Entscheidungsstichwort (Thema)
Verletzung der Sachaufklärungspflicht
Orientierungssatz
Das Gericht ist in der Würdigung der Sachverständigengutachten grundsätzlich frei; es kann auch ohne Einholung eines weiteren Gutachtens von ihnen abweichen.
Normenkette
SGG § 160 Abs 2 Nr 3, § 160a Abs 2 S 3, § 103 S 1
Verfahrensgang
Bayerisches LSG (Entscheidung vom 05.04.1989; Aktenzeichen L 2 U 232/85) |
Gründe
Die beklagte Berufsgenossenschaft sowie die Vorinstanzen haben dem Begehren der Klägerin, ihr Witwenrente zu gewähren, nicht stattgegeben (Bescheid vom 23. Februar 1981 und Widerspruchsbescheid vom 26. Mai 1981; Urteile des Sozialgerichts Augsburg vom 4. Februar 1982 und 25. Juni 1985 sowie Urteile des Bayerischen Landessozialgerichts -LSG- vom 2. Februar 1983 und 5. April 1989).
Mit der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision macht die Klägerin als wesentlichen Verfahrensmangel geltend, das LSG habe seine Pflicht zur Amtsermittlung (§ 103 Sozialgerichtsgesetz -SGG-) verletzt, indem es dem in der mündlichen Verhandlung hilfsweise gestellten Beweisantrag, ein Obergutachten einzuholen, ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt sei. Darauf beruhe das Berufungsurteil.
Die Beschwerde ist nicht begründet.
Nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist die Revision nur zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung der §§ 109 (Anhörung eines bestimmten Arztes) und 128 Abs 1 Satz 1 SGG (Entscheidung nach freier, aus dem Gesamtergebnis gewonnener Überzeugung des Gerichtes) und auf eine Verletzung des § 103 SGG (Amtsermittlungspflicht des LSG) nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. In der Beschwerdebegründung muß nach § 160a Abs 2 Satz 3 SGG der Verfahrensmangel bezeichnet werden.
Entgegen der Beschwerde liegt eine Verletzung der dem LSG nach § 103 SGG obliegenden Sachaufklärungspflicht nicht vor. Das LSG brauchte sich nicht gedrängt zu fühlen, ein "Obergutachten" einzuholen. Das Gericht ist in der Würdigung der Sachverständigengutachten grundsätzlich frei; es kann auch ohne Einholung eines weiteren Gutachtens von ihnen abweichen (Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 11. Aufl, Bd I/2 S 244o II mwN). Dann ist das Gericht aber gehalten, sich mit dem Gutachten, dem es nicht folgt, eingehend auseinanderzusetzen (BSG SGb 1968, 325).
Dementsprechend ist das LSG verfahren. Es hat sämtliche Sachverständigengutachten, die im Laufe des gerichtlichen Verfahrens eingeholt worden und auch einschlägig sind, ersichtlich verwertet und im einzelnen dargelegt, weshalb es den Ausführungen des Sachverständigen Prosektor Dr. B., Arzt für Pathologie und Oberarzt am Pathologischen Institut des Zentralklinikums A. (Gutachten vom 9. Januar/12. Juni 1984), des nach § 109 SGG gehörten Sachverständigen Facharzt für Neurochirurgie Prof. Dr. G., Zentralklinikum A. (Gutachten vom 11. April 1985) und des Sachverständigen Internist und Röntgenologe Dr. W. (Gutachten vom 26. Januar 1989) dahin gefolgt ist, daß der Tod des Ehemannes der Klägerin (des Versicherten) nicht mit Wahrscheinlichkeit Folge der Arbeitsunfälle vom 17. Juli 1971 und vom 8. Mai 1979 ist. Das Berufungsgericht hat desweiteren eingehend dargelegt, weshalb den Ausführungen des nach § 109 SGG gehörten Sachverständigen Dr. Br., Oberarzt der I. Chirurgischen Klinik des Krankenhaus-Zweckverbandes A. - Zentralklinikum - (Gutachten vom 2. März 1988), nicht zu folgen sei. Für seine Überzeugungsbildung war wichtig, daß Dr. Br. zwar den ursächlichen Zusammenhang zwischen dem Arbeitsunfall vom 8. Mai 1979 und dem Tod des Versicherten bejahte, indem er die als Todesursache in Betracht kommende Wadenvenenthrombose auf die durch den Arbeitsunfall erlittene Unterschenkelkontusion zurückführte. Nach der von diesem Sachverständigen gewählten Wortwahl "die Wadenvenenthrombose kann durchaus durch die Quetschverletzung der Unterschenkel entstanden sein", "bei der Quetschverletzung könne auch die Wand der Adern mitverletzt werden" und "man könne auch den Standpunkt vertreten, daß die Wadenvenenthrombose durch die am 8. Mai 1979 aufgetretene Quetschverletzung entstanden sei", durfte das LSG verfahrensfehlerfrei davon ausgehen, daß damit der wahrscheinliche Ursachenzusammenhang zwischen Unfall und Tod nicht zu belegen ist. Dies gilt umso mehr, als der Sachverständige Dr. Br. im Gutachtensauftrag vom 6. Oktober 1987 (Abschnitt II Beweisfragen) eingehend über den Begriff "Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs" belehrt worden war.
Auch unter Würdigung des Revisionsvorbringens der Klägerin ist nicht ersichtlich, daß die Sachverständigengutachten, auf die das LSG seine ablehnende Entscheidung gestützt hat, schwere Mängel aufweisen, in sich widersprüchlich sind, von unzulässigen Voraussetzungen ausgehen oder Zweifel an der Sachkunde oder Sachlichkeit der Sachverständigen erwecken. Nur unter diesen Voraussetzungen wäre das Berufungsgericht verpflichtet gewesen, ein weiteres Gutachten einzuholen. Zu einer weiteren Gutachteneinholung besteht auch dann kein Anlaß, wenn - wie hier - nach den gerichtlichen Feststellungen die anspruchsbegründenden Tatsachen nicht erweislich sind und dies nach dem im sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Grundsatz der objektiven Beweislast zu Lasten der Klägerin geht, weil sie daraus ein Recht herleiten will (Brackmann aaO S 244m I ff mwN). Weiterer Ermittlungen über die eigentliche Todesursache bedarf es entgegen der Meinung der Klägerin nicht. Die Sachaufklärung nach § 103 SGG hat sich allein darauf zu erstrecken, ob der Tod durch den Arbeitsunfall mit Wahrscheinlichkeit verursacht ist. Ist dies zu verneinen oder muß diese Frage offen bleiben, hat es damit sein Bewenden.
Die Beschwerde war nach alledem zurückzuweisen. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen