Entscheidungsstichwort (Thema)
Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung bei behaupteter Verfassungswidrigkeit einer Norm
Orientierungssatz
Zwar kann die Frage der Verfassungsmäßigkeit oder Verfassungswidrigkeit einer gesetzlichen Vorschrift die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache rechtfertigen. Jedoch reicht hierfür die bloße Behauptung einer Verfassungswidrigkeit der Vorschrift nicht aus. Vielmehr hat der Beschwerdeführer die zu entscheidende Rechtsfrage klar zu bezeichnen und darzulegen, welche Vorschrift des Grundgesetzes verletzt ist und aus welchen Gründen.
Normenkette
SGG § 160 Abs 2 Nr 1, § 160a Abs 2 S 3; GG
Verfahrensgang
LSG Baden-Württemberg (Entscheidung vom 06.09.1988; Aktenzeichen L 6 An 1418/86) |
Gründe
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Landessozialgerichts (LSG) Baden-Württemberg vom 6. September 1988 ist unzulässig.
Auf die Beschwerde ist die Revision ua zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 160 Abs 2 Nr 1 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-). In der Begründung der Beschwerde muß die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dargelegt werden (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG).
Diesen Anforderungen genügt die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin nicht.
Die Klägerin, die mit Wirkung vom 21. April 1982 in ein Beamtenverhältnis berufen wurde und seither in der gesetzlichen Rentenversicherung versicherungsfrei ist, begehrt eine Erstattung der Hälfte der mit Unterbrechungen in der Zeit vom 24. Januar 1980 bis 20. April 1982 zur Angestelltenversicherung entrichteten Pflichtbeiträge. Zusammen mit weiteren Zeiten einer nachversicherten Beschäftigung und des Bezuges von Arbeitslosengeld bzw Arbeitslosenhilfe legte sie eine Beitragszeit von insgesamt 42 Kalendermonaten zurück. Außerdem wurden im Zuge der Scheidung ihrer Ehe vom Rentenkonto ihres früheren Ehemannes auf ihr Rentenkonto Rentenanwartschaften in Höhe von monatlich 34,60 DM übertragen. Die Beklagte lehnte eine Beitragserstattung ab, weil sich die Zeit der Pflichtbeitragsleistung im Umfang von 42 Kalendermonaten wegen der Übertragung der Rentenanwartschaften um weitere 20 Kalendermonate erhöhe, damit für mehr als 60 Monate Beiträge entrichtet worden seien, die Klägerin deswegen zur freiwilligen Versicherung berechtigt sei (§ 10 Abs 1a des Angestelltenversicherungsgesetzes -AVG-) und dies eine Beitragserstattung ausschließe (§ 82 Abs 1 Satz 1 AVG).
Das LSG hat die Berufung der Klägerin gegen das ihre Klage abweisende Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 30. Januar 1986 zurückgewiesen und zur Begründung im wesentlichen ausgeführt, dem Erstattungsbegehren stehe § 82 Abs 10 AVG idF des Art 4 Nr 2 Buchst c) des Ersten Gesetzes zur Reform des Ehe- und Familienrechts vom 14. Juni 1976 (BGBl I S 1421; = 1. EheRG) entgegen. Die Voraussetzungen der Vorschrift seien unter Berücksichtigung der aus den im Versorgungsausgleich übertragenen Rentenanwartschaften gemäß § 83a Abs 5 AVG ermittelten Kalendermonate erfüllt. Der in § 82 Abs 10 AVG geregelte Ausschluß der Beitragserstattung für versicherungsfreie Beamte sei im Hinblick darauf, daß ihnen das Recht zur freiwilligen Versicherung zustehe, verfassungsrechtlich unbedenklich.
Die Klägerin macht als Zulassungsgrund eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend. Sie befinde sich in der besonderen rechtlichen Situation, daß sie nur infolge der Durchführung des Versorgungsausgleichs die 60-monatige Wartezeit erfülle, gleichzeitig aber durch ihren Beamtenstatus Pensionsansprüche erwerbe, auf welche ein zukünftiger Rentenanspruch angerechnet werde, und zusätzlich ihr Anspruch auf Beitragserstattung entfalle. Damit führe § 83a Abs 5 AVG den Sinn des Versorgungsausgleichs ad absurdum, sobald gleichzeitig Pensionsansprüche bestünden. Das vorliegende Ergebnis sei überdies unvereinbar mit den Gedanken der Rechtsstaatlichkeit und der verfassungsrechtlich garantierten Gleichbehandlung und könne vom Gesetzgeber nicht gewollt sein. Das LSG hätte unter Berücksichtigung dieser Situation zu dem Ergebnis kommen müssen, daß die im Versorgungsausgleich übertragenen Rentenanwartschaften nicht zum Verlust des Erstattungsanspruchs führen dürften.
