Entscheidungsstichwort (Thema)

Nichtzulassungsbeschwerde: Darlegungsvoraussetzungen für eine Grundsatzrüge

 

Orientierungssatz

Eine Beschwerdebegründung erfüllt die Darlegungsvoraussetzungen für eine Grundsatzrüge nicht, wenn keine abstrakt-generellen Rechtsfragen zur Auslegung, zum Anwendungsbereich oder zur Vereinbarkeit einer konkreten revisiblen Norm des Bundesrechts formuliert werden (vgl. allgemein BSG, 6. April 2010, B 5 R 8/10 B, BSG, 21. Juli 2010, B 5 R 154/10 B, BSG, 5. November 2008, B 6 KA 24/07 B). Die Bezeichnung einer abstrakten, aus sich heraus verständlichen Rechtsfrage ist unverzichtbar, damit das Beschwerdegericht an ihr die weiteren Voraussetzungen der Grundsatzrüge prüfen kann.

 

Normenkette

SGG § 160 Abs. 2 Nrn. 1, 3, § 160a Abs. 2 S. 3

 

Verfahrensgang

LSG Niedersachsen-Bremen (Urteil vom 23.02.2016; Aktenzeichen L 4 KR 335/13)

SG Hildesheim (Aktenzeichen S 2 KR 90/10)

 

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 23. Februar 2016 wird als unzulässig verworfen.

Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

In dem der Nichtzulassungsbeschwerde zugrundeliegenden Rechtsstreit wendet sich der Kläger mit seiner Klage gegen Bescheide der Beklagten, durch die seine im Rahmen seiner freiwilligen Mitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung und seiner Mitgliedschaft in der sozialen Pflegeversicherung zu zahlenden Beiträge festgesetzt wurden, und begehrt eine Verurteilung der Beklagten, die Leistungen aus der befreienden Lebensversicherung erstmalig mit Wirkung ab August 2007 bei der Beitragsbemessung zu berücksichtigen.

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG Niedersachsen-Bremen vom 23.2.2016 ist gemäß § 160a Abs 4 S 1 Halbs 2 SGG in entsprechender Anwendung von § 169 S 2 und 3 SGG als unzulässig zu verwerfen. Der Kläger hat in der Begründung des Rechtsmittels entgegen § 160a Abs 2 S 3 SGG keinen Zulassungsgrund hinreichend dargelegt oder bezeichnet.

Das BSG darf gemäß § 160 Abs 2 SGG die Revision gegen eine Entscheidung des LSG nur dann zulassen, wenn

- die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr 1) oder

- das angefochtene Urteil von der höchstrichterlichen Rechtsprechung abweicht (Nr 2) oder

- bestimmte Verfahrensmängel geltend gemacht werden (Nr 3).

Die Behauptung, das Berufungsurteil sei inhaltlich unrichtig, kann demgegenüber nicht zur Zulassung der Revision führen (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 7).

Der Kläger beruft sich in der Beschwerdebegründung vom 6.6.2016 auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) und macht das Vorliegen von Verfahrensmängeln (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG) geltend.

1. Der Kläger legt die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nicht in einer den Anforderungen nach § 160a Abs 2 S 3 SGG entsprechenden Weise dar.

Bei Geltendmachung des Zulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) muss die Beschwerdebegründung ausführen, welche Rechtsfrage sich ernsthaft stellt, deren Klärung über den zu entscheidenden Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder Rechtsfortbildung im allgemeinen Interesse erforderlich (Klärungsbedürftigkeit) und deren Klärung durch das Revisionsgericht zu erwarten (Klärungsfähigkeit) ist (BSG SozR 1500 § 160a Nr 60 und 65; BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 16 mwN - stRspr; vgl auch BVerwG NJW 1999, 304 und BVerfG SozR 3-1500 § 160a Nr 7). Die Beschwerdebegründung hat deshalb auszuführen, inwiefern die Rechtsfrage nach dem Stand von Rechtsprechung und Lehre nicht ohne Weiteres zu beantworten ist, und den Schritt darzustellen, den das Revisionsgericht zur Klärung der Rechtsfrage im allgemeinen Interesse vornehmen soll (BSG SozR 1500 § 160a Nr 31).

