Verfahrensgang

Bayerisches LSG (Urteil vom 29.11.2021; Aktenzeichen L 11 AS 643/19)

SG Nürnberg (Urteil vom 28.05.2019; Aktenzeichen S 8 AS 38/17)

 

Tenor

Die Beiordnung der Rechtsanwältin G, K, wird aufgehoben.

Der Antrag des Klägers, ihm einen anderen Rechtsanwalt beizuordnen, wird abgelehnt.

Dem Kläger wird hinsichtlich der Versäumung der Frist zur Einlegung der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 29.11.2021 - L 11 AS 643/19 - Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt.

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 29.11.2021 - L 11 AS 643/19 - wird als unzulässig verworfen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

 

Gründe

1. Dem Antrag der gemäß § 73a Abs 1 SGG iVm § 121 ZPO beigeordneten Rechtsanwältin vom 16.10.2022, ihre Beiordnung aufzuheben, ist stattzugeben. Nach § 48 Abs 2 Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO) kann der Rechtsanwalt die Aufhebung der Beiordnung beantragen, wenn hierfür wichtige Gründe vorliegen. Wichtiger Grund, der eine Entpflichtung des Rechtsanwalts rechtfertigen kann, ist eine nachhaltige und tiefgreifende Störung des Vertrauensverhältnisses zwischen dem Anwalt und seinem Mandanten. Ob die strengen Anforderungen, die die höchstrichterliche Rechtsprechung an diesen Tatbestand stellt (siehe exemplarisch BFH vom 9.3.2016 - IV S 2/16, juris RdNr 10 ff; BVerwG vom 29.11.2010 - 6 B 59/10 - juris RdNr 8; BGH vom 15.9.2010 - IV ZR 240/08 - juris RdNr 1 ff), am Tag der Antragstellung bereits erfüllt waren, mag dahinstehen. Denn der Kläger hat am Folgetag gegenüber der beigeordneten Rechtsanwältin den Widerruf der ihr erteilten Prozessvollmacht erklärt. Schon dies allein stellt einen wichtigen Grund iS des § 48 Abs 2 BRAO dar, weil die beigeordnete Rechtsanwältin ihn im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde, für das Vertretungszwang besteht (vgl § 73 Abs 4 Satz 1 SGG), seitdem nicht mehr wirksam vertreten und die Beiordnung damit ihren Zweck nicht weiter erfüllen kann (so schon BSG vom 23.12.2016 - B 10 ÜG 25/16 B - juris RdNr 21; BFH vom 19.3.2013 - XI S 2/13 ≪PKH≫ - juris RdNr 8).

2. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Beiordnung eines anderen Rechtsanwalts; ein solcher Anspruch stand ihm auch bei Eingang seines diesbezüglichen Antrags am 17.10.2022 nicht zu. Dabei kann dahinstehen, ob ausnahmsweise die engen Voraussetzungen (dazu etwa BSG vom 23.12.2016 - B 10 ÜG 25/16 B, juris RdNr 22; BFH vom 19.3.2013 - XI S 2/13 ≪PKH≫ - juris RdNr 10) eines solchen Anwaltswechsels erfüllt waren. Jedenfalls kam die Beiordnung eines neuen Prozessbevollmächtigten am letzten Tag der bereits verlängerten Beschwerdebegründungsfrist nicht in Betracht. Denn einem mit den umfangreichen Akten des Verfahrens nicht vertrauten Rechtsanwalt wäre es nicht möglich gewesen, noch am selben Tag nach eigenverantwortlicher Durchsicht und Gliederung des Streitstoffs eine Beschwerdebegründung zu erstellen. Dies wäre nur denkbar, wenn ein zugelassener Prozessbevollmächtigter (§ 73 Abs 4 SGG) einen vom Kläger selbst erstellten Entwurf übernommen und bei Gericht eingereicht hätte. Diese Vorgehensweise, auf die der klägerische Antrag möglicherweise abzielt, hätte indes den Anforderungen des Vertretungszwangs nicht genügt (stRspr; zuletzt BSG vom 25.8.2022 - B 9 SB 4/22 B - juris RdNr 9 mwN). Deshalb kann derjenige, dem ein Rechtsanwalt beigeordnet ist, von diesem auch nicht verlangen, einen Beschwerdebegründungsentwurf nach seinen Vorstellungen zu erstellen oder zu überarbeiten (vgl BGH vom 13.9.2013 - V ZR 136/13 - juris RdNr 4).

Auch eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich der Beschwerdebegründungsfrist wäre nach einem Anwaltswechsel nicht in Betracht gekommen. Sie wird nach § 67 Abs 1 SGG demjenigen gewährt, der ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Verfahrensfrist einzuhalten. Daran fehlt es hier schon deswegen, weil die vorliegende Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers fristgerecht begründet worden ist. Die von der dem Kläger im Wege der PKH beigeordneten Rechtsanwältin gefertigte Begründungsschrift ist am 16.10.2022 per beA form- und fristgerecht beim BSG eingegangen. Die zugelassene Vertreterin (§ 73 Abs 4 SGG) war hierzu vom Kläger mit Prozessvollmacht vom 19.7.2022 wirksam mandatiert worden. Der am 17.10.2022 erklärte Widerruf der Vollmacht wirkt nur ex nunc (vgl Schilken in Staudinger, BGB, 2019, § 168 RdNr 6), sodass die Geltung der zuvor vorgenommenen Prozesshandlungen davon unberührt bleibt. Fehlt es demnach schon an einer versäumten Rechtshandlung, kann diese auch nicht gemäß § 67 SGG nachgeholt werden.

Darüber hinaus ist aber auch kein Wiedereinsetzungsgrund vorgetragen oder nach Aktenlage ersichtlich. Anders als bei der Einhaltung der Beschwerdefrist, stand die Bedürftigkeit des Klägers der Fristwahrung nicht mehr entgegen, denn der Senat hatte ihm bereits mit Beschluss vom 1.7.2022 PKH bewilligt und Rechtsanwältin G beigeordnet. Auch der (beabsichtigte) Anwaltswechsel am Tag des Fristablaufs stellt für sich genommen keinen Grund dar, der das Verschulden des Beteiligten ausschließen würde (vgl zur Mandatsniederlegung BFH vom 10.11.2015 - VII B 91/15 - juris RdNr 2 mwN). Andernfalls wäre die Einhaltung der von Gesetzes wegen nur einmal verlängerbaren Beschwerdebegründungsfrist letztlich in das Belieben des Beschwerdeführers gestellt.

Nach Ablauf der verlängerten Begründungsfrist bestand auch im Übrigen kein Bedürfnis für eine anderweitige Beiordnung. Ihr Sinn und Zweck hatte sich erledigt; weiterer Vortrag des Klägers - etwa auf die Beschwerdeerwiderung des Beklagten replizierend - hätte seiner Beschwerde nicht zum Erfolg verhelfen können. Insoweit ist das sozialgerichtliche Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren in § 160a SGG anders ausgestaltet als dasjenige nach der FGO, das im Fall der Zulassung der Revision gemäß § 116 Abs 7 Satz 1 FGO als Revisionsverfahren fortgesetzt wird (dazu im Hinblick auf die mögliche Erledigung der Beiordnung nach Einlegung und Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde BFH vom 9.3.2016 - IV S 2/16 - juris RdNr 8).

3. Dem Kläger war antragsgemäß Wiedereinsetzung in die Versäumung der Frist zur Einlegung der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Bayerischen LSG vom 29.11.2021 zu gewähren, weil er ohne Verschulden an der Einhaltung dieser Frist gehindert war (§ 67 Abs 1 SGG). Ihm ist erst mit Beschluss des Senats vom 1.7.2022 PKH bewilligt und Rechtsanwältin G, K, beigeordnet worden. Daraufhin hat er, wirksam vertreten durch seine Prozessbevollmächtigte (§ 73 Abs 4 SGG) unverzüglich Beschwerde erhoben und Wiedereinsetzung beantragt.

4. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig, weil der allein geltend gemachte Zulassungsgrund eines Verfahrensmangels nicht in der gebotenen Weise bezeichnet wird (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG). Die Beschwerde ist daher ohne Zuziehung ehrenamtlicher Richter zu verwerfen (§ 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 SGG, § 169 SGG).

Nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist die Revision zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann. Wer eine Nichtzulassungsbeschwerde auf diesen Zulassungsgrund stützt, muss zu seiner Bezeichnung die diesen Verfahrensmangel des LSG (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dartun, also die Umstände schlüssig darlegen, die den entscheidungserheblichen Mangel ergeben sollen (stRspr; siehe bereits BSG vom 29.9.1975 - 8 BU 64/75 - SozR 1500 § 160a Nr 14; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl 2020, § 160a RdNr 16 mwN). Darüber hinaus ist aufzuzeigen, dass und warum die Entscheidung - ausgehend von der Rechtsansicht des LSG - auf dem Mangel beruhen kann, also die Möglichkeit der Beeinflussung des Urteils besteht (stRspr; vgl bereits BSG vom 18.2.1980 - 10 BV 109/79 - SozR 1500 § 160a Nr 36). Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht.

Die Beschwerde macht in erster Linie geltend, die Klage sei verfahrensfehlerhaft durch ein Prozessurteil anstelle eines Sachurteils abgewiesen worden (hierzu etwa BSG vom 15.4.2021 - B 4 AS 66/21 B - juris RdNr 2 mwN). Die Vorinstanzen seien zu Unrecht davon ausgegangen, dem Kläger fehle das Feststellungsinteresse für den zu Ziffer 44 gestellten Antrag und die von ihm erhobene Feststellungsklage sei nur subsidiär statthaft. Der Kläger habe in zulässiger Weise folgenden Antrag zur Entscheidung des Gerichts gestellt:

"Es wird festgestellt, dass die Beklagte trotz Wissens um die Obdachlosigkeit des Klägers vom 22.03.2010 bis 30.06.2013 unnötig und rechtswidrig die Notsituation des Klägers verschärft und verlängert hat, weil ihm rechtswidrig langzeitig Nachzahlungen vorenthalten wurde, die ihm aus dem BSG Urteil Az. B 4 AS 60/09 und dem Vergleich S 13 AS 1679/10 Sozialgericht Nürnberg zustanden, und vor diesem Hintergrund die weiteren Verhinderungen der Anmietung einer Wohnung als besonders schwere Rechtsverstöße zu werten sind und eine schwerstwiegende Verletzung der Pflicht zu rechtmäßigem Amtshandeln vorliegt."

Da die Beschwerdebegründung erkennen lässt, dass der Kläger im erstinstanzlichen Klageverfahren 57 Anträge gestellt hat, sich aber auf die Darstellung des zitierten Antrags Nr 44 beschränkt, fehlt es im Übrigen an der Bezeichnung eines Verfahrensmangels, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könnte. Werden innerhalb eines Klageverfahrens mehrere Streitgegenstände im Wege der objektiven Klagehäufung geltend gemacht, ist die Zulässigkeit von Rechtsmitteln hinsichtlich jedes Streitgegenstands grundsätzlich eigenständig zu beurteilen (siehe nur BSG vom 7.1.2020 - B 14 AS 137/19 B - juris RdNr 5 mwN). Dies ist dem Senat mangels entsprechenden Vortrags in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht für andere Begehren als den genannten Antrag nicht möglich.

