Entscheidungsstichwort (Thema)

Beweisaufnahme durch Berichterstatter. freie Beweiswürdigung

 

Orientierungssatz

1. Der Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme ist nicht dadurch verletzt, daß die Zeugen vom Berichterstatter des Senats einvernommen worden sind.

2. Das Gericht entscheidet nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis gewonnenen Überzeugung (§ 128 Abs 1 S 1 SGG) und ist nicht verpflichtet, die Beteiligten zuvor auf eine mögliche Würdigung hinzuweisen.

 

Normenkette

SGG §§ 155, 106 Abs 3 Nr 4, § 128 Abs 1 S 1

 

Verfahrensgang

Schleswig-Holsteinisches LSG (Entscheidung vom 10.02.1988; Aktenzeichen L 4 U 8/87)

 

Gründe

Der Kläger ist mit seinem Begehren, ihm wegen eines am 4. Dezember 1979 erlittenen Unfalls für die Zeit vom 25. Februar 1980 bis 31. August 1980 Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung zu gewähren, erfolglos geblieben (Bescheid der Beklagten vom 8. April 1980 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Juli 1980; Urteile des Sozialgerichts -SG- vom 8. Mai 1981 und des Landessozialgerichts -LSG- vom 24. Februar 1984 - L 4 U 55/81 -, vom 17. Juli 1985 - L 4 U 64/84 - und vom 10. Februar 1988 - L 4 U 8/87 -; Urteile des Bundessozialgerichts -BSG- vom 27. Juni 1984 - 9b RU 26/82- und vom 12. November 1986 - 9b RU 48/85 -). Nach zweimaliger Aufhebung und Zurückverweisung des Rechtsstreits durch das BSG gelangte das LSG in dem nunmehr angefochtenen Urteil zu dem Ergebnis, der Kläger habe keinen Arbeitsunfall erlitten, weil er als Trainer und Betreuer im TSV B. nicht wie ein Beschäftigter tätig geworden sei (§ 539 Abs 2 iVm § 539 Abs 1 Nr1 der Reichsversicherungsordnung -RVO-). Seine Tätigkeit sei vielmehr nur geringfügig gewesen und habe sich im Rahmen der durch die Vereinswirklichkeit vorgegebenen Mitgliedspflichten gehalten.

Dagegen wendet sich der Kläger mit der Nichtzulassungsbeschwerde, die er auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache sowie auf Verfahrensfehler stützt. Grundsätzlich bedeutsam sei die Frage, ob und in welchem Umfang ehrenamtliche Übungsleiter in Sportvereinen Versicherungsschutz in der gesetzlichen Unfallversicherung genießen. Darüber hinaus habe das LSG den Sachverhalt nicht so umfassend aufgeklärt, wie dies nach dem Inhalt des zurückverweisenden BSG-Urteils vom 27. Juni 1984 erforderlich gewesen wäre. Ferner habe es im Rahmen der Beweiswürdigung aus den Aussagen der Zeugen Schlußfolgerungen gezogen, die deren Inhalt nicht entsprächen. Gerügt werde auch eine Verletzung des Grundsatzes der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme, da die Zeugen nicht vom Senat, sondern vom Einzelrichter einvernommen worden seien. Insbesondere aber habe das LSG den Grundsatz des rechtlichen Gehörs verletzt, und zwar in zweifacher Hinsicht: Zum einen hätte es den Kläger darauf hinweisen müssen, daß es die - seiner Ansicht nach günstigen - Zeugenaussagen nicht positiv werten werde; zum anderen liege insofern ein Überraschungsurteil vor, als sich das LSG auf die Geringfügigkeitsgrenze des § 8 des Sozialgesetzbuches/Gemeinsame Vorschriften (SGB IV) gestützt habe, was nach dem Inhalt des zurückverweisenden BSG-Urteils vom 27. Juni 1984 keinesfalls habe erwartet werden können.

Die Beschwerde ist zum Teil unzulässig, zum anderen erweist sie sich als unbegründet.

Die für eine Zulassung der Revision nach § 160 Abs 2 Nr 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) vorausgesetzte grundsätzliche Bedeutung erfordert, daß die Entscheidung von der Beantwortung einer Rechtsfrage abhängt, die klärungsbedürftig ist. Davon kann im vorliegenden Fall nicht gesprochen werden, weil das BSG in seinem - den konkreten Streitfall betreffenden - Urteil vom 27. Juni 1984 zu der Frage, unter welchen Voraussetzungen die Betreuungs- und Trainerarbeit eines Vereinsmitglieds als Ausfluß der Vereinsmitgliedschaft oder als beschäftigungsähnlich iS von § 539 Abs 2 RVO anzusehen ist, bereits grundsätzliche Ausführungen gemacht hat, für deren Ergänzungsbedürftigkeit weder etwas vorgetragen noch ersichtlich ist. Unzulässig sind auch die Rügen der unzureichenden Sachaufklärung und der fehlerhaften Beweiswürdigung; denn nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG kann ein Verfahrensmangel nicht auf eine Verletzung des § 128 Abs 1 Satz 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.

Im übrigen ist die Beschwerde unbegründet. Der Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme ist nicht dadurch verletzt, daß die Zeugen vom Berichterstatter des Senats einvernommen worden sind. Denn nach § 155 SGG kann der Vorsitzende seine Aufgaben nach §§ 104, 106 bis 108 SGG einem Berufsrichter seines Senats übertragen; dies gilt insbesondere für alle Beweisaufnahmen. Eine solche Übertragung ist im vorliegenden Fall vorgenommen worden. Sofern der Kläger rügt, bei dem angefochtenen Urteil handele es sich um ein Überraschungsurteil, weil das Gericht die für ihn günstigen Zeugenaussagen teilweise negativ bewertet habe, ohne ihn hierauf zuvor aufmerksam gemacht zu haben, übersieht er, daß das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis gewonnenen Überzeugung entscheidet (§ 128 Abs 1 Satz 1 SGG) und nicht verpflichtet ist, die Beteiligten zuvor auf eine mögliche Würdigung hinzuweisen.

Anders verhält es sich bei rechtlichen Gesichtspunkten, auf die das Gericht seine Entscheidung zu stützen beabsichtigt. Nach §§ 62, 112 Abs 1 Satz 1 SGG iVm dem gemäß § 202 SGG anwendbaren § 278 Abs 3 der Zivilprozeßordnung (ZPO) sollen die Beteiligten vor einer Entscheidung geschützt werden, die auf einer Rechtsauffassung beruht, zu der keine Äußerung veranlaßt war. Insoweit stellt sich die Meinung des LSG, der Kläger habe im Hinblick auf die Geringfügigkeitsgrenze des § 8 SGB IV nur eine geringfügige Arbeitsleistung erbracht, als eine überraschende Rechtsauffassung dar. Im sozialgerichtlichen Verfahren ist die Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör aber nur dann ein zur Zulassung der Revision führender Verfahrensmangel, wenn die angefochtene Entscheidung auf ihm beruhen kann (vgl BSG SozR 1500 § 160 Nr 31). Das ist hier nicht der Fall; denn das LSG hat im Anschluß an das zurückverweisende Urteil des BSG vom 27. Juni 1984 ausgeführt, es ergäbe sich auch dann kein anderes Ergebnis, wenn man die Geringfügigkeitsgrenze des § 8 SGB IV außer Betracht lasse. Die Trainer- und Betreuertätigkeit habe sich nämlich in dem geringfügigen und zumutbaren Rahmen gehalten, in welchem der Verein Mitarbeit von seinen geeigneten Mitgliedern erwartet habe.

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1647692

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