a) Der Kläger wirft auf Seite 2 der Beschwerdebegründung die Frage auf,

"ob bei einer Entscheidung über die Rechtsmäßigkeit der rückwirkenden Erhebung von Beiträgen für eine freiwillige Krankenversicherung inzidenter zu prüfen ist, ob überhaupt eine freiwillige Mitgliedschaft oder eine solche in der KVdR besteht und es damit an einer Anspruchsgrundlage für die Erhebung der Beiträge für eine freiwillige Krankenversicherung fehlt oder ob zuvor oder gleichzeitig ein Statusantrag über die Feststellung der Mitgliedschaft in der KVdR gestellt werden muss, damit über die Rechtmäßigkeit der Beitragserhebung entschieden werden kann."

b) Auf Seite 3 der Beschwerdebegründung wirft der Kläger die Frage auf,

"ob die fehlende Angabe der Einnahmen aus seiner befreienden Lebensversicherung des Klägers in den Fragebögen der Beklagten bis einschließlich zum Jahre 2006 als grob fahrlässig zu werten ist, wenn die Beklagte bis dahin nur nach 'sonstigen Einnahmen' und nicht auch nach 'sonstigen Renten (z.B. private Lebensversicherung)' gefragt hat."

Die Beschwerdebegründung erfüllt die Darlegungsvoraussetzungen für eine Grundsatzrüge nicht (vgl hierzu exemplarisch BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 70 mwN). Denn der Kläger hat keine abstrakt-generellen Rechtsfragen - zur Auslegung, zum Anwendungsbereich oder zur Vereinbarkeit einer konkreten revisiblen Norm des Bundesrechts (vgl § 162 SGG) mit höherrangigem Recht - formuliert (vgl allgemein BSG Beschluss vom 6.4.2010 - B 5 R 8/10 B - Juris = BeckRS 2010, 68786, RdNr 10; BSG Beschluss vom 21.7.2010 - B 5 R 154/10 B - Juris = BeckRS 2010, 72088, RdNr 10; BSG Beschluss vom 5.11.2008 - B 6 KA 24/07 B - Juris = BeckRS 2009, 50073, RdNr 7). Die Bezeichnung einer abstrakten, aus sich heraus verständlichen Rechtsfrage ist jedoch unverzichtbar, damit das Beschwerdegericht an ihr die weiteren Voraussetzungen der Grundsatzrüge prüfen kann (Becker, SGb 2007, 261, 265; Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 6. Aufl 2011, Kap IX, RdNr 181). Diesen Anforderungen werden die formulierten Fragen nicht gerecht.

Darüber hinaus legt der Kläger - die Qualität der von ihm gestellten Fragen als hinreichend konkret formulierte Rechtsfragen unterstellt - nicht die Klärungsbedürftigkeit seiner Fragen dar. Der Kläger befasst sich hinreichend weder mit der angefochtenen Entscheidung noch mit der Rechtslage. Er setzt sich insbesondere nicht damit auseinander, dass bereits nach der Rechtslage (§ 250 Abs 2 SGB V iVm § 59 Abs 4 S 1 SGB XI) der von der Beklagten geltend gemachte Beitragsanspruch den versicherungsrechtlichen Status als freiwilliges Mitglied der gesetzlichen Krankenversicherung als geschriebene Tatbestandsvoraussetzung enthält. Soweit man die Ausführungen des Klägers dahingehend interpretiert, in Rechtsstreiten über die Beitragserhebung seien immer auch statusrechtliche Gestaltungsmöglichkeiten (inzident) zu prüfen und zu würdigen, setzt sich die Beschwerdebegründung nicht mit den naheliegenden Fragen des Streitgegenstands eines sozialgerichtlichen Verfahrens und den insoweit bestehenden Regeln (vgl § 92 SGG, zu den Voraussetzungen einer Klageänderung § 99, § 153 SGG) und der hierzu ergangenen Rechtsprechung (vgl Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 92 RdNr 8, 11 f mwN) auseinander.

Schließlich legt der Kläger auch die Klärungsfähigkeit seiner Fragen - ihre Qualität als hinreichend konkret formulierte Rechtsfragen unterstellt - nicht hinreichend dar. Hinsichtlich der ersten Frage berücksichtigt er nicht, dass das LSG die Tatbestandsvoraussetzungen auch hinsichtlich seines versicherungsrechtlichen Status geprüft und ausdrücklich entschieden hat, dass "die Beklagte zu Recht von einer freiwilligen Mitgliedschaft des Klägers bei ihr ausgegangen ist" (vgl Seite 6 des LSG-Urteils). Soweit der Kläger insoweit auf Seite 2 der Beschwerdebegründung vorträgt, zwischen den Parteien sei streitig, ob er bei der Beklagten freiwillig krankenversichert oder pflichtversichert in der KVdR sei, unterlässt er die gebotene Darlegung, ob und inwieweit sich dieser von ihm im vorliegenden Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde genannte Streitgegenstand mit dem von seinem anwaltlichen Bevollmächtigten in der Klageschrift formulieren Antrag überhaupt deckt (vgl zum Streitgegenstand BSG Beschluss vom 10.6.2013 - B 12 R 34/12 B - Juris RdNr 9; zur Unzulässigkeit einer Klageänderung in einem Revisionsverfahren vgl § 168 S 1 SGG).

2. Der Kläger bezeichnet keinen Verfahrensmangel in einer den Zulässigkeitsanforderungen nach § 160a Abs 2 S 3 SGG entsprechenden Weise.

Auf Seite 2 der Beschwerdebegründung rügt der Kläger eine Verletzung der "Hinweispflicht gemäß § 106 Abs 1 SGG". Das LSG habe in seinem angefochtenen Urteil die Auffassung vertreten, dass die Frage seines Status bei der Beklagten nicht Streitgegenstand des vorliegenden Verfahrens geworden sei, weil er auch im Klageverfahren keinen Antrag über die Feststellung seiner Mitgliedschaft in der KVdR gestellt habe. Wenn das LSG - anders als das SG - das Fehlen eines solchen Antrags für entscheidungserheblich halten würde, hätte es gemäß § 106 Abs 1 SGG durch einen entsprechenden Hinweis an ihn darauf hinwirken müssen, dass er einen solchen Statusantrag nachholt und stellt. Das angefochtene Urteil beruhe auf der Verletzung der Hinweispflicht. Er hätte in der Berufungsinstanz einen Antrag auf Feststellung seines Status bei der Beklagten nachgeholt, sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung nicht einverstanden erklärt und den Statusantrag spätestens in der Berufungsverhandlung gestellt.

Hierdurch bezeichnet der Kläger keinen entscheidungserheblichen Verfahrensmangel. Er legt nicht dar, inwieweit überhaupt bei dem durch seinen anwaltlichen Bevollmächtigten durch den Klageantrag formulierten und definierten Streitgegenstand (vgl § 92 SGG; hierzu Leitherer aaO; zu den Voraussetzungen einer Klageänderung § 99, § 153 SGG; zur auch im Rahmen der Hinweispflicht zu berücksichtigenden Disposition der Beteiligten über die Prozessführung Leitherer, aaO, § 106 RdNr 4) die Frage seines - des Klägers - versicherungsrechtlichen Status als freiwilliges Mitglied oder pflichtversicherter Rentner (auch) Gegenstand des Rechtsstreits geworden ist und sich deshalb eine von ihm angenommene "Hinweispflicht" des Gerichts ergeben hätte. Hinzu kommt, dass die Beschwerdebegründung auch nicht präzisiert, worauf ihn das Gericht - ausgehend von dessen rechtlichen Ausgangspunkt zum Streitgegenstand (vgl Seite 6 des LSG-Urteils; zu den Anforderungen der Rüge der Verkennung des Streitgegenstands als Verfahrensmangel vgl BSG Beschluss vom 28.12.2005 - B 12 KR 42/05 B - Juris RdNr 10 mwN) - hätte konkret "hinweisen" müssen.

3. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, weil sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen (§ 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG).

4. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI10448715

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