Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorbeugehaft im Konzentrationslager
Orientierungssatz
Keine analoge Anwendung von § 1251 Abs 1 Nr 4 RVO auf Zeiten einer befristeten Vorbeugehaft von Häftlingen im Konzentrationslager, die wegen ihrer kriminellen Vergangenheit untergebracht waren und den sogenannten Grünen Winkel trugen.
Normenkette
RVO § 1251 Abs 1 Nr 4
Verfahrensgang
LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 14.06.1988; Aktenzeichen L 13 J 140/87) |
Gründe
Nach § 73a des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) iVm § 114 der Zivilprozeßordnung (ZPO) kann einem Beteiligten für das Beschwerdeverfahren vor dem Bundessozialgericht (BSG) nur dann Prozeßkostenhilfe bewilligt und ein Rechtsanwalt als Prozeßbevollmächtigter beigeordnet werden, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet. Diese Voraussetzung liegt nicht vor; die Beschwerde des Klägers ist unzulässig. Die Begründung der Beschwerde genügt nicht der gesetzlich vorgeschriebenen Form des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG.
Die Revision kann nur aus den in § 160 Abs 2 SGG genannten Gründen - grundsätzliche Bedeutung, Abweichung, Verfahrensmangel - zugelassen werden. Der Kläger beruft sich ausschließlich auf grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache. Hiermit kann er jedoch keinen Erfolg haben.
Die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache muß in der Beschwerdebegründung "dargelegt" werden (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG). Hierzu gehört, daß der Beschwerdeführer die Rechtsfrage, um die es nach seiner Auffassung geht, selbst formuliert und den nach seiner Meinung vom Revisionsgericht einzuschlagenden Weg der Nachprüfung des angefochtenen Urteils und dabei insbesondere den Schritt darstellt, der die Entscheidung der als grundsätzlich bezeichneten Rechtsfrage notwendig macht (BSG SozR 1500 § 160a Nr 31). Daran fehlt es in der Beschwerdebegründung des Klägers. Als klärungsbedürftig sieht der Kläger nach dem sachlichen Inhalt seiner Ausführungen die Fragen an, ob Zeiten einer befristeten Vorbeugehaft im Konzentrationslager während der nationalsozialistischen Herrschaft zumindest in analoger Anwendung von § 1251 Abs 1 Nr 4 der Reichsversicherungsordnung (RVO) bei der Berechnung von Altersruhegeld zu berücksichtigen und die Verweisung in dieser Vorschrift auf § 1 des Bundesentschädigungsgesetzes (BEG) bezüglich des damals in befristeter Vorbeugehaft einsitzenden Personenkreises verfassungswidrig ist.
Die erste Frage ist nicht klärungsbedürftig, weil die Antwort darauf von vornherein praktisch außer Zweifel steht (s BSGE 40, 40 (42) und 158 (159): Zum einen ist schon aus dem Wortlaut des § 1251 Abs 1 Nr 4 RVO unmittelbar und unmißverständlich zu entnehmen, daß hiermit lediglich eine Wiedergutmachungsregelung zugunsten der Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung getroffen ist, dh der Personen, die aus Gründen politischer Gegnerschaft gegen den Nationalsozialismus oder Gründen der Rasse, des Glaubens oder der Weltanschauung durch nationalsozialistische Gewaltmaßnahmen verfolgt worden sind. Für die vom Kläger vertretene analoge Anwendung dieser Vorschrift fehlt es bereits an der ausreichenden Darlegung einer entsprechenden Gesetzeslücke als der ersten Voraussetzung für eine Analogie. Es ist im Gegenteil wenig wahrscheinlich, daß der Gesetzgeber eine solche eingeschränkte Regelung traf, ohne sich bewußt zu sein, daß in Konzentrationslagern neben politisch oder rassisch Verfolgten mit sogenanntem Roten Winkel auch Häftlinge einsaßen, die wegen ihrer kriminellen Vergangenheit untergebracht waren und den sogenannten Grünen Winkel trugen. Zum anderen ist nach bisher geltendem Recht auch nicht jede Freiheitsentziehung von vornherein als sozialversicherungsrechtlich erheblich zu beachten. Mangels des besonderen Bundesgesetzes, das die in § 190 Nr 13 des Strafvollzugsgesetzes (StVollzG) vom 16. März 1976 (BGBl I 581) formulierte Ergänzung von § 1227 RVO über die versicherungspflichtige Beschäftigung von Strafgefangenen in Kraft setzen würde (§ 198 Abs 3 StVollzG), ist vielmehr davon auszugehen, daß eine Inhaftierung nicht schon ipso jure und ganz allgemein zu einer Anrechnung in der Sozialversicherung als rentensteigernder Umstand führt (vgl erkennender Senat Urteil vom 26. Mai 1988 - Az.: 5/5b RJ 20/87 - SozR 2200 § 1246 Nr 157).
In der vom Kläger an zweiter Stelle angeführten Frage, ob eine Vorschrift verfassungsgemäß ist, kann zwar eine grundsätzliche Bedeutung liegen (BSG SozR 1500 § 160 Nrn 6 und 11). Die bloße Behauptung der Verfassungswidrigkeit einer Regelung reicht aber hierfür nicht aus (BSG SozR 1500 § 160 Nr 6). Zur Klärungsbedürftigkeit der Rechtsfrage ist vielmehr im einzelnen darzulegen, in welchem Umfang, von welcher Seite und aus welchen Gründen die Beantwortung der Rechtsfrage umstritten ist (BSG SozR 1500 § 160 Nr 17). § 1251 Abs 1 Nr 4 RVO gilt in der jetzigen Fassung seit Februar 1971. Es wäre daher Sache des Klägers gewesen darzutun, wann und mit welcher Begründung § 1251 Abs 1 Nr 4 RVO bereits als verfassungswidrig dargestellt worden ist. Davon abgesehen hat das BSG bereits entschieden, daß die Bezugnahme auf Verfolgte iS des § 1 BEG in § 1251 Abs 1 Nr 4 RVO jedenfalls nicht dem Gleichheitssatz widerspricht (BSG SozR 2200 § 1251 Nr 14). Eine vom Revisionsgericht bereits beantwortete Rechtsfrage ist aber nur noch unter der Voraussetzung klärungsbedürftig, daß der Rechtsprechung des Revisionsgerichts in nicht geringfügigem Umfang widersprochen wird und gegen sie nicht von vornherein abwegige Einwendungen vorgebracht werden (BSG SozR 1500 § 160a Nr 13). Daß und wie der genannten Rechtsprechung des BSG zu § 1251 RVO widersprochen worden ist oder widersprochen wird, ist vom Kläger nicht dargetan worden.
Die somit nicht formgerecht begründete und damit unzulässige Beschwerde des Klägers mußte verworfen werden. Dies konnte gemäß § 202 SGG iVm § 574 ZPO und § 169 SGG analog auch ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter erfolgen (BSG SozR 1500 § 160a Nrn 1 und 5; BVerfG SozR 1500 § 160a Nr 30).
Da die Rechtsverfolgung des Klägers somit keine Aussicht auf Erfolg hat, sind die Gewährung von Prozeßkostenhilfe und die Beiordnung eines Rechtsanwalts abzulehnen.
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Fundstellen