Leitsatz (amtlich)
Macht der Träger der Sozialhilfe gemäß RVO § 1538 den Anspruch des von ihm unterstützten Versicherten gegen den Träger der Rentenversicherung geltend, so ist für die Zulässigkeit der Sprungrevision des verurteilten Versicherungsträgers auch die Einwilligung des beigeladenen Versicherten erforderlich.
Normenkette
RVO § 1538 Fassung: 1925-07-14, § 1248 Abs. 2 Fassung: 1957-02-23; SGG § 161 Fassung: 1953-09-03; ZPO § 62; BSHG
Tenor
Die Sprungrevision der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 22. März 1960 wird als unzulässig verworfen.
Die Beklagte hat dem Beigeladenen die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten; im übrigen sind keine Kosten zu erstatten.
Gründe
Die Beklagte lehnte den Antrag des Versicherten und jetzigen Beigeladenen auf das vorzeitige Altersruhegeld (§ 1248 Abs. 2 der Reichsversicherungsordnung - RVO -) ab. Gegen diesen Bescheid hat die Klägerin, die den Beigeladenen aus öffentlichen Mitteln unterstützt hatte, gemäß § 1538 RVO Klage erhoben; zu diesem Rechtsstreit ist der Versicherte beigeladen worden. Das Sozialgericht (SG) hat die Beklagte verurteilt, dem Beigeladenen das vorzeitige Altersruhegeld vom 1. Januar 1958 bis zum 30. September 1958 zu gewähren; es hat die Berufung zugelassen. Gegen dieses Urteil hat die Beklagte mit Einwilligung der Klägerin Sprungrevision eingelegt; eine Einwilligung des Beigeladenen hat sie bis zum Ablauf der Revisionsfrist nicht vorgelegt.
Die Revision ist nicht zulässig.
Nach § 161 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ist die Sprungrevision gegen Urteile der Sozialgerichte nur statthaft, wenn der Rechtsmittelgegner einwilligt; die schriftliche Erklärung der Einwilligung ist der Revisionsschrift beizufügen. Rechtsmittelgegner im Sinne dieser Vorschrift ist aber nicht nur die Revisionsbeklagte, deren Einwilligungserklärung vorliegt, sondern, jedenfalls in einem Falle wie dem vorliegenden, auch der Beigeladene. Denn das angefochtene Urteil ist zu seinen Gunsten ergangen und wirkt auch für und gegen ihn (§§ 141 Abs. 1, 69 SGG); da es ihm die begehrte Rente zuspricht, wäre im Falle seiner Aufhebung auf Grund der Sprungrevision auch er beschwert. Es muß daher auch sein Wille sein, daß das Berufungsgericht und damit die zweite Tatsacheninstanz übersprungen werde (Peters/Sautter/Wolff, Komm. z. Sozialgerichtsbarkeit, Anm. 3 zu § 161 SGG; ebenso zu der dem § 161 SGG entsprechenden Vorschrift des § 134 der Verwaltungsgerichtsordnung: Eyermann/Fröhler, Anm. 4; Ule, Anm. II/1; Schunck/de Clerck, Anm. 2; Koehler, Anm. IV, 2). Dies muß im vorliegenden Falle um so mehr gelten, als die Klägerin, die den Beigeladenen aus öffentlichen Mitteln unterstützt hat, nicht einen gemäß § 1531 ff RVO auf sie übergegangenen Anspruch geltend macht, sondern nach § 1538 RVO vorgegangen ist. Nach dieser Vorschrift können die ersatzberechtigten Gemeinden und Träger der Fürsorge (Sozialhilfe) die Feststellung der Leistungen aus der Reichsversicherung selbst betreiben, auch Rechtsmittel (Rechtsbehelfe) einlegen. Dabei handelt es sich also um eine Prozeßstandschaft, bei der der Träger der Fürsorge (Sozialhilfe) im eigenen Namen einen fremden Anspruch, im vorliegenden Falle den des Beigeladenen, geltend macht, so daß es in dem vorliegenden Verfahren letztlich um den Anspruch des Beigeladenen geht.
Der vorstehend dargelegten Rechtsauffassung, daß es zur Zulässigkeit der Sprungrevision in einem Falle der vorliegenden Art auch der Einwilligung des Beigeladenen bedarf, steht auch nicht der nach § 74 SGG im sozialgerichtlichen Verfahren entsprechend geltende § 62 der Zivilprozeßordnung (ZPO) entgegen. Zwar sind die Klägerin und der Beigeladene notwendige Streitgenossen im Sinne des § 62 ZPO, weil das streitige Rechtsverhältnis allen Streitgenossen gegenüber nur einheitlich festgestellt werden kann, und in derartigen Fällen werden nach § 62 ZPO die säumigen Streitgenossen als durch die nicht säumigen vertreten angesehen, wenn ein Termin oder eine Frist nur von einzelnen Streitgenossen versäumt worden ist. Diese Vorschrift gilt aber eben nur für die Fälle einer Termin- oder Fristversäumnis, nicht aber gibt sie darüber hinaus eine Vertretungsbefugnis, also auch nicht für prozessuale Erklärungen wie die Einwilligung zur Einlegung der Sprungrevision (zu vgl. Baumbach/Lauterbach, Zivilprozeßordnung, 28. Auflage, Anm. 4 B zu § 62 ZPO). Die vom 3. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) in BSG 11, 35, 37 offen gelassene Frage, ob bei Einlegung der Sprungrevision nach § 161 SGG im Falle einer notwendigen Streitgenossenschaft eine Einwilligung aller Streitgenossen erforderlich ist "oder ob auch hier der Grundsatz des § 62 ZPO uneingeschränkt gilt, daß der nicht säumige Streitgenosse den Gang des Verfahrens bestimmt und für den säumigen mithandelt", ist daher dahin zu beantworten, daß es der Einwilligung aller Streitgenossen bedarf. Es kann dem ein Rechtsmittel einlegenden notwendigen Streitgenossen nicht zugestanden werden, daß er auch mit Wirkung für andere notwendige Streitgenossen, hier für den Beigeladenen, die Einwilligung zur Sprungrevision erklärt.
Weil sonach nicht die Einwilligung aller Rechtsmittelgegner für die Sprungrevision vorliegt, ist diese nach § 161 SGG nicht zulässig. Sie muß deshalb verworfen werden (§ 169 Satz 2 SGG).
Die Kostenentscheidung ergeht gemäß § 193 SGG.
Fundstellen