Mit diesen Ausführungen ist eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nicht dargelegt worden. Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtsfrage ua nur dann, wenn sie klärungsbedürftig ist. Nicht klärungsbedürftig ist eine Rechtsfrage, deren Beantwortung sich unmittelbar aus dem Gesetz ergibt (BSG SozR 1300 § 13 Nr 1). Ist dies der Fall, hat der Beschwerdeführer, der der Rechtsfrage gleichwohl eine grundsätzliche Bedeutung beimißt, in der Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde im einzelnen darzulegen, in welchem Umfang, von welcher Seite und aus welchen Gründen die Beantwortung der Rechtsfrage umstritten ist (vgl BSG SozR 1500 § 160 Nr 17; § 160a Nr 59).
Aus § 82 Abs 10 AVG idF des 1. EheRG ergibt sich unmißverständlich, daß eine Beitragserstattung nicht an Versicherte erfolgt, die ua (wie die Klägerin) nach § 6 Abs 1 Nr 3 AVG versicherungsfrei sind, wenn die Wartezeit von 60 Kalendermonaten durch die sich nach § 83a Abs 5 AVG ergebende Zahl an Monaten allein oder zusammen mit Beitragszeiten erfüllt ist. Demnach sind die durch Umrechnung aus Werteinheiten gemäß § 83a Abs 5 AVG ermittelten Kalendermonate in die eine Beitragserstattung ausschließende Wartezeit von 60 Kalendermonaten einzubeziehen und auf diese Weise die im Versorgungsausgleich übertragenen Rentenanwartschaften zu berücksichtigen. Daß, von welcher Seite und mit welchen Gründen diese sich schon und allein aus dem Gesetz ergebende Rechtsfolge in Zweifel gezogen worden und umstritten ist, ist der Beschwerdebegründung nicht zu entnehmen. Die Klägerin ist vielmehr im Ergebnis der Ansicht, § 82 Abs 10 AVG dürfe dann nicht angewendet werden, wenn der erstattungsbegehrende Versicherte einen beamtenrechtlichen Versorgungsanspruch erworben habe, auf den im Leistungsfalle ein Rentenanspruch aus der gesetzlichen Rentenversicherung angerechnet werde. Dann aber hätte sie sich notwendigerweise einmal mit der Frage auseinandersetzen müssen, ob überhaupt eine Vorschrift zwingenden Rechts (hier: § 82 Abs 10 AVG) von den Versicherungsträgern und den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit außer Betracht gelassen werden darf. Zum anderen hätte es angesichts des § 55 Abs 1 Satz 3 des Beamtenversorgungsgesetzes (BeamtVG), wonach ua Rentenerhöhungen aufgrund der Übertragung oder Begründung von Rentenanwartschaften nach § 1587b des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) bei der Anrechnung einer Rente auf beamtenrechtliche Versorgungsbezüge unberücksichtigt bleiben, der Darlegung bedurft, daß dementgegen im Leistungsfalle auch der auf den übertragenen Anwartschaften beruhende Teil der gesetzlichen Rente auf die beamtenrechtlichen Versorgungsbezüge der Klägerin angerechnet werden wird. Zu diesen rechtlichen Gesichtspunkten enthält die Beschwerdebegründung keine Ausführungen.
Den Anforderungen an die Darlegung einer grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache entsprechen auch nicht die Ausführungen der Klägerin, daß das vorliegende Ergebnis unvereinbar mit den Gedanken der Rechtsstaatlichkeit und der verfassungsrechtlich garantierten Gleichbehandlung sei. Zwar kann die Frage der Verfassungsmäßigkeit oder Verfassungswidrigkeit einer gesetzlichen Vorschrift die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache rechtfertigen. Jedoch reicht hierfür die bloße Behauptung einer Verfassungswidrigkeit der Vorschrift nicht aus. Vielmehr hat der Beschwerdeführer die zu entscheidende Rechtsfrage klar zu bezeichnen und darzulegen, welche Vorschrift des Grundgesetzes verletzt ist und aus welchen Gründen (BSGE 40, 158, 159 f = SozR 1500 § 160a Nr 11; BSG SozR aaO Nr 17; dazu auch BVerfG SozR aaO Nr 45). Das ist mit dem nicht näher begründeten Hinweis auf eine verfassungsrechtliche Unvereinbarkeit des "vorliegenden Ergebnisses" nicht geschehen.
Die Nichtzulassungsbeschwerde ist nach alledem mangels formgerechter Darlegung eines Zulassungsgrundes in entsprechender Anwendung des § 169 Satz 3 SGG als unzulässig zu verwerfen.
Die Kostenentscheidung ergeht in entsprechender Anwendung des § 193 Abs 1 SGG.
Fundstellen