Entscheidungsstichwort (Thema)
Anforderungen an die Revisionsbegründung
Leitsatz (amtlich)
Hat das LSG die Berufung des Revisionsklägers als unzulässig verworfen, ist die Revisionsbegründung nicht formgerecht, wenn der Revisionskläger in ihr nur materiell-rechtliche Rügen erhebt.
Orientierungssatz
1. § 164 Abs 2 S 3 umschreibt den Inhalt einer Revisionsbegründung nicht erschöpfend; er gibt für sie keine umfassende Definition, sondern stellt bestimmte wesentliche Einzelerfordernisse auf. Zu ihnen treten weitere - in Satz 1 vorausgesetzte - Erfordernisse hinzu, die sich aus der Pflicht zur Begründung allgemein und aus dem Sinn und Zweck der nur durch Prozeßbevollmächtigte iS des § 166 SGG vornehmbaren Revisionsbegründung im besonderen ergeben (vgl BSG vom 16.12.1981 11 RA 86/80 = SozR 1500 § 164 Nr 20 mit Hinweisen).
2. Der Prozeßbevollmächtigte hat sich mit den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils zumindest kurz auseinanderzusetzen und - bei materiell-rechtlichen Rügen - darzutun, daß und warum eine revisible Rechtsvorschrift auf den festgestellten Sachverhalt nicht oder nicht richtig angewandt worden ist (§ 550 ZPO); dies kann nur mit rechtlichen Erwägungen geschehen, die sich auf die betreffende Vorschrift beziehen (vgl BSG vom 2.1.1979 11 RA 54/78 = SozR 1500 § 164 Nr 12).
Normenkette
SGG § 174 Abs 2 S 1 Fassung: 1974-07-30, § 164 Abs 2 S 3 Fassung: 1974-07-30; ZPO § 550
Verfahrensgang
Gründe
Die Beteiligten streiten um die Höhe der Kosten im Vorverfahren.
Nach einem für die Klägerin erfolgreichen Widerspruchsverfahren setzte ihr Prozeßbevollmächtigter seine Aufwendungen auf insgesamt 300,12 DM fest. Die Beklagte gewährte mit Bescheid vom 13. Oktober 1981 jedoch nur 210,66 DM. Widerspruch und Klage blieben erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 2. Juli 1982, Urteil des Sozialgerichts (SG) vom 23. Mai 1984. Die Berufung gegen sein Urteil hat das SG nicht zugelassen. Die gleichwohl von der Klägerin eingelegte Berufung, mit der sie die Erstattung von 245,-- DM begehrte, hat das Landessozialgericht (LSG) unter Hinweis auf § 144 Abs 1 Nr 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) als unzulässig verworfen (Urteil vom 10. September 1984).
Mit der vom LSG zugelassenen Revision bringt die Klägerin vor, es ginge um einen als lächerlich gering zu bezeichnenden Differenzbetrag. Die Aufwendungen im Widerspruchsverfahren müßten als ein Ganzes behandelt werden; den größten Posten machten Übersetzungskosten aus. Zwecks Vermeidung weiterer Kosten möge das Bundessozialgericht (BSG) einen Vergleichsvorschlag unterbreiten.
Die Revision war gemäß § 169 SGG als unzulässig zu verwerfen, weil ihre Begründung den Anforderungen des Gesetzes nicht genügt.
Hinsichtlich der Revisionsbegründung bestimmt § 164 Abs 2 SGG in seinem Satz 1 allgemein, daß die Revision in der dort genannten Frist zu begründen ist und in seinem Satz 3, daß die Begründung einen bestimmten Antrag enthalten, die verletzte Rechtsnorm sowie bei der Verfahrensrüge die Tatsachen, die den Mangel ergeben, bezeichnen muß.
