Leitsatz (amtlich)

1. ZPO § 78a findet auch im sozialgerichtlichen Verfahren Anwendung.

2. War ein Beteiligter an der rechtzeitigen Revisionseinlegung dadurch verhindert, dass er keinen zu seiner Vertretung bereiten Rechtsanwalt finden konnte, so ist die Fristversäumnis nur dann unverschuldet, wenn er noch innerhalb der Revisionsfrist beim Revisionsgericht einen Antrag nach ZPO § 78a gestellt hat.

 

Normenkette

ZPO § 78a Fassung: 1959-08-01; SGG § 202 Fassung: 1953-09-03, § 67 Fassung: 1953-09-03

 

Tenor

1.) Der Antrag des Klägers, ihm gegen die Versäumung der Revisionsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wird abgelehnt.

2.) Die Revision des Klägers vom 2. Juni 1960 gegen das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 16. Dezember 1959 wird als unzulässig verworfen.

3.) Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

Der Kläger hat gegen das ihm am 16. Januar 1960 zugestellte Urteil des Landessozialgerichts (LSG) Rheinland-Pfalz vom 16. Dezember 1959 am 13. Februar 1960 mit einem von ihm selbst unterzeichneten Schreiben Revision eingelegt. Der erkennende Senat hat diese Revision mit Beschluß vom 6. Mai 1960 wegen Nichtbeachtung des Vertretungszwanges (§ 166 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -) als unzulässig verworfen. Mit einem am 2. Juni 1960 eingegangenen Schriftsatz vom 31. Mai 1960 beantragt der Kläger durch einen Prozeßbevollmächtigten, ihm Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Er begründet seinen Antrag damit, daß er als Rechtsunkundiger nicht gerügt habe, daß die Revision der Unterschrift eines zugelassenen Prozeßbevollmächtigten bedürfe und daß er geglaubt habe, auf seinen Antrag in der Revisionsschrift vom 11. Februar 1960 werde ihm gemäß § 78a der Zivilprozeßordnung (ZPO) von Amts wegen ein Rechtsanwalt beigeordnet, da er nicht schlechter gestellt werden dürfe als eine arme Partei. Zugleich hat der Prozeßbevollmächtigte des Klägers Revisionsantrag gestellt und später die Revisionsbegründung vorgelegt.

Nach § 67 SGG ist einem Beteiligten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn er ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Verfahrensfrist einzuhalten. Das ist auch dann noch möglich, wenn die Revision bereits wegen Fristversäumnis als unzulässig verworfen worden ist (SozR SGG § 67 Bl. Da 3 Nr. 6). Der Kläger hat indes die Revisionsfrist nicht ohne Verschulden versäumt.

Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) ist ein Gesuch um Bewilligung des Armenrechts rechtzeitig gestellt, wenn es vor Ablauf der Revisionsfrist beim BSG eingeht (SozR SGG § 167 Bl. Da 1 Nr. 1). Damit ist der Gleichbehandlung armer und nicht armer Beteiligter Rechnung getragen. Denn wenn ein Beteiligter infolge Armut, also unverschuldet nicht in der Lage ist, rechtzeitig durch einen zugelassenen Prozeßbevollmächtigten Revision einzulegen, so muß er jedenfalls innerhalb der Revisionsfrist alles tun, um für die notwendige Vertretung im Armenrecht zu sorgen. Andernfalls ist die Versäumung der Revisionsfrist nicht mehr als unverschuldet anzusehen und kann gegen die Versäumnis dieser Frist keine Wiedereinsetzung gewährt werden. Der Antrag des Klägers vom 11. Februar 1960 - "falls ein Rechtsanwalt erforderlich, bitte ich um Beiordnung nach § 167 SGG" - ist vom erkennenden Senat als Armenrechtsantrag gewertet worden; er konnte auch nur in diesem Sinne verstanden werden, weil im § 167 SGG, auf den der Kläger Bezug nahm, das Armenrecht für das Revisionsverfahren geregelt ist. Der Kläger hat dann dadurch, daß er die Vorlage des Armutszeugnisses ablehnte, selbst zu erkennen gegeben, daß er nicht arm ist. Sein Antrag auf Bewilligung des Armenrechts war damit gegenstandslos geworden.

Aus den gleichen Gründen der Gleichbehandlung muß von dem Prozeßbeteiligten, der an einer rechtzeitigen Revisionseinlegung dadurch gehindert war, daß er einen zu seiner Vertretung bereiten Rechtsanwalt nicht finden konnte, gefordert werden, daß er noch innerhalb der Rechtsmittelfrist beim Revisionsgericht Antrag auf Beiordnung eines Rechtsanwalts gemäß § 78a ZPO stellt. Diese erst durch § 230 der Bundesrechtsanwaltsordnung vom 1. August 1959 (BGBl I, 565) in die ZPO eingefügte Vorschrift findet gemäß § 202 SGG auch im Revisionsverfahren der Sozialgerichtsbarkeit Anwendung, weil grundsätzliche Unterschiede des SGG gegenüber der ZPO einer analogen Anwendung dieser Bestimmung nicht entgegenstehen. Außerdem stellt § 202 nicht auf eine bestimmte Fassung, sondern auf die ZPO schlechthin und damit auf ihre jeweils gültige Fassung ab (vgl. Peters/Sautter/Wolff, Komm. z. SGG § 202 Anm. 4).

Im vorliegenden Fall hat es der Kläger unterlassen, vor Ablauf der Revisionsfrist einen entsprechenden Antrag einzubringen. Das Armenrechtsgesuch enthält keinen Hinweis darauf, daß er keinen zu seiner Vertretung bereiten Prozeßbevollmächtigten gefunden habe. Auch aus dem, überdies erst nach Ablauf der Revisionsfrist eingegangenen, Schriftsatz vom 10. März 1960 geht dies nicht hervor: Es heißt dort nur, daß dem Kläger kein beim BSG zugelassener Prozeßbevollmächtigter "bekannt sei". Aus der Rechtsmittelbelehrung des angefochtenen Urteils mußte der Kläger aber wissen, daß jeder bei einem deutschen Gericht zugelassene Rechtsanwalt zur Vertretung vor dem BSG berechtigt ist. Weder in den Schriftsätzen des Klägers vom 10. März 1960, 1. April 1960 und 21. April 1960 noch im Wiedereinsetzungsantrag ist endlich behauptet und glaubhaft gemacht (§ 67 Abs. 2 SGG), daß der Kläger vor Ablauf der Revisionsfrist sich überhaupt um einen Prozeßbevollmächtigten bemüht und daß er lediglich keinen zu seiner Vertretung bereiten Rechtsanwalt gefunden habe.

Der Kläger hat somit die Revisionsfrist nicht ohne Verschulden versäumt, denn er hat bei der Rechtsmitteleinlegung die von einem Prozeßbeteiligten zu fordernde Sorgfalt nicht aufgewendet. Sein Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Revisionsfrist konnte daher auch unter Berücksichtigung des § 78a ZPO keinen Erfolg haben.

Die erst nach Fristablauf von einem zugelassenen Prozeßbevollmächtigten eingelegte Revision war deshalb als unzulässig zu verwerfen (§ 169 SGG). Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

NJW 1962, 838

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