Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 25.02.1954)

 

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 25. Februar 1954 wird als unzulässig verworfen.

Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

 

Gründe

Durch Urteil vom 25. Februar 1954 hat das Landessozialgericht (LSG.) Nordrhein-Westfalen die Beklagte für verpflichtet erklärt, der Klägerin in einem neuen Bescheid die Hinterbliebenenrente in gesetzlicher Höhe zu gewähren. Gegen dieses am 25. März 1954 zugestellte Urteil hat die Beklagte mit Schreiben vom 23. April 1954, welches von einem „in Vertretung” zeichnenden Bediensteten eigenhändig unterschrieben und bei der Aufbaustelle des Bundessozialgerichts (BSG.) am 24. April eingegangen ist, Revision eingelegt. Die am 24. Mai 1954 bei der Aufbaustelle eingegangene Revisionsbegründung vom 22. Mai 1954 ist in Schreibmaschinenschrift unterschrieben mit „gez. Binsfeld”. Darunter folgt ein Vermerk „Beglaubigt … Landesamtmann”; dieser Vermerk ist eigenhändig unterschrieben.

Die Revision ist unzulässig, weil sie innerhalb der gesetzlichen Frist nicht formgerecht begründet worden ist.

Die vom Vorderrichter erteilte Rechtsmittelbelehrung entsprach den gesetzlichen Anforderungen. Die Frist für die Revisionsbegründung endete demnach am 25. Mai 1954 (vgl. BSG. 1 S. 82). Bis zu diesem Zeitpunkt hatte die Beklagte ihre Revision „schriftlich” zu begründen (§ 164 Abs. 1 Satz 1 des SozialgerichtsgesetzesSGG –). Der eine Rechtfertigung des Revisionsantrags enthaltende Schriftsatz vom 22. Mai 1954 genügt diesem Erfordernis nicht, da er nicht die eigenhändige Unterschrift des für seinen Inhalt Verantwortlichen trägt.

Für das Berufungsverfahren hat der 1. Senat bereits den Grundsatz aufgestellt, daß die Berufungsschrift eigenhändig unterschrieben sein muß (BSG. 1 S. 243). Diese Auffassung hat zwar neben Zustimmung (Bayer, LSG. in Amtsbl. Bay. AM. 1957 S. B 25) auch Widerspruch gefunden (u. a. LSG. Berlin in NJW. 1957 So 559 = Breith. 1957 S. 680), Mit diesen unterschiedlichen Ansichten brauchte sich der beschließende Senat jedoch nicht auseinanderzusetzen. Denn das Revisionsverfahren ist, wie sich aus den §§ 164, 166 SGG ergibt, formstrenger gestaltet als das Verfahren vor den SG. en und LSG. en (vgl. auch die amtliche Begründung zu dem Entwurf einer Sozialgerichtsordnung – Bundestagsdrucksache Nr. 4357 – Allg. Teil Abschnitt B Nr. 7). Für dieses Verfahren muß jedenfalls gefordert werden, daß Rechtsmitteleinlegung und -begründung als bestimmende Schriftsätze eigenhändig zu unterzeichnen sind.