Hier ist schon zweifelhaft, ob die an einen Revisionsantrag iS des Satzes 3 zu stellenden Mindestbedingungen erfüllt sind. Denn ein förmlicher Antrag ist weder in der Revisionseinlegungs- noch in der Revisionsbegründungsschrift enthalten; aus den innerhalb der Begründungsfrist - zur Sache - gebrachten Ausführungen lassen sich Umfang und Ziel der Revision allenfalls bei Anlegung eines großzügigen Maßstabes entnehmen. Auch wird aus dem Vortrag nicht eindeutig klar, welche Rechtsnorm die Klägerin als verletzt ansieht; nach SozR 1500 § 164 Nr 5 (mit weiteren Hinweisen) bedarf es insoweit zumindest einer Darlegung der Gründe, die das angefochtene Urteil als unrichtig erscheinen lassen. Einer abschließenden Prüfung zu diesen beiden Punkten ist der Senat indes enthoben. Vorliegend mangelt es in jedem Falle an einer Begründung der Revision iS von § 164 Abs 2 Satz 1 SGG, aus deren Fehlen allein sich die Unzulässigkeit des Rechtsmittels schon herleiten läßt.
Der erkennende Senat hat bereits mehrfach dargelegt (SozR 1500 § 164 Nrn 12 und 20; Beschluß vom 17. Januar 1980 - 11 RJz 6/79; Urteil vom 13. Oktober 1983 - 11 RAz 3/82), daß der Satz 3 des § 164 Abs 2 SGG den Inhalt einer Revisionsbegründung nicht erschöpfend umschreibt; er gibt für sie keine umfassende Definition, sondern stellt bestimmte wesentliche Einzelerfordernisse auf. Zu ihnen treten weitere - in Satz 1 vorausgesetzte - Erfordernisse hinzu, die sich aus der Pflicht zur Begründung allgemein und aus dem Sinn und Zweck der nur durch Prozeßbevollmächtigte iS des § 166 SGG vornehmbaren Revisionsbegründung im besonderen ergeben (SozR aaO Nr 20 mit Hinweisen). So betrachtet muß die Begründung nicht nur erkennen lassen, daß der Prozeßbevollmächtigte das angefochtene Urteil im Hinblick auf das Rechtsmittel der Revision überprüft und die Rechtslage daraufhin genau durchdacht hat, sondern die Begründung muß auch sichtbar machen, aus welchen Gründen die Vorentscheidung angegriffen wird und ihre Aussagen für unrichtig angesehen werden (BFHE 88, 230; 101, 356; 121, 19). Dementsprechend hat sich der Prozeßbevollmächtigte mit den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils zumindest kurz auseinanderzusetzen und - bei materiellrechtlichen Rügen - darzutun, daß und warum eine revisible Rechtsvorschrift auf den festgestellten Sachverhalt nicht oder nicht richtig angewandt worden ist (§ 550 der Zivilprozeßordnung -ZPO-); dies kann nur mit rechtlichen Erwägungen geschehen, die sich auf die betreffende Vorschrift beziehen (SozR aaO Nr 12).
Diesen iS von § 164 Abs 2 Satz 1 SGG an eine Revisionsbegründung zu stellenden Anforderungen wird der Vortrag hier nicht gerecht. Die Klägerin hat innerhalb der Begründungsfrist lediglich Äußerungen zur Höhe der Aufwendungen im Widerspruchsverfahren gemacht, die schon als materiell-rechtliches Vorbringen den Begründungsanforderungen nicht genügen könnten, weil mit ihnen in keiner Weise verdeutlicht ist, unter welchen rechtlichen Aspekten das Urteil für unrichtig gehalten wird. Hiervon abgesehen ist die Klägerin aber überhaupt nicht darauf eingegangen, daß das LSG vorliegend nicht in der Sache entschieden, sondern die Berufung aus prozessualen Gründen als unzulässig verworfen hat. In einem solchen Falle ist von der Revisionsbegründung ausnahmslos zu fordern, daß sie insoweit einen Rechtsverstoß rügt und sich mit der prozeßrechtlichen Auffassung des LSG auseinandersetzt, weil das Revisionsgericht nur bei einer zulässigen Berufung auf die Sache eingehen kann. Fehlt es hieran, dann ist die Revision in jedem Falle nicht zureichend begründet, selbst wenn - außerdem erhobene - materiell-rechtliche Rügen als formgerecht erhoben anzusehen wären.
Hiernach mußte der Senat die Revision verwerfen, weil sie unzulässig ist; auf das Begehren der Klägerin in der Sache einzugehen, war ihm verwehrt.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf entsprechender Anwendung von § 193 SGG.
Fundstellen