Entscheidungsstichwort (Thema)
Unzulässigkeit einer zweckwidrigen Anhörungsrüge. Geltendmachung der inhaltlichen Unrichtigkeit der Entscheidung. sozialgerichtliches Verfahren. Anhörungsrüg. Zulässigkeit. Rechtliches Gehör. Verletzung. Inhaltliche Unrichtigkeit
Leitsatz (redaktionell)
1. Für eine zulässige Anhörungsrüge bedarf es einer in sich schlüssigen Darstellung, dass eine Verletzung des rechtlichen Gehörs in entscheidungserheblicher Weise vorliege
2. Soweit die zur Begründung der vermeintlichen Gehörsverletzung gemachten Ausführungen nur darauf abzielen, die Richtigkeit einer angegriffenen Entscheidung zu beanstanden, verfehlt dies den Zweck der Anhörungsrüge und macht sie insgesamt unzulässig.
Orientierungssatz
Eine Anhörungsrüge ist unzulässig, wenn die zu ihrer Begründung vorgebrachten Ausführungen ausschließlich dazu dienen, die inhaltliche Richtigkeit der ergangenen Entscheidung in Frage zu stellen.
Normenkette
SGG § 178a Abs. 2 S. 5, Abs. 4 S. 1, § 62
Verfahrensgang
Tenor
Die Anhörungsrüge der Klägerin gegen den Beschluss des Senats vom 2. Dezember 2015 - B 9 V 12/15 B - wird als unzulässig verworfen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
I. Die Klägerin ist die Tochter und Rechtsnachfolgerin des 1901 geborenen und 1987 verstorbenen S. L. Sie begehrt weitere Geldleistungen aus der Beschädigtenversorgung ihres verstorbenen Vaters.
Mit Urteil vom 21.1.2015 (L 13 VH 5/13) hat das LSG den Beklagten verurteilt, der Klägerin nach ihrem Vater für die Zeit vom 1.1.1982 bis zum 31.5.1987 Schwerstbeschädigtenzulage nach Stufe V zu zahlen und die Klage im Übrigen, dh bezogen auf den davor liegenden Anspruchszeitraum, vollumfänglich abgewiesen.
Mit ihrer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im genannten Urteil des LSG hat die Klägerin die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache, eine Divergenz sowie Verfahrensfehler gerügt.
Mit Beschluss vom 2.12.2015 hat der Senat die Beschwerde der Klägerin als unbegründet zurückgewiesen. Die von der Klägerin behauptete Gehörsverletzung durch das LSG in Form einer Überraschungsentscheidung liege nicht vor, weil das LSG zuvor in der mündlichen Verhandlung die Sach- und Rechtslage ausführlich erörtert habe. Ein erheblicher Grund für die von der Klägerin in der mündlichen Verhandlung hilfsweise beantragte Vertagung habe ebenfalls nicht bestanden. Soweit die Klägerin zu der vom LSG bejahten Verjährung ausführen lasse und in diesem Zusammenhang eine Reihe grundsätzlich bedeutsamer Rechtsfragen sowie eine Abweichung des LSG von der Rechtsprechung des BSG zu erkennen meine, fehle die Darlegung, warum diese Fragen entscheidungserheblich sein sollten.
Mit ihrer dagegen fristgerecht erhobenen umfangreichen Anhörungsrüge rügt die Klägerin, der Senatsbeschluss verletze ihren Anspruch auf rechtliches Gehör.
II. Die Anhörungsrüge der Klägerin ist unzulässig und daher nach § 178a Abs 4 S 1 Alt 2 SGG zu verwerfen. Die Klägerin hat die Rüge nicht in der gesetzlich vorgeschriebenen Form erhoben, weil sie entgegen § 178a Abs 2 S 5 SGG schon keine konkreten Umstände dargetan hat, aus denen sich eine Gehörsverletzung ergeben könnte.
Nach § 178a Abs 1 S 1 SGG ist auf die Rüge eines durch eine gerichtliche Entscheidung beschwerten Beteiligten das Verfahren fortzuführen, wenn ein Rechtsmittel oder ein anderer Rechtsbehelf gegen die Entscheidung nicht gegeben ist (Nr 1) und das Gericht den Anspruch dieses Beteiligten auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat (Nr 2). Die Rüge muss nach § 178a Abs 2 S 5 SGG die angegriffene Entscheidung bezeichnen und das Vorliegen der in Abs 1 S 1 Nr 2 genannten Voraussetzungen darlegen. Bereits an dieser Darlegung fehlt es.
Art 103 Abs 1 GG verpflichtet ebenso wie § 62 SGG die Gerichte, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Das Gebot der Gewährung rechtlichen Gehörs soll als Prozessgrundrecht sicherstellen, dass die Entscheidung frei von Fehlern ergeht, welche ihren Grund in unterlassener Kenntnisnahme und Nichtberücksichtigung des Sachvortrags der Beteiligten haben. Dieses Gebot verpflichtet die Gerichte allerdings nicht, der Rechtsansicht eines Beteiligten zu folgen (vgl BVerfG ≪Kammer≫ vom 4.9.2008 - 2 BvR 2162/07, 2 BvR 2271/07 - BVerfGK 14, 238, 241 f = WM 2008, 2084 f unter Hinweis auf BVerfGE 64, 1, 12 und BVerfGE 87, 1, 33 = SozR 3-5761 Allg Nr 1 S 4). Ebenso wenig brauchen sie jedes Vorbringen eines Beteiligten ausdrücklich zu bescheiden; es muss nur das Wesentliche der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung dienende Vorbringen in den Entscheidungsgründen verarbeitet werden (stRspr des BVerfG, s zB BVerfG ≪Kammer≫ vom 20.2.2008 - 1 BvR 2722/06 - BVerfGK 13, 303, 304 f = Juris RdNr 9 ff mwN; vgl auch zB BVerfGK 7, 485, 488). Für eine zulässige Anhörungsrüge bedarf es daher nach § 178a Abs 2 S 5 SGG einer in sich schlüssigen Darstellung, dass trotz der genannten Grenzen des Prozessgrundrechts eine Verletzung des rechtlichen Gehörs in entscheidungserheblicher Weise vorliege (BSG Beschluss vom 26.10.2012 - B 6 KA 3/12 C - Juris). Soweit dagegen die zur Begründung der vermeintlichen Gehörsverletzung gemachten Ausführungen nur darauf abzielen, die Richtigkeit einer angegriffenen Entscheidung zu beanstanden, verfehlt dies den Zweck der Anhörungsrüge und macht sie insgesamt unzulässig (Frehse in Jansen, SGG, 4. Aufl 2012, § 178a RdNr 34 mwN).
Daraus folgt die Unzulässigkeit der von der Klägerin erhobenen Anhörungsrüge. Denn sie wiederholt, variiert und ergänzt mit ihrer Rüge lediglich ihren Vortrag aus der vorangegangenen Nichtzulassungsbeschwerde, insbesondere zu ihrem erfolglos gebliebenen Vertagungsantrag beim LSG. Die Klägerin setzt sich dabei mit dem von ihr für falsch gehaltenen Senatsbeschluss argumentativ in der Art einer Rechtsmittelschrift auseinander. Ihre Ausführungen zur Begründung einer Gehörsverletzung zielen letztlich darauf ab, die Richtigkeit der angegriffenen Entscheidung zu beanstanden. Dies belegt etwa ihre vielfache inhaltliche Kritik an der Rechtsauffassung und -anwendung des Senats, der aus ihrer Sicht zB das Rangverhältnis prozessualer Bestimmungen verkannt, nicht ausreichend zwischen abstrakter Möglichkeit und konkreter Obliegenheit unterschieden, "unannehmbar" argumentiert und "inhaltsleere Floskeln" verwendet hat. Davon zeugen weiter Formulierungen der Anhörungsrüge wie diejenige, der Senat habe sich mit der gerügten Gehörsverletzung durch das LSG - insbesondere durch das vermeintliche vollständige Übergehen des Vertagungsantrags der Klägerin - "bisher nicht ausreichend auseinander gesetzt" bzw habe die vorgetragenen Umstände "bisher nicht ausreichend berücksichtigt", "werde den Tatsachen nicht gerecht", "unterstelle" zu Unrecht eine konkludente Ablehnung des Vertagungsantrags der Klägerin durch das LSG, "verfehle das entscheidende Argument der Klägerin" und dergleichen mehr. Für eine solche inhaltliche Auseinandersetzung mit einem unanfechtbaren Senatsbeschluss, der sich zuvor bereits eingehend mit dem Vortrag der Klägerin beschäftigt hat, ohne substantiierte Darlegung der Umstände einer Gehörsverletzung ist im Verfahren der Anhörungsrüge nach § 178a SGG kein Raum. Denn diese Rüge eröffnet kein weiteres Rechtsmittel gegen die unanfechtbare Zurückweisung der Nichtzulassungsbeschwerde, sondern dient allein der Selbstkorrektur des Gerichts, falls es den Gehörsanspruch - insbesondere versehentlich - verletzt haben sollte. Dafür ist hier indes nichts dargetan oder ersichtlich, weshalb die Rüge insgesamt nach § 178a Abs 4 S 1 SGG als unzulässig zu verwerfen war.
Die Kostenentscheidung ergibt sich in entsprechender Anwendung aus § 193 SGG.
Der Beschluss über die Anhörungsrüge ist unanfechtbar, § 178a Abs 4 S 3 SGG.
Fundstellen