Auch insoweit ist die Zulässigkeit der Klage indes nicht hinreichend dargetan. Zwar geht der Kläger im Ausgangspunkt zutreffend davon aus, dass der Grundsatz der Subsidiarität der Feststellungsklage auch im sozialgerichtlichen Verfahren gilt, obwohl er - anders als in § 43 Abs 2 VwGO und § 41 Abs 2 FGO - keinen ausdrücklichen Niederschlag im Gesetzeswortlaut gefunden hat, dass er gegenüber juristischen Personen des öffentlichen Rechts jedoch nur eingeschränkt anwendbar ist, da angenommen werden kann, dass solche Beklagte aufgrund ihrer verfassungsrechtlich verankerten Bindung an Gesetz und Recht (Art 20 Abs 3 GG) rechtskräftigen (feststellenden) Urteilen auch ohne Vollstreckungsdruck nachkommen (stRspr; zuletzt BSG vom 7.9.2022 - B 6 KA 10/21 R - juris RdNr 14 mwN - zur Veröffentlichung in SozR 4 vorgesehen). Auf diese Ausnahme kann sich indes nicht berufen, wer geltend macht, der Beklagte habe titulierte Forderungen (ua aus einem rechtskräftigen Urteil) nicht (in angemessener Zeit) erfüllt. Vor diesem Hintergrund wäre in der Beschwerdebegründung darzulegen gewesen, warum die Feststellungsklage in dieser besonderen Konstellation nicht gegenüber den jeweils gegebenen vollstreckungsrechtlichen Rechtsbehelfen subsidiär gewesen sein sollte.

Darüber hinaus lässt die Beschwerdebegründung auch ein berechtigtes Feststellungsinteresse des Klägers nicht hinreichend erkennen. Insoweit macht der Kläger geltend, er benötige fachgerichtlichen Rechtsschutz zur Vorbereitung einer beabsichtigten Amtshaftungsklage gegen den Beklagten. Angesichts der Regelung des § 839 Abs 3 BGB fehlt es aber an Vortrag, warum es dem Kläger nicht möglich gewesen sein sollte, den Schaden dadurch abzuwenden, die Zwangsvollstreckung gegen den Beklagten einzuleiten. Die Beschwerdebegründung geht auch nicht auf den Umstand ein, dass die im Antrag genannten Vollstreckungstitel ausschließlich Ansprüche auf laufende Geldleistungen aus dem seinerzeit zwischen den Beteiligten bestehenden Sozialleistungsverhältnis betreffen. Dies hätte es erforderlich gemacht, den durch die verzögerte Erfüllung der titulierten Forderungen durch den Beklagten verursachten Schaden zu konkretisieren. Auch wäre darzulegen gewesen, welcher Anwendungsbereich der Amtshaftung für einen solchen Verzugsschaden neben der Regelung des § 44 Abs 1 SGB I verbleiben kann, die Sozialleistungsträger verpflichtet, Ansprüche auf Geldleistungen nach Ablauf eines Kalendermonats nach dem Eintritt ihrer Fälligkeit bis zum Ablauf des Kalendermonats vor der Zahlung mit vier vom Hundert zu verzinsen.

Soweit die Beschwerde darüber hinaus sinngemäß auf eine Verletzung des § 123 SGG gestützt wird, sind die oben genannten Darlegungsanforderungen ebenfalls nicht erfüllt. Der Kläger macht geltend, das LSG hätte bei einer Auslegung seines Begehrens unter Berücksichtigung des Meistbegünstigungsgrundsatzes nicht von einer teilweisen Klagerücknahme im Berufungsverfahren ausgehen dürfen; er habe alle erstinstanzlich streitgegenständlichen Ansprüche weiterverfolgt. Die Beschwerdebegründung zeigt aber nicht auf, über welche Anträge das LSG - vermeintlich zu Unrecht - nicht entschieden hat.

Von einer weiteren Begründung wird abgesehen, weil diese nicht geeignet wäre, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen (§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).

5. Die Kostenentscheidung folgt aus einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Meßling

Burkiczak

B. Schmidt

 

Fundstellen

Dokument-Index HI15702571

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge