Entscheidungsstichwort (Thema)
Nichtzulassungsbeschwerde. Wahrscheinlichkeitsfeststellung iS des BSeuchG. Anscheinsbeweis bei Impfschadensfällen
Orientierungssatz
1. Die Frage, ob es zur Wahrscheinlichkeitsfeststellung iS des § 52 Abs 2 S 1 und 2 BSeuchG genügt, daß - obschon die Ursache nicht zu klären ist - ein enger zeitlicher und örtlicher Zusammenhang besteht, ist keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG). Diese Frage ist nicht klärungsbedürftig. Das BSG hat bereits entschieden, daß sich der Rechtsbegriff der Wahrscheinlichkeit im Impfschadensrecht nach versorgungsrechtlichen Grundsätzen richtet und daß es bei der Feststellung des ursächlichen Zusammenhangs zwischen Impfung und Gesundheitsstörung keine Umkehr der Beweislast gibt (vgl BSG vom 21.11.1983 9a BVi 7/83 = SozR 1500 § 160 Nr 51). Ferner hat es entschieden, daß der Sonderfall der allgemeinen Ungewißheit in der medizinischen Wissenschaft iS des § 52 Abs 2 S 2 BSeuchG nicht deswegen besteht, weil sich nicht feststellen läßt, welche von mehreren in Betracht kommenden Umständen im konkreten Fall für die Gesundheitsstörung ursächlich waren (vgl BSG vom 19.8.1981 9 RVi 5/80 = SozR 3850 § 52 Nr 1).
2. Es kann dahinstehen, ob die Grundsätze des Anscheinsbeweises, der an einen typischen erfahrungsgemäßen Geschehensablauf anknüpft, auf Impfschadensfälle, die meist durch individuelle Gegebenheiten geprägt sind, Anwendung finden. Denn Beweiserleichterungen iS eines Anscheinsbeweises scheiden jedenfalls dann aus, wenn mehrere gleichwertige Möglichkeiten in Betracht kommen (ständige Rechtsprechung des BSG).
Normenkette
SGG § 160 Abs 2 Nr 1; BSeuchG § 52 Abs 2 S 1; BSeuchG § 52 Abs 2 S 2
Verfahrensgang
LSG Baden-Württemberg (Entscheidung vom 06.11.1986; Aktenzeichen L 12 Vi 265/85) |
Gründe
Die Revision ist nicht durch das Bundessozialgericht (BSG) zuzulassen. Denn die Beschwerde gegen die Nichtzulassung ist nicht begründet (§§ 160, 160a Sozialgerichtsgesetz -SGG-).
Der Kläger hält es für eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG), ob es zur Wahrscheinlichkeitsfeststellung iS des § 52 Abs 2 Sätze 1 und 2 Bundes-Seuchengesetz (BSeuchG) genügt, daß - obschon die Ursache nicht zu klären ist - ein enger zeitlicher und örtlicher Zusammenhang besteht. Diese Frage ist entgegen der Ansicht des Klägers nicht klärungsbedürftig. Das BSG hat bereits entschieden, daß sich der Rechtsbegriff der Wahrscheinlichkeit im Impfschadensrecht nach versorgungsrechtlichen Grundsätzen richtet und daß es bei der Feststellung des ursächlichen Zusammenhangs zwischen Impfung und Gesundheitsstörung keine Umkehr der Beweislast gibt (BSG SozR 1500 § 160 Nr 51). Ferner hat es entschieden, daß der Sonderfall der allgemeinen Ungewißheit in der medizinischen Wissenschaft iS des § 52 Abs 2 Satz 2 BSeuchG nicht deswegen besteht, weil sich nicht feststellen läßt, welche von mehreren in Betracht kommenden Umständen im konkreten Fall für die Gesundheitsstörung ursächlich waren (BSG SozR 3850 § 52 Nr 1).
Aber auch unter dem Gesichtspunkt des Anscheinsbeweises hat der Kläger keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung aufgezeigt. Dabei kann dahinstehen, ob die Grundsätze des Anscheinsbeweises, der an einen typischen erfahrungsgemäßen Geschehensablauf anknüpft, auf Impfschadensfälle, die meist durch individuelle Gegebenheiten geprägt sind, überhaupt Anwendung finden. Denn Beweiserleichterungen iS eines Anscheinsbeweises scheiden jedenfalls dann aus, wenn mehrere gleichwertige Möglichkeiten in Betracht kommen (BSGE 8, 245, 247; 9, 291, 294 f; 10, 46, 50; 12, 242, 246; 19, 52, 54 ff; 35, 216, 219; 45, 176, 180). So liegt es hier. Das Landessozialgericht (LSG) hat festgestellt, daß es sich bei der Erkrankung des Klägers um ein multilokuläres Geschehen handele; neben der arteriellen Embolisation der Arteria brachialis (Armschlagader) links lägen (nicht schädigungsbedingte) Verschlüsse (Verdichtungen) sowohl der Hüftschlagader als auch der Oberschenkelschlagader vor. Damit ist die Möglichkeit eines atypischen Geschehensablaufs gegeben mit der Folge, daß der Anscheinbeweis entkräftet ist (Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 10. Aufl Bd I/2, S 244 mV f). Der enge zeitliche und örtliche Zusammenhang der Embolie - nicht der Impfung - erlaubt deshalb allenfalls anzunehmen, daß die Impfung die Embolie am Arm ausgelöst hat, nicht aber, daß sie die Embolie wesentlich verursacht hat.
Auch die Rüge des Klägers, das LSG habe seine Pflicht zur Amtsermittlung (§ 103 SGG) verletzt, indem es Beweisanträgen ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt sei (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG), greift nicht durch. Insbesondere brauchte sich das LSG nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens nicht gedrängt zu fühlen (vgl dazu BSG SozR § 160 Nrn 5 und 49), ein vom Kläger beantragtes weiteres medizinisches Gutachten zu der Frage einzuholen, ob die Pistolenimpfung unter Berücksichtigung der allergischen Konstitution des Klägers den Eintritt der Embolie wesentlich herbeigeführt habe. Es durfte den medizinischen Sachverhalt aufgrund der vorliegenden ärztlichen Gutachten vielmehr als genügend geklärt ansehen. Denn alle gehörten Sachverständigen haben darin übereingestimmt, daß die Hervorrufung einer Embolie durch Impfung mittels Spritzpistole sehr unwahrscheinlich und ein solcher Vorgang bislang nicht beobachtet worden sei. Hierbei haben die Sachverständigen sich, anders als der Kläger vorträgt, nicht allein auf die Hinweise der Herstellerfirma des Impfstoffes verlassen, sondern sowohl die Literatur ausgewertet als auch einen Allergiespezialisten zu Rate gezogen (Gutachten Prof. Dr. L und Prof. Dr. H vom 10. Mai 1984).
Die Kostenentscheidung entspricht § 193 SGG.
Fundstellen