Zu der Frage, ob eine nur mit einem eigenhändigen Beglaubigungsvermerk versehene Rechtsmittelschrift diesem Erfordernis der eigenhändigen Unterzeichnung genügt, hat der 7. Senat – wiederum für den Fall der Berufungseinlegung – ausgeführt, daß diese Form nicht ausreicht (SozR. SGG § 151 Bl. Da 2 Nr. 4). Damit ist der schon früher vom LSG. Baden-Württemberg (Breith. 1956 S. 1063) vertretene Standpunkt (gegen LSG. Rheinland-Pfalz in Breith. 1955 S. 1150 und BG. 1956 S. 307) bestätigt worden. Der beschließende Senat tritt dieser Auffassung für den Anwendungsbereich des § 164 Abs. 1 SGG bei. Auf die Ausführungen im Urteil des 7. Senats wird insoweit Bezug genommen. Außerdem ist auf die hiermit übereinstimmende Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Münster (Beschluß vom 22.3.1956 in DVBl. 1956 S. 769; Bescheid vom 14.3.1957 in DVBl. 1957 S. 358) hinzuweisen. Auch das Bundesarbeitsgericht (BAG.) hat in seinem Beschluß vom 22. Juni 1956 (AP.Nr. 10 zu § 11 ArbGG 1953 mit zustimmender Anmerkung von Pohle = NJW. 1956 S. 1413 Nr. 23) die eigenhändige Unterzeichnung der Rechtsmittelschrift durch den Prozeßbevollmächtigten gefordert und eine maschinenschriftliche Namensbezeichnung des Prozeßbevollmächtigten nebst handschriftlicher Unterzeichnung – nicht Beglaubigung – durch eine Büroangestellte als nicht ausreichend angesehen. Die vom BAG. nach Lage dieses Falles erörterte Möglichkeit, ob die Angestellte, die handschriftlich unterzeichnet hat, etwa als Unterbevollmächtigte anzusehen sei und ob sie für ihre Person die Vertretungsbefugnis (Postulationsfähigkeit) besitze, scheidet hier aus, weil eine eigenhändig unterzeichnete Beglaubigung – einerlei, welche dienstliche Stellung der Beglaubigende einnimmt – grundsätzlich nicht den Inhalt des Schriftsatzes deckt, sondern nur bescheinigt, daß dessen Urschrift von dem für deren Inhalt Verantwortlichen unterschrieben worden ist.

Mit dem 1. und dem 7. Senat (a.a.O.) ist der beschließende Senat der Auffassung, daß die formgerechte Unterzeichnung nach Ablauf der Rechtsmittelfrist nicht mehr nachgeholt werden kann und daß auch § 106 Abs. 1 SGG keine rechtliche Möglichkeit dafür bietet. Das Bundesverwaltungsgericht hat zwar in seinem Beschluß vom 10. Juli 1956 (NJW. 1956 S. 1811 Nr. 21) derartige Möglichkeiten bezüglich der Klageerhebung vor den allgemeinen Verwaltungsgerichten angedeutet. Die Tragweite dieser Entscheidung ist im Schrifttum umstritten (vgl. Engelhard NJW. a.a.O.; aber auch Tietgen DVBl. 1957 S. 359). Für das Revisionsverfahren nach dem SGG ist jedenfalls die von Tietgen versuchte Unterscheidung zwischen einem Mangel an der Schriftlichkeit überhaupt und einem (heilbaren) Mangel innerhalb der an sich vollständig gegebenen Schriftlichkeit nicht brauchbar. § 106 Abs. 1 SGG kann nicht so gedeutet werden, daß – je nach Art. oder Grad eines Formfehlers – die zwingende Fristbestimmung des § 164 Abs. 1 SGG entweder beachtet wird oder außer Kraft tritt. Für die Aufklärungspflicht des Vorsitzenden bleibt sonach in diesem Zusammenhang nur insoweit Raum, als die Verfahrensfrist noch nicht abgelaufen ist. Dabei teilt der beschließende Senat den Standpunkt des 7. Senats (a.a.O.), daß es nicht Aufgabe des Gerichts ist, jede Rechtsmittelschrift unverzüglich bis ins einzelne auf etwaige Mängel, die noch fristgerecht beseitigt werden könnten, durchzusehen. Dieser Standpunkt ist auch deshalb gerechtfertigt, weil andererseits das BSG. an die Richtigkeit der Rechtsmittelbelehrung ebenfalls strenge Anforderungen stellt (vgl. z. B. BSG. 1 S. 227, S. 254; SozR. SGG § 136 Bl. Da 1 Nr. 4); dem Eintritt von Härtefällen ist damit weitgehend vorgebeugt.

Die Revision war mithin nach § 169 Satz 2 SGG zu verwerfen, ohne daß es einer Prüfung bedurfte, ob sie auch aus anderen Gründen unzulässig ist.

Die Kostenentscheidung ergeht in entsprechender Anwendung des § 193 SGG.

 

Fundstellen

NJW 1957, 1494

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge