beiladung der Bundesanstalt für Arbeit. Die Anerkennung eines "grundsätzlichen Interesses der Bundesanstalt für Arbeit am Ausgang des Rechtsstreits" erfüllt nicht den Tatbestand der notwendigen Beiladung iS des § 75 Abs 2 SGG. Daß die Bundesanstalt für Arbeit einen Antrag auf Beiladung nach § 75 Abs 1 SGG gestellt hätte, trägt der Kläger selbst nicht vor.

Die Beschwerde ist hiernach nicht geeignet, dem Kläger die Revision zu eröffnen; das Rechtsmittel ist zu verwerfen (§ 169 SGG).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1648117

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