Orientierungssatz

Grundsätzliche Bedeutung hat die Rechtssache dann, wenn von der angestrebten Entscheidung erwartet werden kann, daß sie geeignet ist, die Rechtseinheit zu erhalten oder die Fortbildung des Rechts zu fördern. Das setzt ua voraus, daß die aufgeworfene Rechtsfrage klärungsfähig ist; dh die Zulassung der Revision muß dazu führen können, daß das Revisionsgericht die Rechtsfrage verbindlich entscheidet. Daß und warum dies der Fall ist, muß aus der Beschwerdebegründung ersichtlich sein.

 

Normenkette

SGG § 160 Abs 2 Nr 1, § 160a Abs 2 S 3

 

Verfahrensgang

Bayerisches LSG (Entscheidung vom 15.07.1986; Aktenzeichen L 8 Al 246/84)

 

Gründe

Die Beschwerde ist, soweit die Beklagte die Zulassung der Revision deswegen begehrt, weil das Urteil des Landessozialgerichts (LSG) von den von ihr bezeichneten Urteilen des Bundessozialgerichts (BSG) abweichen soll (§ 160 Abs 2 Nr 2 Sozialgerichtsgesetz -SGG-), zum Teil unbegründet. Im übrigen ist sie unzulässig.

Mit der Rüge, das LSG sei vom Urteil des Senats vom 7. August 1974 - 7 RAr 28/71 - abgewichen, hat die Beklagte diese Abweichung zwar hinreichend bezeichnet. Indessen liegt die behauptete Divergenz nicht vor. Das LSG hat seiner Entscheidung, wie die Beklagte zutreffend aufgezeigt hat, den Rechtssatz vorangestellt, bei der Zweckmäßigkeit iS von § 23 Abs 1 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) handele es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der in die Ermessensregelung eingebettet und richterlicher Kontrolle zugänglich sei. Dies könnte auf den ersten Blick so verstanden werden, als ob das LSG davon ausgegangen ist, es sei befugt, den Begriff "zweckmäßig" der vollen richterlichen Kontrolle zu unterwerfen. Damit wäre die von der Beklagten aufgezeigte Divergenz begründet. Indes stimmt in Wahrheit die Entscheidung des LSG mit der aufgezeigten Entscheidung des BSG überein. Der Entscheidung des LSG liegt nämlich die Auffassung zugrunde, die Beklagte sei bei der Ausübung des Ermessens von einem falschen bzw unvollständig ermittelten Sachverhalt ausgegangen. Daraus ergibt sich, daß das LSG die angefochtenen Bescheide wegen Fehlgebrauch des Ermessens (§ 54 Abs 2 Satz 2 SGG) für rechtswidrig gehalten hat, also wie bei der Überprüfung von Ermessensentscheidungen vorgesehen, lediglich eine Rechtskontrolle vorgenommen hat. Damit kann aber das angefochtene Urteil nicht auf der von der Beklagten behaupteten Divergenz beruhen.

Soweit die Beklagte meint, das LSG weiche zusätzlich von der Rechtsauffassung des BSG ab, wonach im Rahmen der Leistungsverwaltung selbst bei Streit um Ermessensentscheidungen das Nachschieben von Gründen grundsätzlich zulässig sei, hat sie eine Abweichung iS von § 160 Abs 2 Nr 2 SGG nicht aufgezeigt. Das wäre nur dann der Fall, wenn das LSG trotz unveränderter Gesetzeslage (vgl jetzt aber § 35 Abs 1, § 41 Abs 1 Nr 2 und Abs 2 Sozialgesetzbuch - Zehntes Buch), den Rechtssatz aufgestellt hätte, die von der Beklagten nachgeschobenen Erwägungen könnten nicht berücksichtigt werden. Das wird von ihr indes nicht behauptet. Ihre Darlegung, wenn das LSG ihr Vorbringen als zulässiges Nachschieben von Gründen behandelt hätte, dann hätte es im Rahmen einer Rechtskontrolle nicht entscheiden können, die Beklagte habe das geltend gemachte Bedürfnis nicht hinreichend berücksichtigt, zeigt allenfalls die Möglichkeit einer Abweichung auf. Voraussetzung für die Zulassung der Revision ist jedoch, daß die Abweichung mit Sicherheit feststellbar sein muß (vgl Hennig/Danckwerts/König, SGG, § 160a, Erl 7.8.5.).

Eine Abweichung ist schließlich auch nicht mit der Behauptung dargelegt, das angefochtene Urteil weiche von der Rechtsprechung des BSG ab, wonach von der Beklagten nicht erwartet werden könne, daß sie auf alle denkbaren Mängel der bestehenden legalen Vermittlungseinrichtungen eingehe und belege, daß diese nicht vorhanden seien. Inwieweit hierin ein Widerspruch zwischen einem vom LSG aufgestellten Rechtssatz und einem solchen des BSG besteht, ist dem Vortrag der Beklagten nicht zu entnehmen. Auch ihr Vorbringen, das BSG dürfte mit seiner Auffassung eine Folgerung aus dem allgemeinen prozeßrechtlichen Grundsatz gezogen haben, daß der Kläger die ihm günstigen Tatsachen zu behaupten und zu beweisen habe, begründet allenfalls die Möglichkeit einer Abweichung. Diese reicht jedoch, wie bereits aufgezeigt wurde, zur Darlegung der Divergenz nicht aus.

Soweit die Beklagte meint, der Rechtssache komme grundsätzliche Bedeutung zu und die Revision sei deshalb zuzulassen (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG), hat sie nicht dargelegt, daß dies in bezug auf die von ihr aufgezeigten Rechtsfragen der Fall ist.

Ob die Entscheidung der Beklagten im Verwaltungsverfahren über die Zweckmäßigkeit einer Auftragserteilung nur der Ermessenskontrolle unterliegt, hat das BSG bereits mehrfach entschieden, wie die Beklagte selbst ausgeführt hat. Diese Rechtsfrage ist damit geklärt. Die Beklagte hat nicht dargelegt, daß den Entscheidungen des BSG in erheblichem Umfang widersprochen worden und die angeschnittene Rechtsfrage damit klärungsbedürftig geblieben oder wieder geworden ist (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 13).

Bei der Frage, ob die gerichtliche Ermessenskontrolle die Berechtigung des Gerichts einschließt, einzelne Umstände anders zu bewerten und zu gewichten, ist nicht dargelegt, inwieweit sie für die Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits erheblich ist. Nur dann könnte es in einem Revisionsverfahren zu der von der Beklagten gewünschten Klärung kommen.

Die Frage, ob das Gericht im Rahmen zulässiger Ermessenskontrolle bei einer Angelegenheit nach § 23 Abs 1 AFG nachgeschobene Gründe unberücksichtigt lassen kann, ohne daß Umstände erkennbar sind, die dies ausnahmsweise rechtfertigen könnten, ist nach dem Vortrag der Beklagten nicht klärungsbedürftig. Wie die Beklagte selbst vorgetragen hat, vertritt das BSG die Rechtsauffassung, im Rahmen der Leistungsverwaltung sei selbst bei einem Streit um Ermessensentscheidungen das Nachschieben von Gründen zulässig, sofern der Gegner dadurch, was hier außer Frage stehe, in seinen prozessualen Möglichkeiten nicht beeinträchtigt werde.

Soweit die Beklagte meint, der Rechtsfrage, ob die Gerichte befugt seien, die Begriffe "einzelne (bestimmte) Berufe und Personengruppen" sowie "bestimmte Arbeitgeber und Arbeitnehmer" entgegen der Auffassung der Bundesanstalt für Arbeit dahingehend auszulegen, daß mit diesen Begriffen nicht nur generell bestimmte Personen bzw Arbeitgeberkreise umschrieben werden, sondern auch einzelne Berufs- und Branchenangehörige, komme grundsätzliche Bedeutung zu, fehlt die Darlegung der Grundsätzlichkeit der bezeichneten Rechtsfrage. Grundsätzliche Bedeutung hat die Rechtssache dann, wenn von der angestrebten Entscheidung erwartet werden kann, daß sie geeignet ist, die Rechtseinheit zu erhalten oder die Fortbildung des Rechts zu fördern. Das setzt ua voraus, daß die aufgeworfene Rechtsfrage klärungsfähig ist; dh die Zulassung der Revision muß dazu führen können, daß das Revisionsgericht die Rechtsfrage verbindlich entscheidet. Daß und warum dies der Fall ist, muß aus der Beschwerdebegründung ersichtlich sein. Hieran fehlt es. Entsprechende Darlegungen wären aber insbesondere deshalb erforderlich gewesen, weil das LSG einen Ermessensfehlgebrauch allein deshalb angenommen hat, weil die Beklagte nach seiner Auffassung den Sachverhalt nicht hinreichend aufgeklärt hat. Folgte das Revisionsgericht dieser Auffassung, dann braucht es auf die vorstehend aufgezeigte Rechtsfrage nicht einzugehen.

Die Beschwerde muß nach allem abgelehnt werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1663833

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